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Richter im Kriegsschuldprozeß

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In den mehr als 200 Verhandlungstagen des Alliierten Gerichtshofes in Nürnberg war es das erste Mal, daß damit die Politik von der Moral vor einen Richterstuhl gezogen wurde, eine Tatsache, die gewiß einen bedeutenden Schritt vorwärts bedeutet auf dem Wege, auch die Beziehungen zwischen Staaten den Moralgesetzen zu unterwerfen, die seit Tausenden von Jahren für die Beziehungen zwischen den Einzelmenschen gelten, und damit das bisher geltende internationale Faustrecht abzuschaffen. Trotzdem hat das Urteil heftigen Widerspruch gefunden. D i e Erfahrung mag wegweisend sein für die künftige K o d i f i z i e r u n g eines internationalen Strafrechtes zur Verfolgung von Kriegsverbrechern.

Es wird vor allem künftig bei der Zusammensetzung des Gerichtshofes vermieden werden müssen, daß dieser nach gemeinen Rechtsbegriffen als befangen angesehen werde. Dieser Vorwurf hat diesmal, wie sich in den Kritiken deutlich erwiesen hat, den Eindruck des Urteiles beschattet. Ich bin weit entfernt, den hohen Richtern, die den Prozeß leiteten und die Urteile fällten, den geringsten Vorwurf zu machen. Im Gegenteil, der Verlauf des Proz—ses hat das Bemühen dos Gerichtshofes nad größter Objektivität bewiesen; ich bin fest überzeugt, daß jeder der Richter sich nur durch sein Gewissen leiten ließ und so objektiv vorging, als dies überhaupt menschenmöglich ist. Aber damit berühren wir schon den wunden Punkt: ist es überhaupt menschenmöglich, in einer solchen Lage vollkommen objektiv zu sein? Es heißt zuviel einem Richter zumuten, er solle gegenüber Angeklagten, die über seine Heimat durch den Krieg unsägliches Leid gebracht haben, ohne alle Befangenheit sein. Jeder Jurist weiß es, daß in einem Zivil- oder Strafprozeß jeder Richter, der in ähnlich engen Beziehungen zum Kläger stünde, als befangen abzulehnen väre. Es könnte sogar geschehen — und vielleicht war dies in Nürnberg der Fall —, daß ehrenhafte Richter in der Besorgnis, nicht einem unterbewußten Rachegefühl Folge zu geben, zu nicht angemessen milderen Urteilen gelangen, als gnz unbefangene Richter gefällt hätten. Das zu schaffende Recht wird die Unparteilichkeit des Gerichtes und damit die Autorität des Urteils kaum anders sicher können als dadurch, daß womöglich ganz oder wenigstens teilweise der richterliche Senat aus Angehörigen neutraler Staaten zusammengesetzt wird. Für Nürnberg wäre noch zu bedenken gewesen, daß der größte Teil der Menschheit längst keines langatmigen Prozesses bedurfte, um sich zu überzeugen, daß die Führer des Dritten Reichs schwerste

Schuld auf sich geladen; ein Zweck aber des Prozesses, und wohl nicht derunwich-tigste, war es, von dieser Tatsache auch jene Teile des deutschen Volkes zu überzeugen, die etwa noch immer in der Gedankenwelt der Hitler-Herrschaft sind. Und auf diese Kreise hätte das Urteil eines neutralen Gerichtshofes mehr Eindruck gemacht als das eines von den ehemaligen Feindstaaten gebildeten Gerichts, das sie ohne viel Prüfung als „feindlich“ ablehnen werden.

Aber neben diesen im Grunde formalen und daher in Hinkunft leicht vermeidbaren Mängeln gibt es noch einen andern, viel wichtigeren Gesichtspunkt, der Beachtung erheischt. In Nürnberg wurden die Urheber des Angriffskrieges verurteilt, aber dies waren auch die im Kriege Unterlegenen. In diesem Falle, so klar wie selten in der Weltgeschichte, deckten sich die beiden Begriffe, und die Verurteilungen müssen daher als durchaus gerechtfertigt und dem allgemeinen Rechtsbewußtsein entsprechend angesehen werden. Stellen wir uns aber den umgekehrten Fall vor, der leider immer wieder eintreten kann, nämlich d a.ß der Angreifer den Krieg gewinnt. Wie wird es da mit den

Verbrechen des Vertragsbruches, des Angriffskrieges usw. stehen? Oder kann man es sich ernstlich vorstellen, daß auf der heute erreichten Stufe der internationalen Beziehungen es ein Forum geben würde, das siegreiche politische oder militärische Führer zur Verantwortung zu ziehen vermöchte? Oder betrachten wir nur den in der Vergangenheit häufigsten Fall, der, fürchte ich, auch noch in Zukunft sich wiederholen wird, daß der Angriffsgeist nicht so klar zutage tritt, wie dies im zweiten Weltkrieg der Fall war; wird da nicht vielleicht wieder erst der Krieg selbst entscheiden müssen, wer der Angreifer und wer der Angegriffene war? Selbst wenn es ein Forum von genügender Autorität gäbe, so stünde dieses in der Mehrzahl der Fälle vor einer unlösbaren Aufgabe, da es meist keine komplexere Frage gibt als die der Kriegsschuld.

Diese Betrachtungen sollen das Urteil nicht mindern, daß der Prozeß als entschiedener Schritt nach vorwärts zu werten ist Sie sollen aber zeigen, wie viel und Weitausgreifendes geschehen muß, um der friedlichen Ordnung der Menschheit den notwendigen internationalen Rechtsschutz zu errichten.

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