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Römischer Vorabend

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Stiller als gewöhnlich liegt der Petersplatz am Vorabend des Konzils. Die Pilgerscharen haben sich verlaufen, die Pforten des größten Tempels der Christenheit waren zeitweilig verschlossen, weniger aus Furcht vor einem neuen Anschlag eines Frevlers oder Irren, als um den „Sampietrini“, den Arbeitern der Dombauhütte, zu gestatten, in Ruhe die letzten Vorbereitungen an der Konzilsaula zu treffen.

Die Konzilsväter kommen nunmehr in Scharen an, aus 79 Ländern, aus der Arktis wie aus Polynesien, strömen sie zu dem größten religiösen Ereignis des Jahrhunderts zusammen. Auf der Stazione Termini und auf dem Flughafen von Fiumicino sind für sie Empfangssäle bereit, zwei Ordonanzen des italienischen Heeres halten davor Wache. Die Paß- und Zollformalitäten beschränken sich auf eine ehrfurchtsvolle Verneigung. Für die Römer hat das Konzil bereits begonnen: Die Chronik der lokalen Zeitungen registriert die heiteren und die traurigen Episoden, von dem indischen Bischof, der die Adresse seines Quartiers verloren hatte und stracks zum Papst kam, um ihn um Unterkunft zu bitten, von dem ersten Bischof, der den Reisestrapazen erlegen ist, John Foster Hogan aus Bellary, der in Neapel starb; sie spinnen ihre Mutmaßungen um die ,.Hüter des Konzils“ in der Person des Prinzen Aspreno Colonna und des Fürsten Alessandro Torlonia und wittern eine „chronique scanda-leuse“ dort, wo es kaum etwas Skandalöses gibt.

Rom zeigt die Trikolore Italiens und die gelb-violetten Farben der Stadt. Den Fahnentüchern sieht man ihre Neuheit an; wenn das Konzil zu Ende sein wird, werden sie verblaßt und zerschlissen sein. Niemand vermag die Dauer des Konzils anzugeben; die erste Phase wird vor Weihnachten abgeschlossen sein, man rechnet, mit einer zweiten im Vorfrühling und mit einer dritten im Frühsommer. 2856 Einladungen sind in die Welt hinausgegangen, an 85 Kardinäle, 8 Patriarchen, 533 Erzbischöfe, 2131 Bischöfe, 26 Äbte und Prälaten mit Jurisdiktion, an 68 Ordensobere. Nicht alle werden natürlich Folge leisten können, einige sind krank, alt, einige werden durch die politische Gewalt ihrer Länder am Kommen gehindert. Es fehlen die Bischöfe aus den Staaten unter kommunistischem Regime, ausgenommen die Jugoslawiens, Ungarns und Polens, die turnusweise am Konzil teilnehmen wollen, um ihr Land nicht ohne Oberhirten zu lassen. Man erwartet auch die Bischöfe der deutschen Sowjetzone und Gäste aus der CSSR und Bulgarien.

44 Monate sind seit dem ,.Donnerschlag“ verflossen, mit dem die Ankündigung des Konzils durch Papst Johannes XXIII. verglichen worden ist, seit jenem 25. Jänner 1959, als die 17 in Rom anwesenden Kardinäle im Kapitelsaal der Benediktinerabtei von St. Paul vor den Mauern die Nachricht vernahmen. Papst Johannes hat später nicht ohne eine Prise Ironie die Szene geschildert: „Es gab ein eindrucksvolles, ehrfürchtiges Schweigen“, erzählte er schmunzelnd. Natürlich, die Kardinäle brauchten ihre Zeit, um sich von der Verblüffung zu. erholen. Niemals in der Geschichte war eine Konzilsankündigung unerwarteter erfolgt. „Man hätte annehmen sollen, daß sich die Kardinäle um Uns scharen und Uns ihre Glückwünsche aussprechen würden, statt dessen ...“ Die Erklärung für das Verhalten der Kardinäle gab der erste von ihnen, der tags darauf in Audienz kam: „Unsere Bewegung war so tief und unsere Freude über ein so kostbares Geschenk so groß, daß wir die Worte nicht fanden, um unseren Jubel und unseren uneingeschränkten Gehorsam auszudrücken.“ Mit sanfter Hand, aber unbeirrbarer Zielstrebigkeit hat Papst Roncalli in diesen 44 Monaten die Vorbereitungen zu dem Konzil betrieben, obwohl zumindest am Anfang keineswegs alle Beamten der römischen Kurie von der Opportunität der Einberufung überzeuet waren und auch im Jesuitenorden Zweifel darüber aufgetaucht waren. Das Konzil würde eine Reihe brennender Probleme bloßlegen, zu Entscheidungen zwingen, denen die Kirche bisher ausgewichen ist. Aber gerade das war es, was der Papst wollte.

