6751281-1967_29_06.jpg
Digital In Arbeit

Rückkehr der verlorenen Söhne?

Werbung
Werbung
Werbung

„Wird Georges Bidault noch einmal eine politische Rolle spielen, falls er nach Frankreich zurückkehren darf?“

„Warum nicht?“, erwiderte sehr bestimmt Robert Bichet, ehemaliger Informationsminister und langjähriger Generalsekretär der NEI (Union der Christlich-Demokratischen Parteien). Minister a. D. Bichet führt seit Monaten einen energischen Kampf für die bedingungslose Rückkehr zweier sehr umstrittener Politiker. Der frühere Chef des MRP, Präsident des obersten Rates der nationalen Widerstandsbewegung während des Krieges, Ministerpräsident 'und Außenminister Georges Bidault, lebt ebenso seit Jahren im Exil wie Jacques Soustelle, Gaullist der frühesten Stunde. Dieser war der erste Generalsekretär des RPF und — bittere Ironie des Schicksals — Begründer der derzeitigen Regierungspartei UNR.

Bidault und Soustelle haben in entscheidender Weise die Geschicke der Vierten Republik mitbestimmt, und den Charakter dieses Regimes geprägt. Sie waren profilierte Köpfe der französischen Resistance und gerieten, wie es Bidault als Titel seiner Memoiren verwendet, „von einem Widerstand in den anderen“. Sie begannen, die Politik des Staatschefs zuerst in Frage zu stellen, um sie dann offen zu bekämpfen.

Robert Bichet unternahm es auf Grund engster persönlicher Beziehungen, für die Rückkehr seines

Freundes Bidault einzutreten. Dieser jedoch verlangte ausdrücklich, daß seine Heimkehr mit der von Soustelle junktimiiert werde, obwohl letzterer nicht der gleichen politischen Familie angehört. Im Dezember 1966 verbreitete Robert Bichet den Text einer Petition, in der die bedingungslose Rückkehr der verlorenen Söhne verlangt wurde. Von 1700 angeschriebenen Personen wurden 951 positive Antworten gegeben. Vor kurzem erfolgte eine zweite Aussendung von 7000 Exemplaren, die an Parlamentarier, Mitglieder der Akademie, Professoren und Priester gerichtet wurde. In nur zwei Antworten wurde die Nützlichkeit dieser Aktion bestritten. Auch zahlreiche Persönlichkeiten der Regierungsparteien — darunter der Chef der . unabhängigen Republikaner, Giscard d'Estaing — sprachen sich entschieden für die Aufhebung des Exils aus. Eine allgemeine Amnestie, die alle Urteile und Verbannungen im Zusammenhang mit dem algerischen Krieg aufheben soll, wurde bisher von der gaullistischen Mehrheit gemeinsam mit den Kommunisten zu Fall gebracht.

Die Heimkehr von Georges Bidault und Soustelle ist daher nicht nur unter dem Blickpunkt dieser individuellen Fälle zu betrachten, sondern stellt ohne Zweifel politische und moralische Fragen, die auf die französische Innenpolitik zurückwirken.

Die Armee im Dunkeln

Georges Bidault war vor dem Kriege Geschichtsprofessor und zeichnete sich als Leitartikler der ch ri s 11 i ch - de m okr atis ch en T ages -zeitung „LAube“ aus, die später das Zentralorgan des MRP wurde. Seine warnenden Aufsätze gegen die Gefahren, die, vom Nationalsozialismus und vom Faschismus ausströmend, die westlichen Demokratien bedrohten, zählen heute zu den klassischen Meisterwerken der politischen Journalistik. Nach der Ermordung des ersten Präsidenten'der Widerstandsbewegung, Moulin, wurde Bidault Chef dieser Organisation, und es gelang ihm, die beiden Ströme der Resistance, den katholischen und den kommunistischen, auf einen Nenner zu bringen. Er schuf die gewaltige und schlagkräftige Armee im Dunkeln.

Seine Beziehungen zu General de Gaulle waren auch in diesen Jahren nicht die besten. Bidault erkannte als erster, daß die französische Außenpolitik einer Revidierung bedürfe, daß die streng nationalistischen Akzente der europäischen Wirklichkeit keineswegs angepaßt seien. Als Außenminister wirkte er entschieden an der Bildung des Buroparates mit und darf als einer der Begründer der europafreundlichen Politik Frankreichs angesehen werden. Auf seinen Bemühungen fußend, konkretisierte Robert Schu-man diese Ideen.

