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Schicksalswende für die Heimatvertriebenen

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Von Gotthold Göringh, Referent für die Flüchtlingsseelsorge des Evangelischen Oberkirchenrates A. und H. B. in Wien

Die „Furche“ widmet heute an leitender Stelle dem Problem der Vertriebenen eine Stellungnahme aus der Feder des Präsidenten des Katholischen Sozialwerkes. Nachstehend der Bericht über konkrete Ergebnisse der Salzburger Konterenz von maßgebender evangelischer Seite.

„Die österreichische Furche“

Zu dem traurigen Erbe der Bürgerkriege nach dem ersten Weltkrieg und zu der traurigen Hinterlassenschaft des zweiten Weltkrieges gehören Millionen heimatvertriebener Menschen in Deutschland, Österreich, Frankreich und in anderen Ländern. Millionen Menschen — wer hat heute vor dieser Zahl noch innerlich und äußerlich Respekt? Wo die Ehrfurcht vor dem einzelnen geschwunden ist, da gibt es keine Ehrfurcht vor der Not der vielen. Wer ermißt die Flut von Elend und Leid, die durch die Heimatvertreibung über so viele Menschen gekommen ist?

Entgegen dieser Feststellung gehört es zu den ermutigenden Zeichen unserer Gegenwart, daß es Menschen im staatlichen und gesellschaftlichen Leben gibt, die sich dieser Not stellen und in ihrer Linderung oder Beseitigung nicht nur eine staatliche, parteipolitische, arbeitsrechtliche, volkssanitäre und caritative Aufgabe sehen, sondern eine Aufgabe, die den ganzen Bereich des menschlichen Lebens der Heimatvertriebenen nach Leib, Seele und Geist umfaßt. In immer neuen Vorstößen und Anregungen suchen sie zu helfen und andere zur Mithilfe willig zu machen. Es muß nicht besonders erwähnt werden, daß die christlichen Kirchen und Gemeinschaften seit dem Beginn der gewaltigen Flüchtlingsströme in dem Ringen um die Linderung oder Beseitigung der neuentstandenen Not un-überhörbare Rufer und kräftige Helfer waren und sind. Dies hat die vom Ständigen Ausschuß für Flüchtlingsfragen des ökumenischen Rates der Kirchen angeregte Konferenz vom 17. bis 19. Jänner in Salzburg aufs neue eindeutig gezeigt.

Die Salzburger Konferenz über die Flüchtlingsfrage in Österreich ist in mehrfacher Beziehung bemerkenswert und für unsere spezielle Lage in Österreich bedeutsam.

Es war keine kirchlich oder konfessionell gebundene Konferenz. Der Kreis der Teilnehmer (etwa 110 und zahlreiche Gäste) war sehr weit gespannt. Zu ihr gehörten Männer und Frauen des staatlichen und kirchlichen Lebens in Österreich, die seit Jahren in der Flüchtlingsarbeit stehen. Das Bundeskanzleramt, die Bundesministerien für Inneres, für Finanzen, für soziale Verwaltung, für die Landwirtschaft, die Landesregierung von Salzburg usw. entsandten ihre Vertreter oder Sachbearbeiter. Die starke Teilnahme staatlicher Stellen an der Salzburger Konferenz zeigt in erfreulicher Weise, daß sie die Mitarbeit der kirchlichen carita-tiven Organisationen und der freiwilligen Wohlfahrtsorganisationen begrüßen und wünschen. Umgekehrt haben die kirchlichen Stellen erfahren dürfen, daß sie in ihrer caritativen und seelsorgerlichen Arbeit mit der Verständnisbereitschaft und Förderung der staatlichen Stellen rechnen können.

Weiter war bedeutsam, daß zum erstenmal seit Kriegsende staatliche, politische, kirchliche Stellen und freiwillige Organisationen sich zusammenfanden, um nach einer Lösung des Flüchtlingsproblems in Österreich zu suchen. Damit wurde in nachdrücklicher Weise die Aufmerksamkeit der österreichischen und internationalen Öffentlichkeit auf das Flüchtlingsproblem in Österreich gelenkt. Die internationale Bedeutung der Flüchtlingsfrage in Österreich wurde besonders dadurch unterstrichen, daß zahlreiche Delegierte aus dem Ausland an der Konferenz teilnahmen.

