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Schicksalstage in Argentinien

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Zwei Revolutionen — eine gescheiterte und eine siegreiche, drei Präsidenten —, ein feige geflohener (Perön), ein offiziell zurückgetretener, der aber „abgedankt wurde“ (Lonardi) und ein noch amtierender, der sich ins neue Jahr hinübergerettet hat (Aramburu), sind die politischen Hauptposten der argentinischen Bilanz für 195 5. Hinzu kommt ein Augiasstall im privaten und staatlichen Wirtschaftssektor, den es auszumisten gilt, ohne Rücksicht darauf, ob der wahre Herakles gefunden ist oder nicht und ob der Besen aushalten wird. Das Geschrei um diese Korruption noch nie dagewesener Ausmaße und der Jubel um die wiedergewonnene Freiheit auf politischem Gebiet wird planmäßig ausgenützt, um die wahren Träger der Revolution um die Früchte derselben zu bringen. Die Kon-silianz des siegreichen Revolutionschefs General Lonardi hat zu dessen Sturz führen müssen. Dieser Mann, der seine Parole „Weder Sieger noch Besiegte“ ehrlich gemeint hatte und lediglich die Bestrafung der Verbrecher anstrebte, wurde unter der fadenscheinigen Beschuldigung gestürzt, eine totalitäre Diktatur falangistischer Prägung einführen zu wollen. Lonardis Kon-zilianz, der einen als Stütze seiner Regierung aus allen traditionellen und neuen Parteien zusammengesetzten Beratenden Ausschuß ins Leben gerufen hatte, wurde von diesem Ausschuß mißbraucht, um ihn zu stürzen.

Es ging aber nicht um die Vorbeugung einer falangistischen Diktatur, es ging mehr darum, „mit vereinten Kräften“ das katholische Element Argentiniens im Namen der Freiheit, der Demokratie und des Republikanismus in die Schranken zu weisen, obwohl die katholischen Elemente auf dem zivilen Sektor innerhalb des Landes die einzigen aktiven Träger der Revolution waren. Die Widersacher des Katholizismus, die sich samt und sonders ins Fäustchen lachten, als Perön seinen „Kulturkampf“ im November 1954 entfesselte, die sich aufs Abwarten beschränkten, bis das Militär, unterstützt von katholischen Elementen, für sie die Kastanien aus dem Feuer holt, haben die ersten Fehler und Schwächen der Revolutionsregierung ausgenützt, um einen Mann loszuwerden, der in seiner ersten Erklärung als Chef der Revolution bekundete, als „Soldat und Katholik“ zu handeln.

Formell hat sich auf kirchen- und kulturpolitischem Gebiet nichts geändert. Lonardis Wunsch, die Vorsehung möge ihm das Glück geben, durch den Abschluß eines Konkordats das schwebende Verhältnis zwischen Kirche und Staat auf eine feste Basis zu stellen, unterscheidet sich kaum von dem vom gesamten Kabinett gebilligten Regierungsprogramm der Regierung Aramburus, wo es im Punkt h) wörtlich heißt: „Aufrechterhaltung der Achtung des religiösen Gewissens und Garantie der Kultusfreiheit. Sicherstellung der Rechte der katholischen Kirche und Erwägung der Möglichkeit des Abschlusses eines Konkordats über die Beziehungen zum Staate.“

Man hat auch den zwar katholisch gesinnten, aber eben Berufsdiplomaten, Botschafter E t c h e-c o p a r, den Lonardi zum Heiligen Stuhl entsandte, abberufen, als er routinemäßig nach Lonardis Sturz seinen Posten zur Verfügung gestellt hatte, und man hat, um Sand in die Augen zu streuen, auf diesen Posten den aktiven militanten Katholiken Dr. Manuel R i o gesandt, um den „guten Willen“ zu bezeugen. Diese Bezeugung fiel um so leichter, als schon im September 195 5 ein Sprecher des Vatikans erklärt hatte, der Heilige Stuhl ziehe es vor, das Konkordat mit einer aus freien Wahlen hervorgegangenen Regierung abzuschließen. Nun hat man beim Vatikan einen katholischen Aktivisten als Botschafter, und man kann sicher sein, daß er den freimaurerischen Drahtziehern, die hinter der Politik der liberalen Parteien und der marxistischen Elemente stehen, im Lande nicht schaden kann und beim Vatikan wohl nichts ausrichten wird.