Georges Bidault war einer der bedeutendsten Wortführer des MRP und fungierte als anerkannter Sprecher der christlichen Demokratie. Sein Freund Bichet betont: „Georges Bidault ist als christlicher Demokrat geboren, er wird als solcher auch sterben.“

Während des algerischen Krieges trat Bidault entschieden für ein „französisches Algerien“ ein und näherte sich jenen Rechtskreisen, die zu keinen Konzessionen, wie einer internen Autonomie, bereit waren. Seine Haltung entfremdete ihn seiner eigenen Partei. Er wurde innerhalb des MRP ein Einzelgänger, und als bereits der Schatten der algerischen Revolte, des 13. Mai 1958, über Frankreich lag, wurde er beauftragt, eine Regierung zu bilden. Die Volksrepublikaner versagten ihm jede Unterstützung. Er gründete kurz darauf eine neue Partei. „Die christliche Demokratie Frankreichs“, die es immerhin auf 500.000 Stimmen brachte. Diese Partei lebt auch heute noch in der Form eines politischen Klubs weiter.

Unglückliche Kontakte

Bidault hatte die Rückkehr des Generals gefordert, erkannte jedoch bald, daß die Politik des Staatschefs die restlose Aufgabe Algeriens bezwecke. Er spann daher Fäden zu den weißen algerischen Extremisten, den putschlüsternen Generälen und au Abenteurern wie dem algerischen Barbesitzer Ortiz, der vom 24. Jänner bis 1. Februar 1960 in der Stadt Algier den Aufstand, genannt „die Barrikaden“, entfesselte. Bidault gehörte niemals der OAS an, nahm allerdings Kontakte zu den militärischen Gegnern General de Gaulles auf, wie zu Oberst Argoud, der später von den Bar-bouzes (parallele Polizeiorgane) in München entführt wurde.

Bidault flüchtete zuerst in die Bundesrepublik und erbat von seinem alten Freund und Kampfgenossen Adenauer politisches Exil. Bundeskanzler Adenauer hat die Bitte dem Absender ungeöffnet zurückgeschickt, aber auch die übrigen Nachbarstaaten Frankreichs verweigerten dem früheren Außenminister jede Aufenthaltsgenehmigung. Schließlich entschloß sich Brasilien zu einer Geste der Menschlichkeit. Bidault hielt bis vor wenigen Tagen Kurse an der lokalen Universität ab, umsorgt von seiner Gattin, die er als einzige Frau im diplomatischen Dienste zum bevollmächtigten Minister brachte und erst in diesen Wochen aus der aktiven Dienstleistung ausschied.

Bidault glaubt, nach einer Rückkehr, die mit gewisser Wahrscheinlichkeit in dieser Legislaturperiode erfolgen wird, an einer Neugruppierung der Mitte teilnehmen zu können. Der gaullistischen Bewegung räumt er keine Beständigkeit ein. Die Spaltung Frankreichs in zwei Blöcke lehnt er ab. Er glaubt vielmehr, daß die Erneuerung der Mitte eine Notwendigkeit der innenpolitischen Situation sei. Die christliche Demokratie habe sich nicht mehr als selbständige Partei zu etablieren, sondern diene als Ferment, um die Sammlung der bürgerlichen mit den sozialreformatorischen Kräften zu erleichtern.

Comeback Soustelles?

Jacques Soustelle war der politische Kopf des 13. Mai 1958. General de Gaulle hat den bedingungslosen Einsatz seines langjährigen Kampfgefährten niemals honoriert, ihm nur zweitrangige Ressorts anvertraut und ihm jede Einflußnahme auf seine algerische Politik unterbunden. Soustelle nahm an keiner Verschwörung teil, er verteidigte wohl die Lebensrechte der weißen Siedler, hielt sich aber sowohl von den Barrikaden wie dem Putsch der Generäle (22. bis 24. April 1961), ferne. Er hat niemals der OAS angehört, sich mit der Art der Geheimarmee keineswegs befreundet, trotzdem wurde er aus der UNR ausgeschlossen und verfolgte als einsamer Rufer die Tragödie Algeriens. Die „verratene Hoffnung“, wie sein Erinnerungswerk über diese Jahre lautet, lastet bis auf den heutigen Tag auf ihm. Auch er rechnete mit einer Verhaftung, ein diesbezüglicher Befehl wurde erlassen und sollte noch im März 1967 ausgeführt werden, falls er sich als Kandidat zu den Parlamentswahlen persönlich in Lyon einfinden würde.

Uber sein derzeitiges Leben liegt ein gewisser Schleier des Geheimnisses. Als einer der besten Kenner der vorkolumbianischen Kulturen gab er mehrere wissenschaftliche Arbeiten über diese Epoche der Menschheit heraus. Er ist mit zahlreichen Freunden in Paris in ständigem Kontakt und bereitet ein politisches „Comeback“ vor, wobei er als Orientierung angibt, zwischen Lecatnuet und Mitterand zu stehen.

Werden Bidault, der, obwohl gealtert, über die volle Kraft seines Geistes verfügt, und der bewegliche Soustelle wieder in den Kreislauf der politischen Kräfte zurückkehren?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung