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Ruhe und Komfort

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Charakterisierungen der niederösterreichischen Landschaft beginnen meist mit der Wendung: Niederösterreich ist ein Land der Vielfalt. Wer das Land unter der Enns auch nur flüchtig kennt, der weiß, daß diese Feststellung nicht bloß eine Phrase ist. Kein anderes Bundesland hat wie Niederösterreich an so verschiedenartigen, zum Teil sogar gegensätzlichen landschaftlichen und klimatischen Zonen Anteil. Den hochalpinen Regionen im Süden des Landes stehen weite, ebene Landstriche mit pannonischem Steppencharakter im östlichen Niederösterreich gegenüber. Der Norden hat — wer vermutet das hier? — starken skandinavischen Einschlag. Die Landesmitte beherrscht vom Westen nach Osten das breite Band der Donau, die ihre allerdings nur an sonnigen Herbsttagen blauen Fluten an fruchtbaren Agrargebieten und Weinterrassen vorbeiwälzt.

Die Landschaft bestimmt den Charakter des Fremdenverkehrs in diesem Land. Auch er ist außerordentlich vielseitig. Nicht nur, was die landschaftlichen Voraussetzungen anbelangt, sondern auch im Hinblick auf den gebotenen Komfort. Es ist heutzutage für den Gast mit höchsten Ansprüchen ebenso vorgesorgt wie für den einfachen Touristen mit schmaler Brieftasche. Den Begriff „niederösterreichische Gastlichkeit“ prägen gleichermaßen das Luxushotel und die einfache Gaststätte. Ein besonderer Vorzug Niederösterreichs sind vor allem die Ruhe und Ungestörtheit, die dem Urlaubsgast hier geboten werden.

Auf keinem anderen Wirtschaftszweig Niederösterreichs lasteten die Folgen der Besatzung so schwer wie auf dem Fremdenverkehr. Die Demarkationslinien schnitten unser Land hermetisch vom ausländischen Urlauberstrom ab. Auch als die Kontrollen an den Grenzen der russischen Besatzungszone gemildert wurden, übte das Odium Niederösterreichs, russisch besetztes Gebiet zu sein, auf das reiselustige und erholungsuchende

Publikum des Auslandes noch lange eine abschreckende Wirkung aus.

Das Ausbleiben des Urlauberstroms aus dem Westen machte sich doppelt schmerzlich bemerkbar, weil Niederösterreich ja vom Osten her von den traditionellen Einzugsgebieten seiner Kurorte und Sommerfrischen keine Gäste mehr erwarten konnte. Der Eiserne Vorhang unterband den Reiseverkehr zwischen Niederösterreich und diesen Ländern radikal. Die Folge war, daß die meisten niederösterreichischen Hotels, soweit sie nicht von den Besatzungstruppen in Beschlag genommen waren, leerstanden. Auf dem Sem-mering beispielsweise, der vor dem Krieg ein vielbesuchtes Stelldichein der Hautevolee Mittel- und Osteuropas war, lag der Fremdenverkehr total darnieder.

Die Hotellerie war benachteiligt

Zerstörungen, Devastierungen und Plünderungen bewirkten, daß der geringen Nachfrage nach Fremdenunterkünften auch nur ein sehr bescheidenes Bettenangebot gegenüberstand. Eine sehr nachteilige Folge der russischen Besatzung war auch, daß dem niederösterreichischen Fremdenverkehr nicht durch ähnliche großzügige Unterstützungsaktionen wieder auf die Beine geholfen wurde, wie sie der Hotellerie und dem Gastgewerbe Westösterreichs in ?orm der ERP-Hilfe zuteil wurden.

Alle diese negativen Erscheinungen trugen dazu bei, daß sich der Fremdenverkehr unseres Landes nur äußerst langsam aufwärtsentwickeln konnte. Der eigentliche Aufstieg setzte erst 1955, nach dem Abzug der Besatzungstruppen, ein. Was bis dahin geleistet worden war, zeugte zwar von großem Heroismus und ungebrochenem Lebenswillen, kam aber auf Grund der ungünstigen Verhältnisse nur wenig zum Tragen.