Wir haben seinerzeit den Regierungsantritt Lonardis dahin kommentiert, daß trotz der' Absage des Vatikans, mit einer De-facto-Regicrung ein solch subtiles Vertragswerk, wie es ein Konkordat ist, abzuschließen, die Regierung aus eigener Initiative so vieles gutmachen kann, was das gestürzte' Regime Peröns angestellt hatte. Nach wir vor stehen heute in Argentinien Probleme zur Sprache und harren ihrer Lösung, wie zum Beispiel die Frage des Religionsunterrichtes, der Ehescheidung, wie sie im Bürgerlichen Gesetzbuch enthalten ist usw. Aui diesen Gebieten geschieht inzwischen nichts. Dafür hat man hinter den Kuf?ssen einen Burgfrieden abgeschlossen: Die liberalen Parteien werden die Frage der Trennung von Kirche und Staat, und die Sozialisten die Frage der Ehescheidung nicht aufs Tapet bringen, die Katholiken sollen deshalb die Frage des Religionsunterrichtes in den Schulen nicht anschneiden. Gegen einen derartigen Burgfrieden hat sich dje Gruppe der integralen Katholiken ausgesprochen und wurde daher gleichzeitig, als Lonardi das Regierungsgebäude verlassen mußte, aus dem politischen Beratenden Ausschuß, diesem „Ersatzparlament“, ausgebootet. Die junge Christlich-demokratische Partei hat aus Animosität gegen die katholischen Integralisten diesem Burgfrieden zugestimmt.

Tatsächlich werfen die Liberalen verschiedenster Färbungen die Frage der Trennung von Kirche und Staat nicht auf, die Sozialisten die Frage der Ehescheidung auch nicht, dagegen ist das Schulproblem heute Gegenstand öffentlicher Aussprachen im Rundfunk, Vorträgen usw. Man lehnt heute in antikatholischen Kreisen das vom Regime Perön im Jahre 1947 erlassene Gesetz über den Religionsunterricht als diktatorisch .und totalitär ab'. Das Gesetz selbst hat weder den einen noch den anderen Charakter. Es war zwar seinerzeit von Perön als Köder der katholischen Kirche und den Katholiken Argentiniens zugeworfen, und diese haben angebissen. Es ist jedoch ein in seinem Geiste demokratisches Gesetz, denn auch die Wiedereinführung des Religionsunterrichts in den Schulen war an die Zustimmung der Eltern beschränkt. Die argentinischen katholischen Eltern haben zu 95 Prozent bei der Einschreibung ihrer Kinder in die Volks- und Mittelschulen den Wunsch geäußert, daß ihren Kindern der Religionsunterricht erteilt wird. Berücksichtigt man, daß in den argentinischen Staatsschulen schon im Jahre 1884 der Religionsunterricht vor die Tür gesetzt wurde, so spricht das Ergebnis von 95 Prozent für das religiöse Bewußtsein der katholischen Eltern, die schon selbst eine laizistische Erziehung genossen haben. Die Mei-, nung der Katholiken in der Schulfrage ist geteilt. Auch in Kirchenkreisen ist man nicht einig, in welcher Form die Wiedereinführung erfolgen sollte. Eine Gruppe befürwortet die Wiedereinführung des peronisrischen Gesetzes über den Religionsunterricht, die andere setzt sich für eine weitgehendere Schulreform nach holländischem Muster ein. Der Beginn des Schuljahres naht und es ist ungewiß, wie das Problem gelöst wird. Aus dem Regime Lonardi hat der Unterrichtsminister Dr. Atilio dell'O r o M ä i n i seinen. Posten in die Regierung Arma-buru himibergerettet. Er hat bereits durch den Erlaß über die Hochschulumbildung bewiesen, daß er das System der freien Schulen befürwortet, denn durch das neue Gesetz wurde nicht nur den staatlichen Hochschulen ihre Autonomie zurückgegeben, die Perön völlig ausgeschaltet hatte, sondern auch die Möglichkeit der Gründung nichtstaatlicher Universitäten ermöglicht, womit der Verwirklichung des alten Traumes der Errichtung einer katholischen Universität nichts mehr im Wege steht. Wird aber der gegenwärtig verantwortliche Ressortchef soviel Kraft — den Willen hat er — aufbringen, in diesem Sinne das Volks- und Mittelschulwesen zu reformieren, oder wird er auch ausgebootet werden?

