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Schatten über dem Weißen Haus

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Die „Negerfrage“ ist im Begriff die Politik des Weißen Hauses ernsthaft zu gefährden.

Nicht zufällig sah sich der Außenminister Dean Rusk — fast gleichzeitij mit der Proklamation von rund 30 afrikanischen Nationen, die kämpferische Einheit des schwarzen Erdteils verlangend — veranlaßt, die Nation warnend daraufhin zu weisen, daß das Weiterbestehen rassischer Differenzen das Prestige der USA zu gefährden beginnt. Und Walter Lippmann, der einflußreichste Kommentator des Landes, hat erklärt, die Frage der völligen und sofortigen Gleichberechtigung der farbigen Staatsbürger ei aus einer Angelegenheit von über 18 Millionen Negern eine nationale Fragei geworden, deren Regelung der unverzüglichen Initiative der Staatsführung bedarf.

Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß es der Kennedy-Administration ernst war (und isti), in der Civil-Rights-Frage definitive Schritte in Richtung auf völlige Integration zu tun.

Man hat sich aber irgendwie im Tempo der Entwicklung getäuscht. Geführt von gandhistisch-christlichen Führern wie Martin Luther King Jr. formieren sich in den Südstaaten der LInion heute täglich neue Gruppen von farbigen Frontkämpfern der Armee des zweiten Weltkrieges und Negerstudenten, entschlossen, dafür zu sorgen, daß die vor neun Jahren erlassene Verfügung des Obersten Gerichtshofes, der Rassentrennung ein Ende zu machen, nicht ein Stück Papier bleibt.

Die Zwischenfälle in Birmingham, Alabama, wo Tausende von demonstrierenden Negerkindern mit Polizeihunden gehetzt und ins Gefängnis geführt werden, wo die Wohnungen der Negerführer ausgebombt wurden und — nicht ganz unverständlich — schließlich auch schwarze Demonstranten zu Gewalttaten übergingen, haben deutlicher noch als die Zusammenstöße an der Mississippi-Universität, wo die Regierung seinerzeit tausende schwerbewaffnete Soldaten “zum . Schutz eines stellvertretend für alle seihe Rassengenossen auf Zulassung bestehenden Negerstudenten einsetzte, die krisenhafte Bedeutung des Problems deutlich gemacht. Diesmal waren die farbigen Amerikaner nicht mehr nur Objekt, — sie gingen (hier und anderswo im Süden I) en masse auf die Straße, wurden bewußtes, geführtes und entschlossenes Subjekt der Ereignisse.

Ein halbes Jahr hat das Bild grundlegend geändert. Das farbige Ameri-kanertum hat sich eigene Organe geschaffen, die seinen Hoffnungen, aber auch seiner Ungeduld Ausdruck geben. Man wartet nicht rnehr auf Zugeständnisse. Man verlangt sein Recht.

„Black Muslims“

Heute noch in gewaltloser Demonstration ... Unter der Oberfläche aber gärt es. Beweisen die christlich-gewaltlosen Führer nicht, daß sie nicht nur in der Lage sind, die öffentliche Meinung — auch im Süden — von der Dringlichkeit völliger Preisgabe der im Schulwesen, im Verkehrswesen, in Restaurants, Kaufhäusern und Erholungsplätzen noch immer herrschenden Ausnahmegesetzgebung staatlichen Einzelwillens gegen Neger zu überzeugen, sondern auch das fast überall im Süden sabotierte Wahlrecht der Neger wirklich zu gewährleisten, werden Extremisten die Führung des farbigen „Aufstands“ übernehmen?

Die „Black Muslims“, die kompromißlos gegen alle Weißen agitieren und begonnen haben, von den nördlichen großen Städten, wo ihre „Tempel des Islam“ die Zentren der schwarzen „Apartheid“-Bewegung geworden sind, sind dabei, im Süden Fuß zu fassen. Sie lassen keinen Zweifel daran, daß sie unter Umständen die blutige Auseinandersetzung bejahen werden.

Der Präsident hat angekündigt, daß er dem Kongreß eine konsequente Zivilrechtsgesetzgebung vorlegen will. Der Justizminister, Robert Kennedy, hat seit Monaten durch Mittelsleute mit weißen Kaufleuten, Industriellen, Stadtverwaltungen — nicht nur in Birmingham — Fühlunj genommen, sie von der Unvermeidlichkeit schnel-

Festnahmen auf der andern Seite.

Und die Gouverneure von Mississippi und Alabama haben dem Präsidenten das Recht zur Entsendung föderaler Truppen — wenngleich ver-

geblich — bestritten und sich an das Oberste Bundesgericht gewandt. Das ganze ist ein Wettlauf mit der Zeit geworden.

Kings „gandhistischer Kreuzzug“

10 Millionen Farbige in 15 Südstaaten sind das Hauptreservoir, aus dem der 34jährige Baptistenprediger Martin Luther King Jr. — Revolutionär innerhalb der eigenen Kirche, die bisher getrennte weiße und schwarze Gemeinden im Süden aufrechthielt — heute die Scharen seines „gandhisti-schen“ Kreuzzugs formiert. Der schwarze Senator Adam Clayton Powell, unbestr' :ner jahrelanger Herrscher im Nevv Yorker Negerviertel Harlem, dürfte vergeblich versuchen, dem täglich wachsenden Mythos des Mannes durch größere Radikalität den Wind aus den Segeln zu nehmen: Redner auf einer Versammlung der „Black Muslims“ hat er die NAACP (die 1909 ins Leben gerufene größte Selbsthilfeorganisation der Farbigen) wegen der Zugehörigkeit Weißer in ihrer Führung scharf angegriffen.

King begrüßt die Unterstützung fortschrittlicher Weißer. Aber die „National Association for the Advan-cement of colored people“ ist in der Tat im Begriff, die Initiative im Kampf für die farbige Gleichberechtigung an die viel loser organisierte, aber von jüngeren, aktiveren, ungeduldigeren Kräften geführte südstaatliche „Christliche Führungskonferenz“ abzugeben.

Die jahrzehntelange geduldige Kleinarbeit der NAACP, die in unzähligen Prozessen negerfreundliche Gerichtsentscheidungen herbeigeführt und unendlich viel für die Entwicklung der farbigen Emanzipation getan hat, scheint unfähig, der immer deutlicher von den Jüngeren erhobenen Forderung Genüge zu tun, die anstatt schrittweiser Zugeständnisse „Alles jetzt und hier!“ meinen, wenn sie von Gleichberechtigung sprechen.

Nur schrittweise „Sklavenbefreiung“

Nun, ganz so abrupt wird es nicht gehen. Der Präsident kann nicht einfach die Verfassung der Einzelstaaten außer Kraft setzen, kann mit einer ^.Execuliy.osrde^qnjVr dann eingreifen, wenn eindeutig,.föderales Gesetz gebrochen wird. Die damalige Entscheidung des Obersten Gerichtshofes über die Aufhebung der Rassentrennung in der Gesamtnation hat indes nur angeordnet, daß in Richtung darauf Schritte unternommen werden,

aber keinen Termin gesetzt. Südstaatliche Organe versuchen in Hunderten von Einzelfällen, mit Gegenmaßnahmen den Prozeß hinauszuzögern, legali-stische Einsprüche zu erheben, die psychologische- Häftürff/ilrfef £tfyk$ Ständler“ zu versteifen, — in äer Hoff-' nung, daß vielleicht doch bei kommenden Wahlen sich eine Situation ergibt, die ihrem Standpunkt im Kongreß oder im Weißen Haus Rechnung trägt.

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