Sehr eindrucksvoll war bei der Salzburger Konferenz das gute Nebenein a n d e r s t e h e n der beiden christlichen Kirchen in Österreich. Bei aller gebotenen Geschiedenheit in den Dingen des Glaubens und des Bekenntnisses ergaben sich für die römischkatholische und die evangelische Kirche in Österreich weite Strecken der Zusammenarbeit auf dem Gebiete der carita-tiven Arbeit an den Heimatvertriebenen. Die sehr freimütige Bezeugung dieser Tatsache durch den evangelischen Landesbischof D. May und durch den Leiter der römisch-katholischen Caritas, Monsi-gnore Weinbacher, machten auf alle Teilnehmer einen nachhaltigen Eindruck. Die Erklärungen beider Kirchenmänner versuchten gar nicht irgendwie in schwärmerische Weise bestehende Geschiedenheit in Dingen des Bekenntnisses zu verwischen, bekannten sich aber zu dem Dienst der Nächstenliebe des christlichen Samariters. Diese klare Haltung ermöglichte es, daß auf der Salzburger Tagung die vom Leiter der Konferenz, dorn methodistischen Geistlichen Dr. Henry Carter, London, eröffnet wurde, der römisch-katholische Fürstbischof Dr. Roh r-acher, der evangelische Landesbischof D. May, der römisch-katholische Kanonikus Msg. Weinbacher ohne Scheu sprechen und mitarbeiten konnten. In aller Nüchternheit dies zu sehen, ist Grund genug zum Danken für diese Wende in Österreich, die nodi vor einigen Jahrzehnten undenkbar war.

So widitig diese Erkenntnis über die Bedeutung der Salzburger Tagung für das Grundsätzliche und Persönlidie auch ist, so wichtig ist aber auch die andere Feststellung. Die Konferenz hat in ihrem Arbeitsergebnis eine Fülle von positiven Anregungen für die konkrete Lösung der Flüchtlingsfrage in Österreich aufgezeigt.

Alle Referate, die sich durch Offenheit und Sachlichkeit auszeichneten und in manchen Punkten gegensätzlich waren, dienten als Grundlage für die Arbeit in den drei Arbeitsgruppen für die internationale, die österreichische und die kirchliche Verantwortung.

Von dem Gesetz der Sache und dem Willen zur positiven Arbeit gedrängt, kamen alle drei Gruppen zu fast einmütigen Ergebnissen, die in der Vollversammlung als Empfehlungen an die internationalen, an österreichische und ökumenische Stellen angenommen wurden.

Alle drei Fachgruppen kamen nach sorgfältigem Studium aller wichtigen Vorlagen zu einem Ergebnis, das den in der Flüchtlingsarbeit stehenden Männern schon längst bekannt war, nämlich daß das FI üc h 11ingsprob1em auf dem Sektor der Volksdeutschen lösbar ist. An dieser auf der Salzburger Konferenz erarbeiteten Feststellung kann nicht mehr vorübergegangen werden, es sei denn, daß man aus irgendwelchen Gründen eine Lösung der Flüchtlingsfrage nicht will. Von den etwa 300.000 deutschsprachigen Flüchtlingen aus dem Osten und Südosten Europas stehen fast die Hälfte im Arbeitsprozeß Österreichs. Die von der österreichischen Arbeitsgruppe ausgearbeiteten Vorschläge zeigen ganz konkrete Wege für die Eingliederung und Seßhaftmachung des Teiles der Volksdeutschen, die in Osterreich bleiben wollen. Es handelt sich dabei um etwa 150.000 bis 200.000 Seelen. Ihre Arbeitskraft wird benötigt, und die Arbeitsfähigen stehen seit Jahren in der Arbeit. Optisch und sachlich geurteilt, ist die Frage der Seß-haftmachung und Einbürgerung dieser Flüchtlinge im Vergleich zu der Notlage in Deutschland und in manchem anderen Land kein allzu großes Problem und kann gelöst werden. Staatliche, kirchliche und freiwillige Organisationen Österreichs können diese Frage in engster Zusammenarbeit und mit Hilfe des Auslandes lösen. Der zersetzenden Ungewißheit über die Zukunft dieser Heimatvertriebenen muß ein Ende gemacht werden. Bis zum Abschluß des Staatsvertrages müßte die Schaffung eines Flüchtlingsstatuts ähnlich dem Südtiroler Statut erstrebt werden. Mit diesem Statut könnten viele widitige Fragen beantwortet werden, so die Übernahme von Mitgliedern freier Berufe (Gewerbetreibende und Intellektuelle) im Verhältnis zur Gesamtzahl, die Versorgung der Alten, Invaliden und Pensionisten usw. An der Seßhaftmachung der Flüchtlinge und ihrer rechtlichen Sicherung haben die Kirchen ein wichtiges seelsorgeiliches Interesse. Gehören doch beide Lösungen zu entscheidenden Teilen der Gesundung und Eingliederung in das normale Leben. Eine Not ist die Lage der getrennten Familien und der zurückgehaltenen Kinder in manchen Ländern des Südostens. Hier vermag Österreich allein nichts zu tun, sondern bedarf der Willigkeit und Bereitschaft der Stellen außerhalb Österreichs. Für die Kriegsgefangenen unter den Volksdeutschen wurde von seifen Österreichs viel getan und mehreren Tausenden die Entlassung nach Österreich ermöglicht.

