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Scheu vor Europa

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Im Hauptorgan der Sozialistischen Partei erschien um die Jahreswende ein Artikel, in dem auf die Notwendigkeit eines Gesamteuropa hingewiesen wurde; die politische Entwicklung sei hinter der technischen und wirtschaftlichen Entwicklung zurückgeblie-1 ben. „Wir denken und fliegen, wir produzieren nach den Methoden des 20. Jahrhunderts, wir leben als Staatsbürger, wir haben Nationen und Grenzen, Souveränitäten und Kriege wie im 19. Jahrhundert. Der “Weg aus diesem Widerspruch ist der Weg„ den die Welt heute sucht.“ Man mag der Idee der Vereinigten Staaten von Europa mit mehr oder weniger Skepsis gegenüberstehen, man mag eine Verwirklichung dieser Idee für illusorisch oder utopisch halten. Daß es so etwas wie gemeineuropäische Interessen und Zusammenhänge gibt, darüber dürfte sich doch jede Debatte erübrigen, und jeder europäisch eingestellte Österreicher wird dafür Verständnis aufbringen, daß man sich im führenden sozialistischen Organ Gedanken über die“ Notwendigkeit macht, über die eigenen Grenzen auf Gesamteuropa zu blicken.

Nur auf der äußersten Linken ist man anderer Ansicht. Dort nimmt man offen' Stellung gegen Europa. Und mit welchem Argument? Daß jedes Herumgerede von' Gesamteuropa eine „großdeutsche Ideologie in neuer Form“ darstelle. Dies ist der Vor* wurf, den die von der KPÖ. herausgegebene Monatsschrift gegen das sozialistische Partei* organ wegen des oben angeführten Artikels erhebt. Es ist in den letzten Wochen vielfach schon zur Gewohnheit geworden, mit der Beschuldigung der großdeutschen Gesinnung den unliebsamen Gegner mattsetzen, zum Schweigen bringen zu wollen. Die Verdächtigung großdeutsch zu denken, wird rücksichtslos in die Auseinandersetzung geworfen, da man hofft, auf diese Weise die Gegenseite in eine zweideutige Stellung zu bringen.

Daß diese Kampfmethode der Entwicklung der österreichischen Demokratie besonders förderlich sein könnte, vermögen wir nicht zu glauben.

Auf eine Kleinigkeit in den Ausführungen der kommunistischen Zeitschrift sei noch hingewiesen. „Die Vereinigten Staaten von Europa“, so lesen wir, „das bedeutet und kann nichts anderes bedeuten als: Deutschland inbegriffen; das heißt, das deutsche Volk, das für Hitler gekämpft hat und zu einem großen Teil nur bedauert, daß es den Krieg verlöre* hat, auf die gleiche Stufe stellen, wie die unterdrückten Nationen Europas, die Millionen ihrer Besten im Kampf gegen den Faschismus verloren haben.“ Ja glaubt man denn, das deutsche Volk auf die Dauer aus dem europäischen Blutkreislauf ausschließen zu können, ohne selbst schwer Schaden zu nehmen? Glaubt man, für eine längere Zeitspanne auf den deutschen Markt verzichten zu können? Wir wiederholen, was wir schon oben betonten: man mag allen paneoropäischen Ideen mit noch so schweren Zweifeln gegenübertreten. Daß es ein Europa gibt, und daß zu diesem Europa Deutschland gehört, dies läßt sich wohl nicht leugnen.

Ein Großer aus dem Hintergrund

Wien beherbergte kürzlich eine englische Persönlichkeit von scharf umrissenem Profil, den Feldmarschall Lord A1 e n-b r o o k e. Der Lord ist gegenwärtig Chef de Empire-Generalstabs, eines Amtes, das ab Juni von Feldmarschall Montgomery übernommen wird. Über Lord Alenbrooke gibt ein Artikel des ehemaligen englischen Kriegsministers der Jahre 1942 bis 1945, Sir James G r i g g, in der „Times“, interessante Auskünfte.

Dieser Soldat ist vielleicht eine der bedeutendsten Gestalten des heutigen britischen Weltreiches, auch wenn sein Name nicht so oft in der Öffentlichkeit genannt war, wie der Montgomerys oder Alexanders. Die „Times“ sagt von ihm, daß sein Beitrag zum Sieg über die Achsenmächte nur von einem einzigen Bürger der Vereinigten Königreiche, von Winston Churchill, überboten wurde. Als Befehlshaber eines der beiden großen Expeditionskorps, die England im Jahre 1939 nach Frankreich schickte, war es seiner Tatkraft und Energie zu verdanken, daß der Großteil seiner Truppen bei dem Zusammenbruch von Dünkirchen in die Heimat zurückgeführt wurde. Und es ist das Verdienst seiner Initiative in der Führung der Heimatarmee, die Moral und die Ausbildung der Truppen so gestärkt zu haben, daß jeglicher, gegen das britische Inselreich gerichtete Invasionsversuch als großes Wagnis betrachtet werden mußte. Jahr für Jahr stieg er weiter auf der Leiter des militärischen Erfolges. Seine Bedeutung liegt darin, daß er mehr befähigt war als irgendein anderer Soldat, Seemann oder Flieger, den Krieg als Ganzes zu betrachten und seine Mittel beherrschend zu lenken. Und mit diesen Kräften gesellte er sich in eine enge Gemeinschaft der Auffassungen mit Premierminister Churchill. Es ist nicht bekannt, daß Churchill je einem Plan Alenbrookes entgegentrat. Aus der Übereinstimmung dieser beiden Männer formten sich die großen zielsicheren Leistungen. Er, der gezwungen war, vom Schreibtisch aus die Geschicke der Armeen zu leiten, wäre lieber Kommandant einer großen Einheit im Felde gewesen. Dies war ihm verwehrt. Aber die Geschichte wird im Verlaufe der Zeit ihn unter den Engländern nennen, die gleich nach Mr. Churchill wieder einmal das Empire gerettet hatten.

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