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Römischer Purpur 1958

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Vom 15. bis 18. Deczmber versammelt sich die katholische Kirche in Rom zu einem Geheimen und einem Oeffentlichen Konsistorium. Papst Johannes XXIII. hat mit Energie in für alle Welt überraschender Schnelligkeit die ersten und zunächst wichtigsten Schritte unternommen, um der römisch-katholischen Kirche eine vollzählige Regierung zu schaffen und einen Senat zu bilden, der die globalen Aufgaben der Weltkirche einigermaßen personal und territorial widerspiegelt.

Das ist der erste Sinn der dreiundzwanzig Kardinalskreierungen vom 17. November dieses Jahres. Der „revolutionäre“ Aspekt dieser Erhebungen wird sichtbar an zwei Momenten: Papst Johannes XXIII. hat sich über eine uralte Tradition der Kirche erhoben. Nie zuvor wurde die Zahl 70 im Kardinalskollegium überschritten, ja seit der Regelung durch Sixtus V. von 1586 galt diese Zahl der Mitglieder geradezu als unberührbar. Widerständen kurialer Herkunft gegen eine Aufhebung dieser Tradition erklärte Johannes XXIII.: Die Weltkirche von 500 Millionen Katholiken braucht eben mehr Kardinäle als die wenigen Millionen Katholiken des 16. Jahrhunderts. Ja, es steht zu erwarten, daß in absehbarer Zeit weitere Kardinäle kreiert werden, da eine Reihe von Städten, die einen Purpurträger bereits besaßen, diesmal leer ausgingen, wie Utrecht, Toulouse, Krakau, Lima, Detroit, Chikago, und ganze Kontinente, wie Afrika und Asien (zumal die in diesem Mutterkontinent Europas vorgelagerten wichtigen Philippinen) diesmal noch keinen Purpurträger erhielten. In Europa wird zumal bemerkt, daß nicht, wie erwartet, ein zweiter polnischer Kardinal erhoben wurde.

So zeigt diese erste Kardinalserhebung Johannes XXIII. nach außen hin eine bemerkenswerte „Offenheit“: hier bleibt noch viel Platz für die Arbeit der Zukunft. Offensichtlich will sich der Heilige Vater hier die Handlungsfreiheit noch vorbehalten. Um so stärkere Beachtung verdienen die bereits jetzt geschaffenen Neuerungen. Zum ersten Male in der Kirchengeschichte ziehen, mit den neuen Kardinälen von Guadalajara und Montevideo, noch zwei Völker des hispanischen Amerika in den höchsten Senat der Kirche ein: Mexiko und Uruguay. Wobei kirchenpolitisch Mexiko eine besondere Bedeutung zukommt: Jahrzehntelang tobte in der Vergangenheit ein schwerer Kampf in Mexiko zwischen militant antikatholischen Präsidenten und Regierungen einerseits und dem katholischen Volk anderseits. Römische und andere Kreise des Weltkatholizismus hielten es für ausgeschlossen, daß der Heilige Stuhl hier eine Vorleistung wahrhaftig „zum Besten geben“ werde, da die Regelung der Streitpunkte zwischen Staat und Kirche in Mexiko noch in keiner Weise heute schon absehbar ist. Johannes XXIII. denkt, wie er mehrfach bereits selbst bekundet hat, zuerst an das Volk, dann erst an die „Politik“. In diesem Sinne hat er dem Volk von Mexiko einen Kardinal gegeben - und wohl auch deshalb als Regierungszentrum nicht die Stadt Mexiko, sondern das religiös bedeutsame Guadalajara gewählt.

An das Volk, diesmal das deutsche Volk, dem er Zuversicht und Vertrauen spenden will, hat Papst Johannes XXIII. in besonderer Weise gedacht, indem er den jungen fünfundvierzigjäh-rigen Bischof von Berlin, den Sohn eines Kleinhauern aus der Rhön, Dr. Döpfner, zum Kardinal erhob. Diese Kardinalstelle steht heute in etwa für den früheren dritten deutschen Kardinalsstuhl Breslau. In eben diesen Tagen des neuen „Kampfes um Berlin“ haben das deutsche Volk und die Weltöffentlichkeit diese eindrucksvolle Dokumentation des Heiligen Stuhles dankbar zur Kenntnis genommen.

