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Rückkehr zur Gelassenheit

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Politik braucht auch ihre symbolischen Handlungen und Personen, will sie mehr als pure Pragmatik sein.

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Politik braucht auch ihre symbolischen Handlungen und Personen, will sie mehr als pure Pragmatik sein.

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Es ist schon eigenartig: Jeder, der auf sich hält, spricht in diesen Tagen über das Amt des Bundespräsidenten nicht ohne jenen ironisch-distanzierten Unterton, der wohl so etwas wie überlegene Intellektualität signalisieren soll. Gleichzeitig aber wird dieses mit milder Herablassung betrachtete und doch höchste Amt im Staat zur Causa prima der Republik. Ein parteipolitisches Taktieren, ein massenmediales Gemau-schel um Doch-nicht-viel-leicht-schon-wieder-Kandida-turen setzte ein, wie es das Land im Vorfeld einer Präsidentenwahl so noch nicht erlebt hat- bei gleichzeitiger Beteuerung so mancher Protagonisten, daß das Thema doch, bitte schön, die ganze Aufregung nicht wert sei ...

Das alles hängt natürlich zum einen mit der Eigendynamik einer Medienwelt zusammen, die sich ihre Gesetze schafft, denen sie dann zwanghaft folgt; zum anderen aber verweist dieser schier endlos anlaufende Vorwahlkampf mit all seinem Geplänkel und Gezeter überdeutlich auf die fortgeschrittene Entzauberung des Präsidentenamtes. Wobei sich auch im Falle des Staatsoberhauptes bewahrheitet, daß die Aufklärer den Mythos offenkundig am dringendsten brauchen.

Die „Vertreibung aus dem Paradies” begann mit den hinlänglich erörterten Ereignissen um Kurt Waldheim. Diese bildeten ja eine zweifache Zäsur: die Befassung mit Österreichs Rolle in der NS-Zeit erlangte eine vorher nicht gekannte Dimension; und der „erste Mann im Staat” wurde, einmal aus dem Bereich des Tabus herausgeholt, zu einer politischen Figur wie andere auch. Der Bundespräsident hatte die Aura des Unantastbaren verloren - vielleicht am augenfälligsten wahrnehmbar an seit dieser Zeit kursierenden einschlägigen Karikaturen und Witzen. Dem Paradies ist freilich der Charakter des Fiktiven eigen. Es bezeichnet, als Vorgriff auf ein Ideal, einen Zustand, der nie wirklich war. Deswegen stimmt das eben Gesagte und stimmt gleichzeitig nicht: Natürlich war das Bundespräsidentenamt auch in Vor-Waldheim-Zeiten nicht völlig den Niederungen der Tagespolitik enthoben, gewiß traten auch bei früheren Präsidentschaftskandidaten menschlich-allzumenschliche Züge, persönliche Schwächen und biographische Unsauberkeiten zutage. Und dennoch ist eine neue Qualität in der öffentlichen Wahrnehmung und Diskussion dieser Phänomene seit 1986 unübersehbar.

Die Entzauberung des Bundespräsidentenamtes hat sich auch in der Ära Klestil fortgesetzt - in anderer, aber nicht weniger dynamischer Weise. Die angestrebte Normalisierung fand nur hinsichtlich der internationalen Kontakte auf der außenpolitischen Bühne statt. Dort hat Klestil gute Figur gemacht, das war dringend notwendig, und es ist verdienstvoll genug. Daß die Person Thomas Klestil gleichzeitig Objekt von Gerüchten, Spekulationen und spekulativen Untergriffen wurde wie vor ihm kein anderer Präsident, steht auf einem anderen Blatt. Inwieweit es Klestil selbst beschrieben hat, wird er selbst am besten wissen - die Fakten jedenfalls sind nicht wegzuwischen. Es wäre aber zu kurz gegriffen, würde man diese Seite der bisherigen Amtszeit Kle-stils nur an den Themen „Ehekrise” und „Krankheit” aufhängen. Sie hat auch - und hier trägt das Blatt unzweifelhaft seine persönliche Handschrift - mit dem Amtsverständnis zu tun: Wers wie Klestil zu Beginn seiner Amtszeit, sich nicht mit der durch die Realverfassung gegebenen Rolle des österreichischen Staatsoberhauptes bescheiden will und den Anspruch auf Mitgestaltung erhebt, der gerät unweigerlich in die Mühlen des tagespolitischen Geschäfts - auch mit allen seinen Schattenseiten.