Zur Beschwichtigung der Katholiken und ihres Gewissens in dieser Frage wird alles getan. Die Katholiken haben auch unter Aramburu bei der marianischen Kundgebung am i. Dezember 1955 — diese Veranstaltung fand, wegen des seinerzeitigen Verbotes Peröns> mit einer Verspätung von einem Jahr statt — *be-wiesen, daß sie für ihre Rechte einzutreten wissen. Es war eine nochmalige einheitliche Absage an alle Versuche der Laizierung des -Lan-•des. An dieser Kundgebung konnte man- in schönster Eintracht die gesamte Regierung5 *mit den Mitgliedern des argentinischen Episkopats zusammen sehen. Es fehlte dabei auch nicht der „starke Mann“, Konteradmiral Rojas, Vizepräsident der Nation. Die Machtverba'llung in seiner Hand ist enorm. Er ist Vorsitzender des politischen Beratenden Ausschusses (des bereits erwähnten „Ersatzparlaments“), Vorsitzender der nationalen Untersuchungskommission, die sich mit dem politischen und wirtschaftlichen Augiasstall, den Perön hinterließ, zu befassen hat, er ist aber zugleich der oberste Chef der Marineoperationen. Seine Verdienste in dieser Eigenschaft während der Revolution sind unbestritten.

Die Marine ist durch die letzte Revolution als neuer Faktor im argentinischen politischen Leben aufgetreten. Sie hat ihre Rolle glänzend bestanden. Auf die weitlaufenden Gerüchte, wer eigentlich hinter diesem neuen Faktor im argentinischen Staatsleben steht, erklärte der verantwortliche Ressortchef, Konteradmiral Härtung, als Marineminister öffentlich, die Marine sei nicht antireligiös eingestellt. Zum ersten Mal, nachdem Perön,. dem Beispiel anderer diktatorischer Vorbilder folgend, die Freimaurer mundtot gemacht hatte, meldete sich der Großorient Argentiniens und reagierte auf die Erklärung Hartungs mit der Feststellung, daß nicht nur zahlreiche argentinische Staatsmänner Freimaurer waren, sondern die Gründung, der Bestand und der Fortschritt der argentinischen Marine ausschließlich ein Verdienst der Logenbrüder sei. Es steht nun Aussage gegen Aussage. Der, den es am meisten ai.-geht, der „starke Mann“, Konteradmiral Rojas, schweigt. Er ist sich heute seiner Position sicher, denn zum Chef der Bundespolizei hat er einen, und zum kommissarischen Leiter des Gewerkschaftsverbandes den anderen höheren Marineoffizier bestimmt. Aus der Regierung Lonardis ist er nicht nur glücklich in die Regierung Aramburu hinübergewechselt, sondern war an diesem Staatsstreich, der geschickt dem Willen „junger Offiziere“ in die Schuhe geschoben wurde, führend beteiligt. Der Mann auf der Straße fragt sich aber, wer hat recht: Marineminister Härtung oder die Loge? Wer regiert: Aramburu oder Rojas? Wird Argentinien aus einer personalistischen Diktatur in eine Talmidemokratie hineinschlittern, deren hintergründige Drahtzieher Globus und Zirkel zwar nicht als offenes Parteiabzeichen, aber in ihrem Inneren als Embleme tragen?

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