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Schicksalsschweres T reffen

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In diesen Wodien und Monaten fließen gleichmäßig und unerbittlich, wie aus einer offenen Wunde, die letzten Gold- und Dollarreserven aus der britischen Volkswirtschaft.

Während der Sterlingblock alljährlich um rund 1,1 Milliarden Pfund Sterling aus den Ländern harter Währung einführt, erreicht der Export in dieselben Territorien nur die Höhe von 500 Millionen Pfund Sterling. Bleibt ein Defizit von 500 Millionen, dem nur 200 bis 250 Millionen der Marshall- Hilfe gegenüberstehen. Da die Reserven des Commonwealth auf 400 Millionen zusammengeschmolzen sind, kann die letzte Verteidigungslinie des Pfunds arithmetisch noch zwei Jahre, praktisch aber nicht einmal so lange gehalten werden.

In diesem dramatischen Augenblick sind der Außenminister und der Schatzkanzler Großbritanniens nach Washington gefahren. Die wirtschaftliche und politische Stabilität der atlantischen Welt steht auf dem Spiel, seit den Begegnungen zwischen Churchill und Roosevelt hat in der angelsächsischen Welt keine Zusammenkunft von solcher Tragweite nattgefunden. Scheitert die Konferenz, dann würden die USA nach einer unwillig zu Ende gezahlten Europahilfe in einen wirtschaftlichen Isolationismus verfallen, Großbritannien in eine sozialisierte Misere versinken, während sich auf der Welt, bei sinkendem Lebensstandard, ein gefährlicheis Kräftegleichgewicht herausbilden könnte. Gelingt es, eine Lösung zu ersinnen, dann wird der Atlantikpakt seine wirtschaftliche Ergänzung finden und auf beiden Kontinenten die Grundlage neuer Prosperität gegeben sein.

Beschäftigt man sich etwas eingehender mit jener schweren wirtschaftlichen Funktionsstörung, die man Dollarknappheit nennt, so wird man bald finden, daß schon vor dem zweiten Weltkrieg der Wirtschaftsverkehr zwischen der Alten und Neuen Welt etwas sehr Problematisches an sich hatte. Während nämlich das Hochzollgebiet der USA kaum Waren einführen mußte, war seine Industrie imstande, Massengüter zu billigsten Preisen auf den Weltmarkt zu werfen.

Die Reserven, mit denen Europa diesen einseitigen Export bezahlte, sind in den Kriegsjahren aufgebraucht worden, die Produktion der Alten Welt ist gegen 1937 um 137 Prozent teurer geworden, während die Preise der USA nur um 89 Prozent nachgezogen haben. Für das britische Weltreich haben indessen verschiedene Motive die Lage immer ungünstiger gestaltet. Während sich der Preis für die meisten Waren verdoppelte, ist der Goldpreis (Südafrika!) stabil geblieben. Indien und Pakistan, die früher Dollar verdienten, ziehen nun jährlich 40 Millionen aus dem Währungsfonds des Commonwealth; die Preise für Gummi, Kakao und Jute fielen in den letzten Monaten, und die ostasiatischen Investitionen tragen nun keine

Devisen mehr ein. Dazu kommt, daß die erste und keinesfalls sehr tiefgehende Krise in den Staaten den britischen Import sofort schwer getroffen hat. Heimkehrende Frachter liegen in englischen Häfen, auf deren

Deck ein englischer Austin-Wagen neben dem anderen steht, die sich in New York als unverkäuflich erwiesen. Ein niederdrückender Anblick!

Diesem bedrohlichen Phänomen versuchte man nun mit den altbewährten Mitteln der Wirtschaftspolitik Herr zu werden: die Produktion wurde rationalisiert, der Export gefördert, der Import vermindert. Trotz heroischen Anstrengungen war das Bemühen vergeblich, ja Sir Stafford hat nun eine gefährliche Grenzlinie erreicht: wenn nämlich die Einfuhr aus dem Dollargebiet weiter gedrosselt wird, müssen gewisse Industrien in England in Schwierigkeiten geraten, und es läßt sich nicht voraussehen, ob sie nicht auch die dollaryejrdienenden Branchen mit-

reißen werden, womit eine verhängnisvolle Spiralbewegung eingeleitet würde.

