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Rußland und China

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Schon zu Beginn der zwanziger Jahre, als Sowjetrußland sich Schritt für Schritt sein asiatisches Territorium zurückeroberte, förderte es eine Politik der Freundschaft mit der Chinesischen Republik, die mit einem Verzicht auf alle Exterritorial- und sonstigen Vorrechte in China begann. Ungeachtet dieses neuen Freundschaftsbeginnes setzte aber Sowjetrußland nach alter russischer Tradition die zaristische Taktik der kalten Infiltration wenigstens in jenen Randprovinzen Chinas fort, in denen es freie Hand zu haben glaubte: in der Aeußeren Mongolei, dann im Gebiet von Tannu-Tuwa upd in S i n- k i a n g.

Es war ganz natürlich, daß man in China dies alles mit Unwillen notierte, bei der Größe der heranrückenden japanischen Gefahr aber gute Miene zum bösen Spiel machen mußte; dazu begann in China die Zeit des rollenden Rubels und der aktiven russischen Botschafter, die vor allem im agileren Süden des Landes Erfolge für Moskau buchen konnten und den sowjetfreundlichen Flügel der neuen Kuomintang-Partei stärkten.

Als aber Marschall Tschiangkai- s c h e k in dieser Partei ans Ruder gekommen war, wurde der kommunistische Einfluß wieder zurückgedrängt. Dann aber kamen die Jahre des Kampfes mit Japan, und so mußte auch der Marschall seinen innerpolitischen Frieden machen, um alle Kräfte gegen den äußeren Gegner konzentrieren zu können. Die Beziehungen mit Sowjetrußland besserten sich wieder, Moskau unterstützte den Kampf gegen Japan, und als im zweiten Weltkrieg die Sowjetmacht Bundesgenosse der Alliierten geworden war, die Unterstützungs- und Versorgungswege für China über Burma und Assam durch den Vormarsch der japanischen Truppen immer mehr gefährdet erschienen, wurden die uralten Verbindungslinien in Mittelasien zwischen Rußland und China — da die modernen über die Mandschurei in japanischer Hand waren — wieder sehr wichtig, und ihre Wiederinstandsetzung wurde mit aller Macht vorwärtsgetrieben.

Nach der Kapitulation Japans im Jahre t945 fiel den Russen wieder all das in die Hände, was sie 40 Jahre vorher verloren hatten, und dank der Rooseveltschen Taktik gegenüber Moskau noch viel mehr: Südsachalin erhielten sie zurück, bekamen auch den ganzen Inselbogen der Kurilen, den sie nie besessen hatten, konnten dazu noch die ganze Mandschurei und einen Teil Koreas besetzen. Im neuen Freundschafts- und Hilfsvertrag, der am 14. August 1945 von ihnen mit dem befreiten China abgeschlossen wurde, anerkannten sie zwar die chinesische Souveränität über die Mandschurei, zogen aber den Räumungstermin praktisch hinaus; Port Arthur und Dairen sollten nach diesem Vertrag 30 Jahre lang in gemeinsamer Verwaltung bleiben; der Aeußeren Mongolei wurde von China das Selbstbestimmungsrecht über seine zukünftige Staatsform zugestanden.

Nun begannen in China die Tage der raschen Aenderung. Die innerlich korrumpierte Kuomintang-Partei verlor immer mehr an Ansehen und Macht im eigenen Lartrf amd allmählich auch bei den Alliierten, während sich die kommunistische Bewegung, die in den noch immer im Lande weilenden Sowjettruppen ihre beste Stütze hatte, in der Mandschurei und in anderen Gebieten Nordchinas wieder zu regen begann; sic gewann in kluger Ausnützung der vom Kuomintang- Regime am Lande begangenen schweren Sünden alsbald die Abermillionen verarmter and verelendeter chinesischer Kleinbauern 'für sich und bekam, von den Russen mit japanischen Beutewaffen ausgerüstet, in kurzer Zeit den Norden des Reiches in ihre Gewalt. Während ihre Truppen in breiter Front unaufhaltsam gegen Süden vordrangen, wurde am 21. September 1949 im alten Peking feierlich die Errichtung der Volksrepublik ausgerufen. Es dauerte nicht lange und das Regime hatte das ganze Reich bis hinunter nach Kanton und bis zu den Südgrenzen in seiner Gewalt. Am 14. Februar 1950 wurde in Moskau ein neuer Freundschaftsvertrag zwischen der Sowjetunion und der Volksrepublik China unterzeichnet, der dem neuen Regime in China wertvolle Hilfe versprach. Tn der Aeußeren Mongolei hatte inzwischen am 5. Jänner 1946 die vereinbarte Volksabstimmung stattgefunden und wurde die Mongolische Volksrepublik ausgerufen, die

