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Schleichender Fundamentalismus von oben

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In Frankreich und Deutschland wuchert eine islamische Fundamentalistenszene. Die Furche s sich in Wien um.

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In Frankreich und Deutschland wuchert eine islamische Fundamentalistenszene. Die Furche s sich in Wien um.

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Wir haben die evangelische Kirche schon überholt und sind jetzt die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft.” Der als „Stimme des Islam” bekannte Ahmad Abdelrahimsai, Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft, beschreibt den Aufstieg des Islam in Osterreich nicht ohne Stolz. Etwa eine Viertelmillion Moslems leben hier. Der Islam ist in Osterreich als einzigem Land Westeuropas eine gesetzlich anerkannte und damit gleichberechtigte Religionsgemeinschaft. Moslemische Kinder werden automatisch einem islamischen Religionsunterricht zugeteilt Die Verantwortung darüber obliegt der islamischen Gemeinde unter Abdelrahimsai.

Von einer Reliebigkeit der Lehre ist der Islam jedoch weit entfernt. Die Suche nach Religionslehrern führte Abdelrahimsai sogar an die islamische Al-Azhar Universität in Kairo. Von 37 Rewerbern um einen Religionslehrerposten, allesamt Absolventen des Eliteinstituts, faj^ er gerade sechs des Unterrjjps in Österreich für würdig: Doch die Kriterien der Auswahl sind nicht unumstritten: „Ägyptische Religionslehrer beschimpfen Atatürk aufs grijb-ste”, ärgert sich etwa Serafet-tin Yeldis von der Migranten-beratungssteile des Wiener Stadtschulrates. Vermehrt kritisieren türkische Eltern einen schleichenden Fundamentalismus im Religionsunterricht (Kommentare S. 2 und 7).

Zuletzt sorgte der von Abdelrahimsai angeordnete Kopftuchzwang für Schülerinnen im Religionsunterricht für Aufregung. Zur Aussprache mit Stadtschulratspräsident Kurt Scholz nahm Abdelrahimsai den Koran mit und relativierte seine Strenge:- „Das ist nicht mein Befehl, sondern der Refehl Gottes.” Immerhin einigte man sich auf einen Minimalkonsens: Ke;ne ideologischen Dispute auf dem Rücken der Kinder.

Zur Moderatorin des türkischen Satellitenfernsehen ist die Diskussion um das islamische „Kopftuch” allerdings noch nicht durchgedrungen: In der kleinen Moschee in Wien-Landstraße nimmt niemand Anstoß an der grell ge- -• schminkten TV-Perle aus Kleinasien. Türkische Arbeiter und Gemüsehändler, Männer in Lederjacken und Burschen mit Baseballkappen treffen einander hier zum Abendgebet in einem schmucklosen Hinterzimmer.

Dutzende solcher unauffälliger Gebetsräume gibt es in Wien. Der Zulauf ist enorm. Es sind Klubräume für die Geselligkeit mit einer Kantine, die auch für die Finanzierung der Moschee sorgt. Sie bieten den Männern allabendlich auch einen Fluchtort vor den meist beengenden Wohnverhältnissen. Fast alle Moscheen liegen im billigen Souterrain. Der Islam ist vor allem eine Religion der Gastarbeiter.

Wie in den Herkunftsländern trennnen auch in Österreich politische und nationale Barrieren die Gemeinschaft der Gläubigen. Ägyptische Zeitungsverkäufer beten in den von Arabern geführten Moscheen, die Vielzahl der türkisch-islamischen Vereine spiegelt die politische Situation des Heimatlandes wider. Die von - regierungstreuen Vereins^ geführten Klubs macheruBne klare Mehrheit der Moscheen aus. Dort predigen von der türkischen Regierung bezahlte Vorbeter einen Islam getreu der türkischen Staatsdoktrin. Noch eine eindeutige Minderheit bilden die mit der religiösen „Befah”, (Wohlfahrtspartei) sympathisierenden Türken.

Von einer wildwuchernden Fundamentalistenszene ist hier im Gegensatz zu Frankreich oder Deutschland nichts zu bemerken. Muhammad Murat, Leiter einer arabischen Moschee in Wien-Leopoldstadt, gesteht allerdings Versuche einer Unterwanderung ein: „Wir können nicht alle Leute, die zu uns kommen, kontrollieren.” Die Provokation aus dem Ausland fällt aber auf wenig fruchtbaren Boden. Mit einem Islam in der Opferrolle, den etwa Fundis aus Ägypten propagieren, kann sich in Österreich ein Moslem schwer identifizieren. Auch Abdelrahimsai stimmt zu, daß die gesetzliche Verankerung des Islam in Österreich kanalisierend wirkt: „Ich habe das im Griff”.

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