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Schiff im Hafen

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Am9. Jänner, zwischen acht und neun Uhr morgens, brodelte aufgeregt die Flut um die . Molen der spanischen Mittelmeerhäfen Barcelona, Tarragona, Valencia, Alicante, Malaga, Cartagena, Almeria und Palma de Mallorca, während Salutschüsse aus Schiffsgeschützen und Küstenbatterien dröhnend über die Wasser rollten. 35 Einheiten der VI. amerikanischen Flotte hatten einige Tage vorher eine Seedienstübung in den Gewässern nördlich und südlich der Baleareninseln begonnen und legten nun in den verschiedenen Häfen zur gleichen Uhrzeit an. Vor der spanischen Küste hatten Einheiten der spanischen Kriegsmarine die supermodernen Schiffe der Amerikaner erwartet, und Seite an Seite, die Laufstege nicht nur an Land, sondern auch zwischen spanischen und amerikanischen Schiffen von Deck niederlassend, machten sie nun an Molen und Ankerbojen fest…

Nach den ersten, vereinzelten Besuchen amerikanischer Kriegsschiffe in spanischen Häfen in den Jahren 1950 und 1951. ist dies der erste größere amerikanische Flottenverband, der durch seinen Besuch in Spanien eine Freundschaft besiegeln soll, die von der amerikanischen Marine begonnen und von ihr gegen alle innen- und außenpolitischen Widerstände gleichsam durchgepaukt worden war. Der Besuch bedeutet, daß von jetzt an die spanischen Häfen der amerikanischen Marine jederzeit als Basen und Zuflucht offen stehen. Ein ganzer Stab von Auslands- und Sonderkorrespondenten der amerikanischen Presse ist in den spanischen Mittelmeerhäfen verteilt, um der amerikanischen Öffentlichkeit die direkten Eindrücke dieses für die atlantische Strategie der USA symbolischen und bedeutenden Ereignisses zu vermitteln.

Das neue Jahr hat den Spaniern die Gewißheit gebracht, daß nach dem Inzwischen nahezu aufgebrauchten 65-Mil- lionen-Dollar-Kredit ihr Land endgültig in das wirtschaftliche und militärische Hilfsprogramm der Vereinigten Staaten eingeschlossen werden wird. Der geplante gegenseitige Beistandspakt sieht nicht vor, daß Spanien als Partner dem Atlantikpakt oder der Organisation der gemeinsamen europäischen Streitmacht beitritt. Die seinerzeit in Anbetracht der englischen und französischen Widerstände gegen eine Aufnahme Spaniens in die Organisationen des Atlantikpaktes und der europäischen Streitmacht von Franco vorgeschlagene Formel eines direkten Einverständnisses zwischen Spanien und den USA hat sich somit als die nächstliegende und einfachste herausgestellt. Die Vorbereitungen für das Inkrafttreten des gegenseitigen Abkommens sind längst getroffen. Ende des Monats werden eine wirtschaftliche und eine militärische Mission Agenturen in Madrid eröffnen. Aufgabe der ersteren ist es, die Erhöhung der spanischen Produktionskraft, den Ausbau des Verkehrsnetzes und die Sanierung des Bergbaues zu studieren und intensiv voranzutreiben. Die Militärmission wird sich mit einer tiefgreifenden Reorganisation der spanischen Wehrmacht befassen.