4 Vgl. den ersten Aufsatz desselben Autors in der letzten ..Furche".

ihrerseits am 27. Februar 1946 mit Moskau einen eigenen Freundschafts- und Hilfsvertrag abschloß; das von der Mongolei bereits viel früher abgetrennte Tannu-Tuwa-Gebiet hatte sich schon während des Krieges 1944 der Sowjetunion angeschlossen. Die Innere Mongolei konstituierte sich im Mai 1947 als autonome Region innerhalb des chinesischen Reichsrahmens und verblieb auch nachher der Chinesischen Volksrepublik treu.

Die gegenwärtige Situation kann man kurz vielleicht so skizzieren: Die Chinesische Volksrepublik ist momentan und auch für die nächste Zukunft unbedingt auf die Sowjetunion angewiesen; sie braucht die russische Hilfe, sowohl die politische wie auch die wirtschaftliche. Sowjetrußland, das sich der Wichtigkeit dieses neuen großen Partners im Kampfe gegen die westliche Welt wohl bewußt ist, gewährt beides: aus ureigenstem Interesse hilft es politisch wie wirtschaftlich zum Zwecke einer weiteren Verankerung des neuen Regimes, versteht es aber auch, die neue Volksrepublik als Gegenleistung schon jetzt zur Erreichung der eigenen Moskauer Pläne, die natürlich vorsichtshalber als gemeinsame Sicherungsplanungen des Weltsozialismus verbrämt werden, einzuspannen und arbeiten zu lassen; vor allem dort, wo Moskau derzeit (noch) nicht offen selbst zur Erreichung seiner Ziele aufzutreten gewillt ist, sondern vorerst im Hintergrund bleiben will; die zusätzliche Suggestion der Gefährdung chinesischer Interessen macht das Pekinger Regime nur noch willfähriger. Dies war in K o r e a der Fall und ist es auch in allen anderen „Affären“ in den Nachbarländern Chinas, die Peking schon aus rein machtpolitischen Gründen nicht gerne in den Händen des Westens sehen möchte.

Wo natürlich eigene russische Interessen berührt werden, wird eine andere Politik inszeniert: während im vergangenen Jahre rotchinesische Truppen im Einverständnis mit Sowjetrußland Tibet wieder besetzt haben, wo Moskau vor nicht allzu langer Zeit selbst zarte Fäden zu spinnen begonnen hatte, nunmehr aber keinen weiteren indischen Einfluß wünschte, selbst aber nicht auftreten konnte, bleibt nach wie vor besonders die Mandschurei und Sinkiang trotz der Wiederherstellung aller chinesischen Souveränitätsrechte dem zermürbenden Alltagseinfluß des großen russischen Lehrmeisters der neuen Herren in Peking ausgeliefert, wird die offiziell noch unabhängige Mongolische Volksrepublik ein immer abhängigerer Satellit Moskaus, dessen „Eingemeindung“ — sollten es die Moskau-Pekinger Beziehungen erlauben — immerhin in Bälde möglich sein dürfte! Tannu-Tuwa ist bereits sowjetrussisches Gebiet!

Auf wirtschaftlichem Gebiet ist die Zusammenarbeit beider Rotstaaten — soweit man dies von außen beurteilen kann — gut. Die Wirtschaftsplanungen Pekings werden nach — sicherlich vollständiger — Koordinierung mit den großen Planungen der Sowjetunion für ihre asiatischen Gebiete von Moskau weitgehend unterstützt, und wo immer es tunlich erscheint, zu gemeinsamen einheitlich ausgerichteten Planungen zusammengelegt. Besonders die Verkehrsplanungen (Eisenbahnen, Straßen und Kanäle), die Basisplanung für jede weitere Wirtschaftsentwicklung, erscheinen dem westlichen Beobachter — auch wenn ihm USA- Dimensionen geläufig sind — gigantisch.

