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Schicksal für hunderttausend

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DDr. Mathias Mayer-Going zeigt in seinem Buch „Der mittelalterliche Weinbau im Nordtiroler Unterlande“ (Innsbruck, Schiernschriften, 1952), wie nach dem Jahre 1400 die Rebkultur nach und nach aufgegeben wurde, als Wein in immer größeren Mengen aus Niederösterreich und Südtirol eingeführt wurde: dem Wettbewerb des an Güte und Geschmack ungleich besseren und zugleich auch billigeren Getränkes konnte das heimische Produkt nicht standhalten.

Dasselbe geschah im 16. Jahrhundert in Kärnten, ein wenig später — wie Dr. Werneck nachwies — in Oberösterreich und — in unseren Tagen — in weiten Gegenden Niederösterreichs: So ging die Weingartenfläche im Gerichtsbezirk Stockerau in der Zeit von 1866 bis 1952 von 1148 auf 404 Hektar zurück, und im Bezirk Gloggnitz, wo vor 90 Jahren noch 64 Hektar als Weingarten versteuert wurden, ist der Weinstock bis auf vereinzelte Reben am „Silberberg“ völlig verschwunden. Eine ähnliche Entwicklung vollzieht sich in Westdeutschland: die mit Weinstöcken bepflanzte Fläche ging allein zwischen 1935 und 1951 von 81.000 auf 67.000 Hektar zurück.

Man könnte also annehmen, daß der Weinrebe nun auch in unseren Landen dasselbe Schicksal beschieden sei, wie anderen Pflanzen, die lange Zeit eine wirtschaftlich beachtliche Rolle gespielt haben, heute aber von unseren Feldern verschwunden sind, wie etwa die Hirse, die an Stelle von Brot gegessen wurde, der Safran, der den Suppen die schöne gelbe Farbe verlieh, die Weberkarde, mit der die Gewebe aufgerauht wurden, und der Spelz, der ebenfalls zur Brotbereitung herangezogen wurde, sowie die zum Färben verwendeten Krapp-, Wau- und Waidgewächse. Für einen solchen sorgenvollen Ausblick spräche auch das steigende Anbot ausländischer, unter günstigeren Bedingungen gewonnener Weine, besonders im Falle eines wirtschaftlichen Zusammenschlusses der westeuropäischen Staaten. (Französische Weine kosten an der Schweizer Grenze unverzollt etwa 786, italienische Weine 366, und spanische Weine 222 Schilling je Hektoliter.)

Während aber die genannten Pflanzen von unseren Aeckern verschwanden, ohne die Betriebe zu beeinträchtigen, und die Bauern an vielen Orten aus den ehemaligen Weingärten Getreide- und Zuckerrüberifelder machen konnten, würde heute ein Sterben des Werftstockes in -den ausgesprochenen Weinbaugebieten den völligen Niedergang dieser Gemeinden zur Folge haben. Denn dort ist diese Umstellung nicht durchführbar, da gerade jene Lagen, auf denen die Sonne den besten Wein „kocht“, in ihrer trockenen, steilen Lage wohl für die Rebkultur — und zwar ganz ausgezeichnet —, nicht aber* für irgendeine andere geeignet sind. Ein Beispiel: In Unter-Loiben bei Krems stehen den 358 Einwohnern wohl 39,24 Hektar Weingärten zur Verfügung, aber nur 11,60 Hektar Felder (das sind je Kopf

der Bevölkerung nur 324 Quadratmeter!), 8,44 Hektar Wiesen und sonst nur Land, das für jede landwirtschaftliche Nutzung völlig ungeeignet ist. Ein Aufgeben des Weinbaues müßte hier, da andere Erwerbsmöglichkeiten fehlen, zur Abwanderung von mindestens 90 Prozent der Bevölkerung führen.

Aehnlich liegen die Verhältnisse in einer ganzen Reihe anderer Gemeinden. Wenn auch in manchen gewisse Umstellungs- und andere Verdienstmöglichkeiten bestehen, so würde trotzdem das Aufgeben des Weinbaues eine arge Beeinträchtigung der Einkommensverhältnisse mit sich bringen und — da im Weinbau der Betrieb durch die Eigenart des Wein-Stockes auf eine lange Reihe von Jahren festgelegt ist und große Kapitalien, z. B. auch in den Weinkellern und Preßhäusern gebunden sind — große Schwierigkeiten und Einbußen von Vermögenswerten hervorrufen. Eine weitere Folge wäre die Abwanderung großer, völlig verarmter Teile der Bevölkerung in die Stadt und damit eine fühlbare Vergrößerung des Ueberangebotes ungelernter Hilfsarbeiter.

Daraus ergibt sich die Frage: Kann unter so schwierigen Verhältnissen, die durch das ständige Auftreten immer neuer Schädlinge noch weiter verschlechtert werden, der Weinbau und mit ihm die Existenz der rund 1G0.00O an ihm interessierten Menschen überhaupt noch gerettet werden?

Die Frage ist unbedingt mit Ja zu beantworten. Viele Hemmungen werden in den „geborenen“ Weinbaugebieten wieder durch günstige Umstände aufgewogen.

Außerdem gibt es Möglichkeiten, den Weinbau wirtschaftlicher und seine Erzeugnisse wettbewerbsfähiger zu machen: Die Herstellungskosten könnten durch gut fahrbare Wege sowie durch eine bessere Formung der Weingärten, die eine maschinelle Bearbeitung gestattet, einschneidend gesenkt, die Güte der Erzeugnisse durch eine strenge Sortenauswahl, durch kräftige Düngung und beste Pflege der Weinstöcke sowie durch eine sorgfältige Weingewinnung und Weiterbehandlung im Keller gesteigert werden. Zugleich müßten dem Handel größere Mengen einheitlicher Weinmengen angeboten werden, was aber nur durch gemeinsame Verarbeitung der Trauben in leistungsfähigen Genossenschaftsbetrieben erreicht werden kann. Schließlich könnten auch noch ein gesteigerter Verkauf von Tafeltrauben — die Güte der heimischen übertrifft ja jene der eingeführten ganz wesentlich — sowie die Herstellung alkoholfreier Getränke aus den ungenügend ausgereiften Früchten und anderes mehr zusätzliche Einnahmen bringen.

Wenn es also gelingt, durch verständige Zusammenarbeit der Interessierten die notwendigen Umstellungen durchzuführen (was leider nicht immer ohne Bruch mit uralten Gepflogenheiten möglich sein wird), so wird es sicher gelingen, den Bestand der Rebkultur in ihrem heutigen Umfang zu erhalten. Die Aufgabe ist aber so schwierig und berührt so sehr das Schicksal Tausender, daß sie die Beachtung und Förderung aller erfordert. Mit halben Maßnahmen, wie etwa mit kleinen Steuerbegünstigungen allein, ist so. gut wie nichts getan.

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