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Schlachtfeld oder Bauplatz?

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Die dramatischen Ereignisse in Kuba mit ihren Auswirkungen auf das Verhältnis des neuen revolutionären Regimes zu den USA der frenetischen Begeisterung, die der Besuch des bärtigen Fidel Castro ursprünglich in New York auslöste, folgte später ein ziemlich gereizter „Meinungsaustausch“ der beiden Nachbarn! waren zwar offensichtlich der Anlaß für den Appell des amerikanischen Außenministers H e r- ter auf der Konferenz der 21 die „Vereinigung der amerikanischen Staaten“ bildenden Länder in Chile, mehr als zuvor in enger Zusammenarbeit Konfliktstoffe im karibischen Raum auszuschalten — die Gründe aber liegen tiefer.

Fast alle Staaten Mittel- und Südamerikas befinden sich in einem Zustand der Revolutionierung. Kommerzielle Mittelschichten, Träger vor allem des Exports, der zumeist fast ausschließlich die wirtschaftliche Existenz in den Ländern garantiert, versuchen, feudale Ordnungen, verwurzelt im Gutsbesitzertum und einer totalitären Militärdiktatur, mit Hilfe der sich langsam herausbildenden Gewerkschaftsbewegungen zu brechen: Ekuador und Kolumbien sahen ebenso wie Panama und Nikaragua, dessen Chef Somaza neben dem „Generalissimo" Trujillo in der Dominikanischen Republik der ausgesprochenste Vertreter überlebter gesellschaftlicher Zustände ist, Anfang des Jahres blutige Revolten, genährt teilweise von dem Mythos, der sich um Castro als den neuen Bolivar, den modernen „Liberator“ Lateinamerikas, zu bilden beginnt.

Dabei spielt das ideologische Freiheitspathos nur eine sekundäre Rolle: Was den aktiven Teil der 180 Millionen Südamerikas in Bewegung bringt von denen im Jahr 1956 ein Bericht der UNESCO noch meldete, daß zirka 40 Prozent der erwachsenen Bevölkerung Analphabeten sind!, sind Not und Armut, das heißt eine fressende Wirtschaftskrise, verursacht vor allem durch den schrumpfenden nordamerikanischen Markt. Während des zweiten Weltkrieges hatten die lateinamerikanischen Länder in den USA und bei anderen kriegführenden Staaten gute Absatzmärkte. Fast jedes hatte Produkte, die gefragt waren: Argentinien lieferte Fleisch und Getreide, Bolivien Zinn, Chile Kupfer und Nitrate, während Nikaragua, Mexiko und Peru Baumwolle und Uruguay Wolle, Venezuela Oel, San Domingo und Kuba Zucker, fast alle aber Kaffee zur Verfügung stellten. Nach dem Kriege ließen die Aufträge immer mehr nach, bis sich der Importausfall katastrophal bemerkbar machte, was unter anderem auch in Haiti und Paraguay zu inneren Spannungen führte.

Die Folge war überall ein Anwachsen antiamerikanischer Stimmungen, wobei die Argumentation gegen den „Dollarimperialismus“ ebenso nationalrevolutionäre wie sozialrebellische Formen annahm.

Als Vizepräsident Nixon bei seiner „Good- will"-Tour durch südamerikanische Staaten mit faulen Aepfeln und anderen unmißverständlichen Mißfallenskundgebungen auf die Notwendigkeit aufmerksam gemacht wurde, dieser Entwicklung einen Riegel vorzuschieben, hat er sich — ebenso wie der Bruder des Präsidenten, Milton Eisen- hower — nachdrücklichst dafür eingesetzt, eine großangelegte ökonomische Stützungsaktion für Lateinamerika in die Wege zu leiten. Auch Kubas neuer Führer hat ja bei seinem USA- Besuch um Wirtschaftshilfe angesucht, dürfte aber durch die in Angriff genommene Aufteilung der großen Zuckerplantagen weite Kreise der Vereinigten Staaten kopfscheu gemacht haben!

Geschürt wird eine gewisse Feindseligkeit der südamerikanischen ärmeren Schichten und der Liberalen noch dadurch, daß die USA bisher offiziell Wert darauf gelegt haben, mit allen Miniaturdiktatoren gut auszukommen. Auch wenn sich das ändert — und es hat den Anschein, daß Battistas Sturz das erreicht hat —, die Hauptsache bleibt: Wirtschaftshilfe! Praktisch heißt das, Lateinamerika braucht dreierlei von den Vereinigten Staaten: Verbreiterung seines Anteils am Programm der amerikanischen Auslandshilfe, Liquidierung vieler die Export- und Importbeziehungen hemmenden Zollbestimmungen, die oft nur das amerikanische, nicht aber das individuell-aktuelle Bedürfnis der Partner berücksichtigen, Verstärkung amerikanischer Kapitalinvestitionen, verbunden mit technischer Hilfestellung durch Fachleute bei bestimmten Projekten der Industrialisierung.