Nun bricht sich langsam und in hartem Kampf auf beiden Seiten des Atlantiks die Ansicht Bahn, daß die Dollarfrage, solange man sie mit rein wirtschaftlichen Mitteln behandelt, Unlösbar ist! NichtdieWirt- schafts-, sondern die Staatsführung der nor d a merikanischen Union und des Commonwealth sind hier zuständig. Aus dieser Erkenntnis haben die Engländer auch Cripps und Bevin entsandt, während Dean Acheson bemüht ist, die Versuche gewisser Wallstreet- Kreise, die ganze Verantwortung dem Finanzminister der USA zu übertragen, zunichte zu machen.

Während nämlich im 18. und 19. Jahrhundert wirtschaftliche und politische Allianzen kreuz und quer ineinander verflochten waren, muß in dieser Epoche eine politische Allianz entweder ein wirtschaftliches Austausch- und Ergänzungsgebiet schaffen oder sich wieder auflösen.

Die nordamerikanische Union, das Commonwealth und Westeuropa zu einem einheitlichen Wirtschaftsgebiet zu machen, in dem das Prinzip einer globalen Arbeitsteilung lebendig ist, ist natürlich zunächst eine politische Aufgabe. Nur die Staatsführung kann auch im besonderen Fall des britisch-amerikanischen Wirtschaftsverkehrs die einzelnen vorgeschlagenen Mittel so koordinieren, daß sie nicht, wieder erfolglos bleiben. Die Abwertung des Pfunds wäre ein nutzloses Opfer, wenn das amerikanische Publikum nicht für die Aufnahme britischer Waren vorbereitet wird und sich die einheimische Industrie, wie nach der Abwertung der dreißiger Jahre, gegen die britische Einfuhr zur Wehr setzt, die Investitionen amerikanischen Kapitals in den unerschlosse- nen Gebieten des Commonwealth erfordern wieder gewisse Garantien Whitehalls, die Ermäßigung gewisser US-Zölle (etwa für britisches Porzellan und Textilwaren) setzt ein Studium voraus, „welche volkswirtschaftlichen Sektoren einen erhöhten Import zum allgemeinen Besten aufnehmen können". (Aus den Rekommandationen der bisher absolut importfeindlichen „National Association of Manufacture “.)

Gegen eine solche Planung werden zweierlei Bedenken geltend gemacht. Die einen meinen, daß damit der Eigengesetzlichkeit der Wirtschaft Gewalt angetan wird, die anderen finden, daß West- und Osteuropa ein natürliches Austauschgebiet sind, das nicht durch ein künstliches ersetzt werden kann. Der erste Einwand ist nicht allzu schwerwiegend: die Wirtschaft, wie sie uns heute entgegentritt, ist ja an und für sich das Resultat unzähliger politischer Eingriffe, durch Krieg, Blockaden, Glaubenskriege und Nationalitätenstreit geformt. Zu dem kommt, daß selbst in der Volkswirtschaft der USA überall die Hand des Staates zu spüren ist; da die Einfuhr aus Europa kaum ein Prozent des gesamten Wirtschaftsvolumens ausmacht, läßt sich nicht einsehen, warum nicht eine ansehnliche Steigerung möglich sein sollte.

Was jedoch Osteuropa anbelangt, so ist in der ersten Phase der Ausrichtung dieses Gebietes auf den eurasischen Großraum sicherlich ein großes Bedürfnis nach vielen Gütern vorhanden, die Westeuropa und das Commonwealth liefern könnten. Aber auch hier liegt die Lösung auf der politischen Ebene.

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