Die Idee ist keineswegs sofort richtig verstanden worden. Die kurze Zeit vor der öffentlichen Ankündigung hat vielleicht mitbewirkt, daß es sofort zu einem ersten Mißverständnis gekommen ist, das erst im Laufe der Zeit geklärt wurde. Bei der Mitteilung an die Kardinäle in dem Wortlaut, der sofort auch an die Weltpresse weitergegeben worden ist, nahm der Gedanke der Union aller Christen eine Bedeutung an, die sich dann später nicht bestätigt hat. Doch hat Johannes XXIII. selbst in späteren Ansprachen und in Bemerkungen im privaten Umgang verstehen lassen, welche Hoffnungen auf die Wiederherstellung der Einheit aller Christen er ursprünglich gesetzt hat, und erst im Laufe der Zeit und in dem Maß, wie diese Hoffnungen enttäuscht wurden und die Schwierigkeiten sich in ihren klaren Umrissen zeigten, ist der Sinn des Konzils korrigiert worden. Die Bedeutung des Wortes „ökumenisch“ erhielt die notwendige Einschränkung im Sinne von „gesamtkatholisch“, die in manchen Köpfen geisternde Vorstellung von einem Unionskonzil machte der nüchternen Auffassung Platz von einem Konzil, das die Einheit der Christen fördern und vorbereiten sollte. Das ist zweifellos bereits in der vorbereitenden Phase geschehen, die Kontakte des Heiligen Stuhles und des Papstes mit den anderen christlichen Gemeinschaften und ihren Exponenten sind niemals so rege und positiv gewesen, niemals hat der Vatikan so viele und hochgestellte Besucher anderer christlicher Konfessionen gesehen.

Während der Vorbereitung hat der Heilige Stuhl immer wieder im Kreuzfeuer von Polemiken gestanden, in erster Linie von katholischer Seite, die glaubten, stimulierend eingreifen zu müssen. Die strenge Geheimhaltung, die man in Rom für notwendig hielt, hat zu Mißverständnissen geführt, die fast immer nur auf Unkenntnis der Sachlage zurückzuführen waren. So ist die Demokratizität der Vorbereitung angezweifelt worden. Aber selbst, wenn es die Absicht der Kurie gewesen wäre, „von oben“ die Schemata der beim Konzil zu behandelnden Themen zu diktieren, wäre sie vom Papst selbst vereitelt worden. Von ihm ging die Methode der Umfrage beim gesamten Weltepiskopat, bei den Orden und katholischen Hochschulen aus, die bisher niemals in einem solchen Umfang geübt worden ist. „Lassen wir den Bischöfen jede Freiheit, sie werden dann größere Genugtuung empfinden und spontaner antworten.“

Und die Bischöfe antworten mit einem Freimut, der nichts zu wünschen übrigläßt. Mit dem gleichen Freimut sprechen sie in den vorbereitenden Kommissionen, in der Zentralkommission, auch in Anwesenheit des Papstes. Die Verschiedenheit der Meinungen prallte manchmal recht hart aufeinander. „Ohne Zweifel sind die organischesten, konstruktivsten, aber auch polemischesten Vorschläge aus dem Herzen Europas gekommen“, stellt eine römische Tageszeitung fest.

Die deutschen, österreichischen, holländischen, belgischen und französischen Episkopate wünschen eine Dezentralisierung der kirchlichen Verwaltung und eine Aufwertung der Funktion und Autorität des Episkopates. Es ist dies ein Vorschlag unter vielen anderen, aber kein anderer hat die Scheidung der Geister zwischen „konservativen“ und „fortschrittlichen“ Elementen, wenn die Ausdrücke hier gestattet sind, besser erkennen lassen. Die Kurialbeamten, auch in den höchsten Graden, stehen so „revolutionären“ Vorschlägen, die den Bischöfen ein rechtes Maß von Autonomie zurückgeben und sie nicht bloß als ausführende Organe der römischen Kurie erscheinen lassen wollen, mit Mißtrauen gegenüber. Bezeichnend dafür ist der geheimnisvolle Inspirator eines Leitartikels im römischen „Messaggero“, wo es dazu heißt: „Es ist geschehen, was bis vor wenigen Jahrzehnten noch unglaublich erschienen wäre. Aus verschiedenen Teilen der christlichen und katholischen Welt kommt eine wahre Undul-dung typisch .westlichen' Charakters gegenüber der JKirche von Rom zum Ausdruck. Es werden. Wünsche laut, denen gegenüber die ,Los-von-Rom'-Parole Martin Luthers verblaßt. Von verschiedenen Seiten wird nicht mehr und nicht weniger als eine Dezentralisierung der Gewalt der kirchlichen Hierarchie verlangt. Eine sehr gefährliche Forderung, die zur Schaffung von Nationalkirchen führen kann, mit den genugsam bekannten Folgen, die jedem in Erinnerung sind, der sich der die Kirche so sehr schwächenden Polemiken in den vergangenen Jahrhunderten entsinnt. Zumindest als Möglichkeit zeichnet sich eine Gefahr für die Kirche ab, die gefährlichste aller Häresien, nämlich der Episkopalismus, der die strenge, feste Einheit der kirchlichen Hierarchie zerbricht.“

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