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Romulos Wiederkehr

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Venezuela — wie viele südamerikanische Staaten — war bisher immer eine Republik mit dem Präsidenten als Herrscher. Er wurde gewählt, meistens aber brachte er sich mit Hilfe des Militärs selbst an die Macht.

Romulo Betancourt, des Landes verwiesen, kam 1940 nach Venezuela zurück, als sein Freund, Romulus Gallegus, der bedeutendste Romanschriftsteller Venezuelas, gegen General Medina als Präsidentschaftskandidat unterlag. Er benutzte die relative politische Freiheit, um seine stark linksgerichtete „demokratische Aktionspartei” (Accion democratica) zu gründen, stürzte in heftigen Kämpfen 1948 Medina und setzte an seine Stelle seinen Freund Gallegus. Er selbst regierte als Minister nur kurze Zeit das Land, da ihn Perez Jimenez durch einen Militärputsch vertrieb. Durch zehn Jahre wan- derte er von einem Asyl ins andere, zuletzt lebte er in New York. Durch fast neun Jahre beherrschte P. Jimenez das Land als Diktator, bis es im Jänner 1958 dem Konteradmiral Wolfgang Larrazabal gelang, Jimenez zur Flucht zu zwingen.

Mit diesem Zeitpunkt begann nun die einjährige Regierung Larrazabals und seiner Junta, die trotz ihrer unbeschränkten Machtbefugnisse deshalb als demokratisch bezeichnet werden kann, weil die Ausübung der Macht in einer für Venezuelas Geschichte völlig neuen Weise erfolgte. In jeder der vielen Revolutionen war es Ziel des Anführers der Aufstandsbewegung gewesen, sich selbst an die Spitze der neuen Regierung zu stellen. Larrazabal rief nicht nur alle verbannten Parteiführer zurück, er bestimmte auch den Termin der Wahl des Präsidenten und der Abgeordneten noch für das Jahr seines Sieges; er sorgte auch für eine freie und echte Wahl. Den sichersten Beweis hierfür lieferte Larrazabal selbst aber dadurch, daß er in ehrlicher Gleichstellung mit den anderen Kandidaten um die Gunst der Wähler kämpfte und — verlor. In Zivil, als sentimentaler und ehrenwerter Seemann — eine Zeitung Kolumbiens nennt ihn: marino sentimental y hon- rado —, warf er von den Baikonen Kußhände unter seine Zuhörer, schüttelte echt amerikanisch viele, viele Hände, versprach allen alles und unterlag genau so wie Doktor Caldera, der als Führer der christlichdemokratischen COPEI im Fernsehen sein Programm mit tadelloser Logik darlegte. Der 50jährige Betancourt, gereift und gemäßigt durch sein vieljähriges Exil, nach seiner Vergangenheit als gefährlicher Hitzkopf beurteilt, wußte durch seine maßvollen Ausführungen die Bedenken in gewissen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Sektoren des Landes zu zerstreuen. Am meisten vielleicht half ihm, daß er die Kommunisten von seiner Partei ausschloß und sie so zwang, den Admiral zu unterstützen. Daß sie mit kluger Voraussicht keinen eigenen Präsidentschaftskandidaten aufstellten, zeigt das Ergebnis von rund 125.000 kommunistischen Stimmen gegen fast zwei Millionen für alle andern.

Wirtschaftlich gesehen war das erste Jahr Demokratie ein Mißerfolg. Daß die Tage des Kampfes alle wirtschaftliche Tätigkeit stilllegten, war selbstverständlich. Daß aber auch die Zeit nachher bis zur Uebernahme der Macht durch den neuen Präsidenten voll Unruhe, Unsicherheit und Stagnation war, wäre zu verhindern, zumindest zu mildern gewesen. Die provisorische Regierung konnte sich zu keiner ernsten Maßnahme durchringen, wich vielmehr von jeder Forderung zurück. An Stelle der aufgelösten reaktionären Polizei wurde keine Organisation geschaffen, die Ruhe und Sicherheit garantieren konnte. „Caracas ist heute in einem nie gekannten Ausmaß von Verbrechern überschwemmt. Dies geschieht angesichts einer offenkundigen Unfähigkeit der Obrigkeit, dem Gesindel entgegenzutreten, das die ehrbare Bürgerschaft in dauernde Gefahr bringt.” So schrieb im Jänner 1959 eine der größten Zeitungen von Caracas. Die Diktatur hatte Schulden von eineinhalb Milliarden Bolivar — etwa 12 Milliarden Schilling — hinterlassen, zu deren Bezahlung nichts unternommen wurde. Die öffentliche Bautätigkeit, die größte im Lande, wurde eingestellt, die Arbeiter wurden entlassen. Der private Bausektor, der in Caracas und in den Provinzialhauptstädten in den letzten Jahren so viele Hochhäuser mit modern ausgestatteten Appartements jeder Größe aufgestellt hatte, daß das Angebot die Nachfrage weit überstieg, stellte seine Tätigkeit ein, da ihm die bisher stets erreichte zehnprozentige Verzinsung des investierten Kapitals fraglich erschien.

So entstand Arbeitslosigkeit in einem Lande, das stets an Arbeitermangel gelitten hatte. Die staunenden Caraquefier sahen eine Demonstration, bei der nicht höhere Löhne, sondern Arbeit gefordert wurde. Es entstanden Gerüchte von einer Abwertung des Bolivars, von einer Devisenkontrolle, die allerdings vom Finanzminister offiziell dementiert wurden. Dabei ist die Oelproduktion von fast drei Millionen Fässern täglich auf Rekordhöhe. Die einzige Maßnahme der provisorischen Regierung ist die Erhöhung der Einkommensteuer, der einzigen direkten Steuer Venezuelas, die den Gewinnanteil des Staates an der Oelproduktion von 50 auf fast .70 Prozent erhöht. Die Creole- und Standard-Oil-Compagnie, die das meiste Oel in Venezuela erzeugen, erklärten diese Maßnahme für einen schweren Schlag, der das Klima für neue Investitionen radikal beeinträchtige. Da man aber dem zweitgrößten Petroleumproduzenten der freien Welt kaum verweigern kann, was den arabischen Fürsten des Nahen Ostens zugebilligt wird, wird es wohl zu einer Einigung kommen, um so mehr, als Betancourt ausdrücklich erklärte, daß er eine Nationalisierung des Petroleums nicht beabsichtige. Er hat den Durchschnittsprofit der 5 3 Petroleumgesellschaften — mit 32 Prozent geschätzt — für zu hoch erklärt.

So hat die provisorische Regierung dem gewählten Präsidenten eine ungeheure Arbeitslast hinterlassen: Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, Wiederherstellung von Frieden und Sicherheit in der Wirtschaft und in der Politik. Er hat hierzu verlangt und erhalten: die Unterstützung aller Parteien, mit Ausnahme der Kommunisten. In der Kommission für Agrarreform sitzt auch der Erzbischof von Caracas. Natürlich hängt alles davon ab, ob es Betancourt gelingt, den Weg der Mitte, den das Volk Venezuelas in seiner Wahl bestätigte, nach rechts und links zu sichern und seinem Land den Arbeitsfrieden zu geben. Dann wird es bald wieder das sein, wofür es bisher galt: eines der reichsten Länder der freien Welt.

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