Für die Arbeit der beiden Agenturen ist das Feld schon vorbereitet. Die gegen Ende 1950 fühlbar einsetzende amerikanische Hilfe hat im vergangenen Jahre einen allgemeinen Aufschwung der spanischen Industrie und des Wirtschaftslebens überhaupt zur Folge gehabt. Daß, nebenbei gesagt, der Wettergott Amerikaner sein muß, steht für die spanische Landwirtschaft außer Zweifel, denn auch er hat seine in Form von trockenen Jahren über Spanien verhängte Blockade aufgehoben und den sich von allen Göttern verlassen wähnenden Spaniern ein gutes Erntejahr beschert, das seinerseits dazu beitrug, auch der Masse der arbeitenden Bevölkerung die Überzeugung zu geben, daß der Wind jetzt aus einer an- deren Richtung bläst. Wenn der spanische Arbeiter seit dem Ersten dieses Monats wieder so viel Brot kaufen kann wie er will, in Qualität und Preis dem in anderen europäischen Ländern verzehrten gleichwertig, dann hat das für ihn genau so viel Bedeutung wie für die spanische Ökonomie der Umstand, daß die Handelsbilanz 1951 mit einem Saldo von 119,200.000 Peseten auf der Habenseite absdiloß, obwohl Spanien in der ersten Hälfte des Jahres noch nicht der Europäischen Zahlungsunion und der Organisation für europäische Zusammenarbeit angehörte. Der Produktionsindex der Industrie für 1951 steht um 25 Prozent über dem von 1929, und obgleich das auf den ersten Blick kein schmeichelhaftes Resultat scheint, so darf man nicht vergessen, daß das Jahr 1 9 2 9 das letzte normale, nicht von Unruhen, Revolten und Bürgerkrieg überschattete Jahr war, während das Jahr 1951 als das erste normale Jahr nach dieser langen Parenthese von 20 Jahren angesprochen werden kann.

In den vergangenen drei Jahren wurde das spanische Eisenbahnnetz einer Generalüberholung unterworfen, die noch nicht abgeschlossen ist. Wenngleich sie das spanische Eisenbahnsystem noch nicht auf den Standard der übrigen westeuropäischen Bahnen gebracht hat, so hat sie doch die Verkehrssicherheit in einem gewissen Grade gehoben und, zumindestens auf den Hauptstrecken, auch die Schnelligkeit und Bequemlichkeit verbessert. Nun kommt das Straßennetz daran, das an eine ähnlichen Vernachlässigung krankt, wie es beim Eisenbahnnetz der Fall war. Das Ministerium für öffentliche Arbeiten sieht im neuen

Jahre die Inversion von 500 Millionen Peseten für die Modernisierung der spanischen Chausseen und Landstraßen vor, zu welchem Zweck Maschinen aus den USA eingeführt werden sollen. Man kann sagen, daß das Straßennetz eine vollkommene Neuorientierung erfahren wird, von den Häfen her in Richtung auf die Nordgrenze. Wem die strategische Absicht dieser Projekte nicht einleuchtet, der mag sich das Programm für die verkehrstechnische Erschließung Spanisch- Marokkos ansehen, das in augenfälliger Weise die Ergänzung des spanischen Programms bildet. Spanien mit Marokko kann zum Gibraltar der USA in Europa werden, dieses Gibraltar soll so respekteinflößend werden, wie es das andere, inzwischen zum seltenen Museumsstück gewordene, immer noch ist, das man nicht anzurühren wagt, um es nicht zu beschädigen. Was das marokkanische Modernisierungsprogramm angeht, so hat der spanische Hohe Kommissar vorläufig dem Sultan von Marokko den Vorschlag einer 260-Millionen-An- leihe vorgelegt, die in Marokko und Spanien ausgeschrieben werden soll.

Das sind einige der Auspizien, unter denen das Jahr 1952 in Spanien begonnen hat.

Es bleibt die Frage offen, was dem spanischen Volk aus dieser Entwicklung erwachsen mag und wie es sich dazu stellt. Vorderhand ist zu sagen, daß, wenn je, die Spanier jetzt von einem ruhigen Vertrauen in die nächste Zukunft beseelt sind. Das Ärgste ist überwunden, die drückendste Not behoben. Es ist wieder Geld unter den Leuten, schon deswegen, weil es, abgesehen von einigen ungünstig gelegenen Gegenden im Süden, nirgendwo an Arbeit fehlt und ein allgemein praktiziertes Doppelverdienertum die immer noch niedrigen Löhne weniger fühlbar macht. Man hofft, daß die amerikanische Hilfe dazu beitragen wird, die noch bestehenden sozialen Mißstände weiterhin zu mildem.

Die inneren politischen Spannungen haben merklich nachgelassen. Die Leidenschaften der Spanier waren auf diesem Gebiet sehr von der sozialen Misere bestimmt. Die Aussicht auf eine Besserung läßt sie nun gleichsam innehalten und ihre Kräfte auf ein ersprießlicheres Beginnen konzentrieren, das so Aussicht hat, zu einem erfolgreichen zu werden.

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