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Sandsturm und Revolution

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Am 13. April fegte em gefährlicher Sandsturm über den südlichen Irak hinweg. Die aufsteigende Warmluft vom Persischen Golf wirbelte kilometerweit die gefürchteten Sandkörnchen, einer weichen, nach links- und rechtsbiegenden Säule gleich, vor sich hin. Wo der Sandsturm den Boden berührte fiel alles um. Neben der dürren Vegetation wurden auch einige kleinere Nomadentruppen von dem rasenden Sand erwischt, schlechtbefestigte Zelte flogen mit.

Der Sandsturm ist in diesem Teil des Irak nichts Ungwöhnliches, die arabische Bevölkerung — meist Nomaden und Bewohner kleinerer Siedlungen — rechnen ständig damit. Diesmal — es war der 13. April — ging jedoch der Sandsturm in die Weltgeschichte ein. In so eine „biegsame Säule“ aus Laufsand geriet nämlich der Hubschrauber des irakischen Staatspräsidenten, Oberst Abdel Salam Aref. Der Oberst, zwei seiner Minister und die Besatzung des Hubschraubers kamen ums Leben.

In dem ständig kochenden arabischen Faß von Revolutionen und Gegenrevolutionen, Staatsstreichen und Schauprozessen, begannen sofort die wildesten Vermutungen über den Sandsturmtod des Präsidenten zu brodeln. Vielleicht ist der Oberst doch nicht das Opfer der Natur geworden, sondern das eines Sabotageaktes. Oder haben ihn doch noch die Kurden erwischt, die rebellierenden Volksstämme im Norden des Landes?

Abgesehen davon, daß sich der tödliche Unfall immerhin rund 1000 Kilometer vom kurdischen Gebiet entfernt ereignete, glauben wenige — außer die Kurden selbst — daß Aref ein Opfer seines Todfeindes, des Kurdenführers Barazani, geworden ist. Obwohl der Geheimsender der Kurden den Tod des verhaßten Diktators sofort für sich reklamierte — ein Barazani-Ver- wandter hätte den Hubschraubei abgeschossen —, glaubt niemand so recht an einen Kurdenstreich

Die Kurden sind mit den Arabern verwandte Stämme im Norden des Landes, an der Grenze mit der Türkei und dem Iran. Die Kurden kämpfen seit Jahren, meist mit unglaublichen Mitteln, für eine freies „Kurdistan“. Ihr Hauptfeind ist dabei die Regierung in Bagdad, die in einem jahrelangen blutigen Kampf den kurdischen Volksaufstand niederwerfen möchte.

Der jetzige Krieg in Kurdistan ist der dritte seit 1958, als im Irak die Republik ausgerufen wurde. Der erste brach im September 1961 aus: Der damalige Ministerpräsident, General Kassem, erteilte Befehle,

Bomben auf kurdische Dörfer abzuwerfen. Zum Konflikt war es gekommen, weil die Regierung die Forderung der Kurden nach einer beschränkten Selbstverwaltung Ira- kisch-Kurdistans innerhalb der Republik abgelehnt hatte.

Die Nasser-freundlichen Kassem- Berater konnten dem Staatschef einreden, eine Selbstverwaltung der Kurden wäre der erste Schritt zu ihrer Lostrennung vom Irak, ja schon eine einfache Autonomie würde die Integrität der Republik schwächen. Als Alternative wurde eine Assimilierung der Kurden vor-

geschlagen. Die „Demokratische Partei Kurdistans“ des Rebellenführers Mullah Mustafa el Barazani, wurde verboten, aber sie fügte sich dem Verbot nicht und verlegte ihre leitenden Körperschaften ins nördliche Gebirge.

Die selbstgefällige irakische Hierarchie unter Kassem glaubte, die Kampfhandlungen gegen die „widerborstigen“ Kurdenführer würden nicht lange dauern. Der Traum eines schnellen und erfolgreichen „Blitzkrieges“ der Iraker war jedoch alsbald ausgeträumt. Der zähe Widerstand der Kunden, die sich in die schützenden Berge des Nordens zurückgezogen hatten, überraschte selbst die Regierungstruppen, denen man in Bagdad einen schnellen und bequemen Sieg in Aussicht gestellt hatte.

Barazanis bewaffnete Bauern leisteten Kassems regulären Truppen erbitterten Widerstand. Im Herbst 1961 erzählte der RebeUenführer einigen Journalisten, daß er, als die Offensive der irakischen Truppen begonnen habe, über lediglich 600 schlecht ausgerüstete Guerillakämpfer verfügt habe. Im Laufe der Gefechte jedoch entstand aus den zersplitterten Partisaneneinheiten die sogenannte „Befreiungsarmee“, mit Stab, Militärkreisen, Nachschub, Fernmeldewesen und einem Kundschafterdienst, der sich praktisch über das ganze Land erstreckt.

Vernichtungskrieg...

1963 wurde Kassem gestürzt. Die neue Regierung hatte nichts wichtigeres zu tun gehabt, als eine neue Offensive gegen die Kurden zu starten. Die Kampfhandlungen waren auch jetzt besonders heftig. Drei Viertel der irakischen Armee kamen mit Flugzeugen, Geschützen und mechanisierten Truppenteilen zum Einsatz. Es war der von der Bagdader Regierung schon seit langem prophezeite und von vielen gefürchtete „ Vernicht ungskrieg‘f.

Die Welt sah bereits das jähe Ende des kurdischen Aufstandes. Nicht so Barazani und seine erbitterten Kämpfer. Es gelang ihnen, sich bis zum Winter zu halten, und als die Regenzeit einsetzte, eroberten sie viele der verlorenen Stellungen zurück. Nachdem die extrem nationalistischen Baathisten aus der Regierung ausge- bottet worden waren, flauten auch die Kampfhandlungen ab. Anfang 1964 wurde sogar ein Waffenstillstand geschlossen.

Barazani und seine Kurdenführer verlangten für ihr Volk, ebenso wie früher, wirtschaftliche und kulturelle Rechte im Rahmen des irakischen Staates. Zugleich forderten sie feste Garantien dafür, daß man die nationalen Rechte der Kurden respektieren werde.

Trotz allem, vielleicht wollte der verunglückte Aref den Kurden nicht glauben, begannen die Kämpfe, wenn auch in viel geringerem Maße, von neuem.

Der Kleinkrieg im Irak schwächte den Staat politisch und wirtschaftlich und macht ihn für die inneren Umtriebe verwundbar. Ein großer Teil der Einkünfte des Irak, von englischen und amerikanischen Erdölgesellschaften in Form von Steuern und Abgaben entrichtet, geht für den Krieg auf. Auch aus diesem Grund hoffen sowohl Iraker als auch Kurden, daß eine friedliche Lösung dieses Problems doch noch ermöglicht wird.

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