Thomas Klestil hat das eingesehen und zuletzt deutlich zurückhaltender agiert als in den kraftvollen Anfangsjahren. Auch das hat ihm freilich Kritik eingetragen. Und wie immer er auch seine - wahrscheinliche - zweite Amtszeit anlegen wird, es ist nicht zu erwarten, daß die Diskussionen um Amt und Amtsträger verstummen werden - die „Rückkehr ins Paradies” kann und wird, es nicht geben.

Im Hintergrund all dieser Diskussionen steht letztlich die Frage, was denn der Bundespräsident sein solle; und es drückt Sich in dieser Frage die Unzufriedenheit mit jener spezifisch österreichischen Variante eines Präsidentenamtes aus, das der Politologe Man-fried Welan in einem eben erschienenen Buch pointiert als „großes Konzept ohne Konsequenz” bezeichnet hat.

Indes, es steht zu befürchten, daß das Amt nicht besser würde, wenn man an ihm herumschnipselte. Dieses steht in der Spannung zwischen realpolitischer Quasi-Ohnmacht einerseits sowie Aufwertung durch Volkswahl und höchster formaler Autorität andererseits. Doch diese Spannung gilt es seitens des Amtsträgers wie der Staatsbürger und -bürgerinn-nen auszuhalten; eine Auflösung in die eine oder andere Richtung hin ist wohl kaum wünschenswert: Es gibt keine zwingenden Gründe für eine Umwandlung Österreichs in eine Präsidialrepublik; aber auch einer Demontage oder gar Abschaffung des Amtes stehen prinzipielle Überlegungen entgegen.

Aus gutem Grund kennen nicht nur Staaten, sondern auch Institutionen die Parallelstruktur von Präsident (Vorsitzendem, Repräsentant nach außen, Abt ...) und Regierungschef (Kanzler, Generalsekretär, Geschäftsführer, Prior .;.). Das hat nicht nur mit einer durchaus sinnvollen Arbeitsteilung, sondern auch mit einer wohlbedachten Aufteilung von Macht und Autorität zu tun.

Nicht zuletzt aber gründet diese Doppelstruktur darin, daß Politik (und jede form institutionalisierten menschlichen Handelns) auch ihre Symbolik braucht, will sie mehr als pure Pragmatik sein. Entgegen einer radikal-liberalen Sichtweise lebt ein Gemeinwesen auch von symbolischen Handlungen und Figuren, die freilich nach demokratisch-rechtsstaatlichem Verständnis niemals quasi-religiös überhöht werden dürfen.

Was bleibt, ist die Frage inwieweit nationale Symbole angesichts fortschreitender europäischer Integration obsolet geworden sind. Wahr ist, daß die Dynamik des Integrationsprozesses Gewichtungen verändert hat. Wahr ist aber auch, daß Europa als eigenständige politische Struktur (vergleichbar etwa dem Nationalstaat) zur Zeit bestenfalls ein Versprechen ist, dessen Einlösung nicht unmittelbar bevorsteht. Und wahr ist auch, daß wir, selbst wenn wir eines Tages tatsächlich Europäer werden sollten, immer auch Österreicher, Italiener, Polen, Spanier bleiben werden wollen. Alles andere - ein völliges Erodieren des Staates, das neben der europäischen nur mehr die regionale Ebene kennt, ist aus heutiger Sicht weder wünschenswert noch wahrscheinlich.

Auf diesem Hintergrund sollten das höchste Amt im Staat und seine Bewerber gemessen werden. Nötig wäre eine daraus folgende Relativierung der Diskussion: mehr Gelassenheit in Kenntnis der eigentlichen und wirklich dringlichen Probleme des Landes.

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