Diese geplanten Verkehrslinien sollen natürlich die Ausgangsbasis für die wirtschaftliche Erschließung ungeheuer großer Gebiete im rotasiatischen Raum bilden, die derzeit wegen absoluten Wassermangels öde und wertlos sind, nach Durchführung der geplanten gigantischen Bewässerungsprojekte und der verkehrsmäßigen Aufschließung wirtschaftlich wertvolle Gebiete werden können, und die durch ihre Produktion fähig wären, das ewige Hungerproblem Chinas und vielleicht auch des zukünftigen indischen Partners zu lösen und zusätzliche biologische Ueberflutungs- zonen für diese beiden übervölkerten Staaten zu bilden. Noch ist alles Zukunftsmusik, alles Planung, aber gemessen an dem in Sibirien und in Turkestan bisher Erreichten, erscheint es nicht mehr als reine Phantasie östlicher Wirtschafter und kann schon in wenigen Jahrzehnten zum Teil wenigstens Wirklichkeit werden.

Sicherlich, die weitere Zukunft wird auch politische Entwicklungen mit sich bringen, die das derzeitige Zusammenarbeiten dieser beiden Mächte tangieren und in ungünstigem Sinne beeinflussen könnten; wir dürfen uns aber nicht der primitiven Anschauung hingeben, daß man in Moskau den chinesischen Riesen irgendwie unterschätzt und ihn nach dem gleichen Schema behandeln wird, nach dem man einen kleinen europäischen Satelliten zu behandeln sich anmaßt — dazu ist man im Kreml zu klug und welterfahren. Der Chinese wieder weiß, daß sein Feind Nr. 1 nur in einem ihm biologisch überlegenen und so nahe gelegenen Land vorhanden ist, daß es ihm seine noch dünn be siedelten Randgebiete rauben könnte — und das dürfte in seinen Augen das russische Volk doch nicht sein, wenn auch die früheren Uebergriffe dieses Nachbarn noch nachklingen und auch das Verhalten des heutigen Rußland trotz aller Bundesgenossenschaft nicht immer Freude in Peking erwecken dürfte. Der bisher immer noch nicht erfüllte Wunsch Rußlands nach einem großen russischen Südhafen an den warmen Meeren bleibt natürlich latent weiterbestehen, wird aber die gegenseitigen Beziehungen der beiden Bundesgenossen für absehbare Zeit wohl nicht belasten, da der Sowjetflotte alle rotchinesischen Stützpunkte zur Verfügung stehen. Wie weit die grundverschiedene Lebensauffassung der beiden Völker ein späteres Trennungsmoment darstellen könnte, muß eine offene Frage bleiben, zumal man heute noch nicht sagen kann, welche Endresultate die schon in Angriff genommene, gleichgerichtete „rote Lebenserziehung“ im chinesischen Volke haben wird.

Machtpolitisch und auch wirtschaftlich dürfte, auch auf lange Sicht betrachtet, die Welt des Westens, sofern sie das Problem erkennt und sich biefür rüstet, der Machtkombination Moskau-Peking überlegen bleiben. Eine grundlegende Aenderung dieser Lage könnte aber in der Zukunft möglich sein, wenn sich der indische Subkontinent entschließen sollte, seine neutrale Stellung aufzugeben und sich dem Sowjetblock anzuschließen. Wir haben es vor kurzem gesehen, wie rasch der Uebergang in China vor sich ging, und haben in grenzenloser Gedankenlosigkeit dieses große und alte Volk den Weg gehen lassen, den es nur in ebenso grenzenloser Enttäuschung über den Westen schließlich gegangen ist. Diesen Weg darf Indien nie gehen, wollen wir nicht dem Roten Osten ein schließlich kaum mehr einzuholendes Uebergewicht über unsere westliche Welt verschaffen. Es ist die Aufgabe des Westens, in Asien nunmehr den richtigen Weg zu gehen.

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