Im Grunde hat .das schon Präsident Truman in seiner Antrittsbotschaft im Jänner 1949 wenngleich allgemein formuliert, ohne Lateiri- amerika besonders zu ‘erwähnen, gefordert, als er die „Vier Punkte für Frieden und Freiheit aufstellte“: Als Punkt 2 hatte Truman verkündet: „Wir werden unser Programm der wirtschaftlichen Gesundung fortsetzen“, und in Punkt 4 angefügt: „Wir müssen ein kühnes neues Programm beginnen, um die Vorteile unserer wissenschaftlichen Errungenschaften und des industriellen Fortschritts für Entwicklung und Ausbau der rückständigen Gebiete zur Verfügung zu stellen.“

Ausdrücklich im folgenden die Investierung von Kapital in unterentwickelten Gebieten erwähnend, sind dort die Forderungen nach wirtschaftlicher Auslandshilfe und nach einem internationalen Programm technischer Hilfeleistung in keiner Weise mit den politischen Punkten 1 und 3 verkoppelt, die rückhaltlose Unterstützung der Vereinten Nationen und militärische Hilfe für Gebiete verlangen, die von Aggressoren bedroht sind. Sieben Jahre später nimmt Präsident Eisen- höwer in seiner Antrittsrede an die Nation die vier Punkte wieder auf und geht dabei diesmal auch direkt auf Lateinamerika ein: „Wir beabsichtigen weiterhin, die freundschaftlichen Beziehungen, die zu unseren Schwesterrepubliken im Süden bestehen, zu festigen. Ich schlage vor, daß wir fortfahren, durch technische Hilfestellung den von den lateinamerikanischen Nationen in Angriff genommenen Projekten beizustehen, um ihre eigenen Hilfsquellen besser auszuwerten.“

Auch hier findet sich noch keine Bezugnahme auf politische Gegenleistungen. Die vom State Department, dem Wehrministerium und der Internationalen Cooperation Administration gemeinsam herausgegebene „S u m m a r y P r e- sentation“ aber bezieht die Frage der Hilfeleistungen für Südamerika bereits unmißverständlich in die Sicherheitsfrage ein und macht sie zu einem Bestandteil der außenpolitischmilitärischen Strategie. Dort heißt es: „Der lateinamerikanische Einfluß in den Vereinten Nationen und in internationalen Beziehungen, in der Unterstützung von Frieden, Freiheit und internationaler Gerechtigkeit ist eine starke Stütze von Stabilität und Frieden. Vom militärischen Gesichtspunkt aus ist die Freundschaft und Mitarbeit der Nationen Lateinamerikas notwendig fiir die Verteidigung der ganzen Hemi-, sphäre.“

Diese Einbeziehung der amerikanischen Wirtschaftsbeziehungen und Hilfeleistungen in die Ueberlegungen eines globalen Krieges beziehungsweise auf Errichtung eines zusätzlichen Sicherheitsgürtels hinzielend, sind nicht ohne Widerspruch geblieben.

So weist W. S. W o y t i n s k i, der im Auftrage des State Departments auf. einer achtmonatigen Studienreise durch 15 südamerikanische Staaten Material gesammelt hat, mit Nachdruck darauf hin, daß endgültige Entscheidungen zwischen den USA und der Sowjetunion sowohl politisch als auch militärisch ebenso in Asien oder Afrika wie in Europa fallen können, soweit sich solche Dinge heute beurteilen lassen, aber kaum in Lateinamerika, einem typischen Nebenraum. Die Verkoppelung konstruktiver Wirtschaftspolitik der Vereinigten Staaten mit militärischen Gesichtspunkten geht seiner Ansicht nach von einer Fiktion aus.

Wenn das die Militärs nicht sehen, Wirtschaftsexperten scheinen es zu sehen — und falsche Konsequenzen daraus zu ziehen.

Im gesamten Entwicklungsprogramm Punkt 4 fallen auf ganz Lateinamerika zirka 5 Prozent der Gesamtausgaben, wovon ungefähr 22 Prozent auf Ausgaben für technische Hilfeleistungen und 1 Prozent auf militärische Lieferungen gehen. Von der gesamten Auslandshilfe gehen 2 Prozent nach den südamerikanischen Staaten. Von 1946 bis 1954 erhielten die europäischen Länder 34,1 Milliarden Dollar, die asiatischen 9,7 Milliarden. Zwanzig lateinamerikanische Länder bekamen 1,1 Milliarden Dollar.

Im Außenhandel belaufen sich immerhin lateinamerikanische Konten für USA-Export auf 20 bis 25 Prozent, während der Import aus den Vereinigten Staaten auf fast ein Drittel der Einfuhr kam.

Schwer ist es besonders für die Lateinamerikaner, langfristige, billige Anleihen aus den USA zu bekommen, vor allem solche, die nicht einfach dazu dienen, amerikanische Zweigniederlassungen großer US-Firmen zu finanzieren, die dem einheimischen Kleinhandel noch zusätzliche Konkurrenz machen. Von zirka 7,5 Milliarden Dollar, die an sich einströmten, ging ungefähr gen! Private Kapitalinvestitionen und -anleinen- ktapken riresqssft dfirsdie3. politischen Gesichtspunkten kollidieren und oft. darum nur kurzfristig eingegangen werden.

Langsam beginnen die Dinge, scheint es, sich zu ändern: Im Mai ist dem amerikanischen Kongreß ein Entwurf unterbreitet worden, der die Errichtung einer Interamerikanischen Bank zur Erschließung der südamerikanischen Wirtschaft vorsieht, bei dem die USA die Hälfte des Grundkapitals stellen soll. Es wird noch Zeit vergehen, bis dieses Projekt und andere Pläne sich auswirken. Fruchtbar werden sie allerdings nur werden, wenn man die lateinamerikanischen Länder nicht als Schlachtfeld von morgen, sondern als Bauplatz von heute ansieht und Hand in Hand mit praktischen Hilfsmaßnahmen die Politik der „Guten Nachbarschaft“ auch im psychologischen Verhalten gegenüber den nationalen Emotionen und den sozialen Notwendigkeiten ihrer Bevölkerung unter Beweis stellt.

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