Der seit der Wiedererlangung der vollen staatlichen Unabhängigkeit Österreichs steigende wirtschaftliche Wohlstand, die Hebung des Lebensstandards breitester Bevölkerungsschichten auf ein bisher noch nie erreichtes Niveau und die Ausdehnung der Freizeit der Berufstätigen eröffneten dem niederösterreichischen Fremdenverkehr große Chancen. Zwar verschrieben sich viele Großstädter im ersten Taumel des modern gewordenen Sozialtourismus dem aufreibenden Hetzen von Land zu Land, von Stadt zu Stadt und von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit, doch kühlte die Begeisterung dafür verhältnismäßig rasch wieder ab. Die meisten erkannten, daß geruhsame Ferien abseits von Lärm und Hast doch genußreicher und wertvoller sind als das Kilometerfressen. Das führte dazu, daß die Wiener Niederösterreich neu entdeckten.

Unser Gastgewerbe war unterdessen nicht untätig geblieben. Mit Unterstützung des Landes, der Handelskammer und zum Teil auch des Bundes gelang es vielen Betrieben, in bezug auf Komfort, Bedienung und Ausstattungsniveau den internationalen Standard wieder zu erreichen. Es war dies auf Grund des Fehlens solch großzügiger Förderungsmaßnahmen, wie sie die bereits erwähnte ERP-Hilfe für Westösterreich darstellten, kein leichtes Unterfangen.

Daß Niederösterreich auf dem Gebiet des Fremdenverkehrs den modernen Erfordernissen sehr aufgeschlossen gegenübertrat, zeigt allein schon die Tatsache, daß die erste Landesinternatsberufsschule unseres Landes den Lehrlingen des Gast- und Schankgewer-bes gewidmet war. Die Fremdenverkehrsförderung — wir dürfen es heute dankbar feststellen — beruhte in Niederösterreich auf einer sehr breiten Basis. Sie beschränkte sich nicht auf Kreditaktionen, die durch Mittel der öffentlichen Hand ermöglicht wurden, sondern stützte sich auf die Mitwirkung nahezu aller Bevölkerungsschichten. Ihr Bogen spannte sich von den Ortsverschönerungen bis zum Bau neuer Bäder. Der Schulbub, der den Fremden ein herzhaftes „Grüß Gött!“ zurief, trug ebenso zur Verbesserung des Fremdenverkehrsklimas bei wie die Gemeindeväter, die die Initiative neuer Skilifte oder Kurmittelhäuser ergriffen.

Die Niederösterreicher haben sehr schnell begriffen, daß der Fremdenverkehr alle angeht, daß er eine Säule unserer gesamten Wirtschaft darstellt und seine Belebung nicht nur den Zimmervermietern und Gastwirten, sondern indirekt der ganzen Bevölkerung zugute kommt. Gestützt auf diese erfreuliche Gesinnung gegenüber dem Fremdenverkehr, gelang es uns, bereits wieder nahe an die Nächtigungszahlen der Vorkriegszeit heranzukommen. Die Lücken, die durch den Ausfall der Gäste aus den Oststaaten entstanden sind, konnten wieder weitgehend wettgemacht werden.

Die steigende Beliebtheit Niederösterreichs beim Wiener und beim ausländischen Urlauberpublikum berechtigt zu schönen Hoffnungen. Wenn das Land unter der Enns auch nicht mehr die Spitzenstellung im österreichischen Fremdenverkehr einnimmt, die es vor dem zweiten Weltkrieg unangefochten behaupten konnte, so ist es doch auf dem Wege, einen seinen landschaftlichen Schönheiten und seinem Erholungscharakter entsprechenden Rang zurückzuerobern. äst &tau'ü-i\&!ci32 ams -rrrioV, sib mttbttiad

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