Von Wichtigkeit war die Feststellung, daß einem großen Teil der deutschsprachigen Flüchtlinge durch die Heimatvertreibung ein Unrecht zugefügt wurde. Mit großer Einmütigkeit haben die Teilnehmer aus dem Aus- und Inland bekundet, daß durch das Potsdamer Abkommen von 1945 die Vertreibung der Deutschen und Volksdeutschen sanktioniert und die widerrechtliche Vertreibung der Volksdeutschen aus dem Südosten Europas ausgelöst wurde. .Als Amerikaner kann ich sagen, daß wir anscheinend die Schuld auf uns geladen haben, uns den Volkstumsbegriff der Nationalsozialisten zu eigen gemacht und ganze Völker ohne Rücksicht auf elementare politische Rechte abgeurteilt haben.“ Die christlichen Kirchen haben auf dieses Unrecht, sei es durch die Erklärungen des ökumenischen Rates der Kirchen oder des Vatikans, hingewiesen.

Die Resolutionen aller drei Gruppen umfassen die ganze Breite und Tiefe der Flüchtlingsfrage in Österreich. Es ist unmöglich, alle Anregungen und konkreten Vorschläge anzuführen. Sie bedürfen einer sorgfältigen Ausführung im einzelnen. Die Frage der nichtdeutschsprachigen DPs nach der Auflösung der IRO, die Versorgung der alten und invaliden DPs, die die IRO nicht zum Auswandern bringen kann, bedürfen noch einer gründlichen Überlegung. Einseitige Entscheidungen sind von Übel und können in ihren Folgen Österreich nicht aufgeladen werden. Noch vor der Auflösung der IRO müßte bei der UNO das Amt eines Hochkommissärs für das Flüchtlingswesen erstrebt werden. Zum Kreis seiner Betreuung müßten auch die deutschsprachigen Flüchtlinge gehören usw. Es sind diesmal die Vertreter internationaler Hilfsstellen gewesen, die auf eine vollständige Gleichstellung der Volksdeutschen Flüchtlinge mit allen anderen Flüchtlingen gedrängt haben. Die von der IRO getroffene und bis heute eingehaltene Unterscheidung zwischen Flüchtlingen verbündeter Staaten und feindlicher Staaten kann weder sachlich noch moralisch weiter vertreten werden.

Die von den Arbeitsgruppen ausgearbeiteten Vorsdiläge werden in der nächsten Zeit als Empfehlungen an die zuständigen Stellen geleitet werden. Sie sind in ehrlicher und sachlicher Arbeit erarbeitet worden. Sie sind eine Grundlage, auf der weiter gearbeitet werden kann. Es wäre zuviel gesagt, wenn man von der Salzburger Tagung eine Wendung im Schicksal der Heimatvertriebenen erwarten würde. Daß sie aber die geistigen und sachlichen Voraussetzungen dafür bietet, ist kein Zweifel. Für die Lösung des Flüchtlingsproblems bleibt letztlich das entscheidend, was der Leiter der Konferenz sagte: Wir müssen in jedem Flüchtling einen ebenbürtigen Menschen erblicken. Wir müssen im Namen Gottes darauf bestehen, daß ein jeder Flüchtling ein Mitmensch ist, teilhaftig der gemeinsamen Rechte, mit denen Gott die Menschheit bedacht hat.“

Der ökumenische Rat der Kirchen, dem die evangelischen und orthodoxen Kirchen angehören, hat die Salzburger Konferenz über die Flüchtlingsfrage angeregt und durchgeführt. Die Versammlung sprach ihm für diese Initiative den Dank aus.

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