Wie sehr unser Oesterreich dankbar ist für die Bezeigung „guten Willens“, wie der Heilige Vater selbst sagte — ist an dieser Stelle schon zum Ausdruck gebracht worden

Neben Italien, das nunmehr 29 Kardinäle (neben den 46 nichtitalienischen Purpurträgern) besitzt, steht im neuen Senat der römischen Kirche einzig Frankreich mit nunmehr acht (bisher sechs) Kardinälen da. Frankreich, seit über tausend Jahren das Mutterland der wagemutigsten Experimente und Reformen in der Kirche, erhält hier, nach den schweren Prüfungen, die über den französischen Katholizismus zumal im letzten Jahrzehnt hereingebrochen waren, eine außerordentlich wichtige Stellung. Dies wird unterstrichen dadurch, daß ein Franzose, Kardinal Jullien, Dekan des höchsten päpstlichen Gerichtshofes, der Rota, als einziger Nichtitaliener Kurienkardinal wurde.

Damit stehen wir vor dem wichtigsten sichtbaren Moment der Kardinalserhebungen vom 17. November und der Konsistorien vom 15. und 18. Dezember 1958. Papst Johannes XXIII. legt den Schwerpunkt seiner ersten, raschen und großzügigen Tätigkeit als Papst darauf, der Kirche eine vollzählige Regierung in Rom zu schaffen. Wichtigste „Ministerposten“, wie man weltlich sich ausdrücken mag, waren seit Jahren verwaist oder wurden durch Ersatzmänner mit niederen Graden verwaltet. Johannes XXIII. entspricht seinem persönlichen Naturell, seiner Verantwortungsfreudigkeit und seinem Willen zu persönlichem Einsatz, daß er es sich hier angelegen sein ließ, Männer mit vollem Namen und Rang als aller Welt sichtbare verantwortliche Leiter der höchsten Regierungsämter der römischen Kurie zu berufen.

Nicht weniger als elf Kurienprälaten hat Johannes XXIII. zu Kardinälen erhoben. Das seit Jahrzehnten verwaiste Amt des Staatssekretariats hat, als Kardinal, Domenico Tardini erhalten, der bisherige Prostaatssekretär. Zum ersten Male besitzt damit wieder die römische Kirche offiziell, im vollen Lichte der Weltöffentlichkeit, einen „Außenminister“. Der vorletzte war bekanntlich Engenio Pacelli als Kardinal gewesen.

Neben Tardini darf die Ernennung von Mon-signore Roberti, dem Sekretär der Konzilskongregation, als besonder signifikant angesehen werden. Roberti gilt als einer der besten Kenner des kanonischen Rechtes. Ihm wird es obliegen, das Kardinalskollegium zu einer arbeitsfähigen Gemeinschaft zu machen.

Wenn man zu diesen Erhebungen die Verleihung der Kardinalswürde an fünf Nuntien, bewährte Diplomaten und Repräsentanten des Heiligen Stuhles an wichtigen Weltzentren, dazunimmt (nur der Nuntius von Paris, Marella, macht da eine Ausnahme — französische Kreise weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, daß Marella die unangenehme Aufgabe hatte, seit 1950 immer wieder einzugreifen in die Probleme der französischen Kirche, nicht zuletzt auch der Arbeiterpriester), rundet sich das Bild der Vorbereitung der römischen Konsistorien im Dezember 1958 sehr klar ab:

Papst Johannes XXIII. geht daran, sein Haus zu bestellen. Voll Vertrauen auf die Partnerschaft, die Mitarbeit geprägter, wohlerfahrener Männer, beruft er möglichst viele Fachleute in Führungsstellen. An ihrer Spitze steht ein Papst, der es sich zutraut, diese seine „Minister“ relativ frei arbeiten zu lassen: gebunden, mit ihm, in einem Gehorsam dem Höchsten zu. Damit erhält die römisch-katholische Kirche bereits rein technisch eine Beweglichkeit, eine Initiative, eine Handlungsfreiheit, die sie dringend benötigt, um jeweils rasch und entschlossen, umsichtig und überlegt den großen Gefahren und reichen positiven Möglichkeiten unserer Uebergangszeit begegnen zu können. Das ist nicht zuletzt der „politische“ Sinn der römischen Konsistorien vom Dezember 195 8.

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