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Schließt die Diskussion und handelt!

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Die Diskussion um die Maßnahmen, die zum Schutze der Jugend vor Schmutz und Schund zu treffen sind, ist nicht mehr in Gefahr, im Sande zu verlaufen oder zu wenig Widerhall zu finden. Aber man muß befürchten, daß sie sich festfährt und ins Endlose ausspinnt, die Debatten von politischen, moralischen und sozialen Sentiments und Ressentiments überwuchert und daher unfruchtbar werden. Nun aber ist, so wie die Dinge nun einmal liegen, jede Verzögerung schädlich: es ist einfach nicht zu übersehen, daß sich die Seuche der gedruckten Pornographien weiter ausbreitet, daß immer neue Geschäftstüchtige schmutzige Schäfchen ins trockene bringen wollen, ehe die gesetzlichen Hindernisse in die Wirklichkeit umgesetzt werden. Der Beobachter hat ferner reichlich Gelegenheit, zu konstatieren, daß auch einzelne bis-nun gesund gebliebene Teile der Unterhaltungspresse allmählich in jenes Fahrwasser einzuschwenken beginnen, und sei's auch nur, um konkurrenzfähig bleiben zu können. Und schließlich hält die Überschwemmung der Zeitungsmärkte jenseits unserer Grenzen mit in Österreich hergestellten pornographischen Zeitschriften weiter an und verursacht dem guten Ruf österreichischen Kulturlebens Beschämung um Beschämung. Nein, Verzögerungen sind in dieser Sache nicht am Platz. Die Zeit drängt; es muß etwas geschehen, der Seudie so schnell wie möglich Einhalt geboten werden.

Der österreichische Unterrichtsminister hat bekanntlich bereits in der Mitte des vergangenen Jahres allen zuständigen Stellen und beteiligten Faktoren den Entwurf eines „Gesetzes zum Schutze der Jugend gegen Schmutz und Schund“ zugehen lassen und deren Meinung eingeholt! der Entwurf wurde schließlich dem Ministerrat vorgelegt, auf Grund des Einspruchs der sozialistischen Minister aber zurückgestellt. Warum? Das Zentralorgan der Sozialisten behauptete, daß er geeignet sei, die Rechte der Gerichte und der Länder zu verletzen; im Hintergrund der sozialistischen Argumentation stand wohl die mehr als überängstliche Befürchtung, daß eine „Sittenkommission“ — wie sie der Gesetzentwurf des Unterrichtsministeriums angeblich vorsehe — geeignet sei, die Freiheit der Presse und des Privatlebens zu beeinträchtigen. Diese Befürchtungen sind wiederholt und schlagend widerlegt worden; die ihnen zugrunde liegenden Ressentiments konnten offensichtlich nicht beseitigt werden.

Nun aber haben sich, und das darf man mit aufrichtiger Genugtuung bemerken, die Standpunkte der Diskussionsteilnehmer dennoch genähert. Auch auf der sozialistischen Seite wurde begriffen, daß die Existenz der Schmutzpresse im Grunde kein Politikum ist, sondern eine Frage, welche die gesellschaftliche und soziale Gesundheit, die geistige Sauberkeit unseres Volkes und seiner Jugend betrifft. Es scheint auch verstanden worden zu sein, daß es sich hier nicht um die Beschränkung der Pressefreiheit, sondern einer zutiefst gewissenlosen Ge-sdiäftemacherei handelt. , Als Resultat dieser Überlegungen und Einsichten ist vermutlich der Vorschlag des sozialistischen Gesprächspartners zu betrachten, wonach im Anschluß an die Revidierung des Pressegesetzes eine Novellierung des Strafgesetzes zu erfolgen habe und damit unsittliche, bildliche Darstellungen und Druckerzeugnisse unter verschärfte

Strafbestimmungen zu stellen seien. Die Handhabung dieser präzisierten und verschärften Bestimmungen sei — dies ist der Kern des Vorschlags — den Jugendrichtern zu übertragen.

Wir glauben nicht, daß die Realisierung dieses Vorschlags eine Lösung aller zur Debatte stehenden Probleme und Komplikationen mit sich bringen würde.

Es ist die Aufgabe des Jugendrichters, Verfehlungen und sittliche Entgleisungen jugendlicher Gesetzesübertreter zu bestrafen; aber das Jugendgericht ist kaum jemals in der Lage, deren Ursachen zu beseitigen. Das entspricht natürlicherweise dem Sinn und Zweck der Gerichte. Man muß befürchten, daß eine Erweiterung des jugendrichterlichen Kompetenzbereiches dazu angetan wäre, Unklarheiten und Zuständigkeitskonflikte hervorzurufen und die so notwendig gewordene Sanierung der bedrohten öffentlichen Moral noch weiter hinauszuzögern.

Noch einmal: Sache des Jugendrichters ist es, die Folgen einer moralischen Seuche zu bekämpfen. Aber der Pädagoge kann an erster Stelle ihre Ursachen, die Herde ihrer Entstehung und ihre Ausbreitung feststellen. Dies ist sein Aufgabenbereich. Es ist unmöglich, in dieser Sache entscheidende Maßnahmen zu treffen, ohne Lehrer und Erzieher zur Absprache herbeizuziehen. Schutz der Jugend vor Schmutz und Schund — sollte dies nicht die ureigenste Domäne des Pädagogen sein?

Dennoch sei festgehalten, daß die Sozialisten einen ersten positiven Beitrag zur Diskussion endlich geliefert haben und sich, wie es scheint, in vollem Ernst mit den Gefahren zu beschäftigen beginnen, auf die von der anderen Seite so lange schon hingewiesen wurde. Damit dürfte eine Basis der Verständigung gefunden worden sein. Was noch zu erwarten und zu erhoffen steht, ist, daß auch die Sozialisten einsehen, daß es in

Während der Wirtschaftsminister Adenauers, manchmal ins Detail gehend, meist nur die großen Linien hervorhebend, von den Problemen der deutschen Volkswirtschaft spricht, steigt für einen Augenblick das Bild eines anderen europäischen Wirtschaftsführers, Sir Stafford Cripps, in mir auf. Wenn Erhard wuchtig und breit wirkt, ist die Gestalt, des Engländers ein wenig hager, wenn Erhard eine erdverwurzelte Fröhlichkeit auszuströmen scheint, die in dem klugen, lebendigen Blick etwas Vergeistigtes annimmt, so sind die Augen in dem schmalen britischen Puritanerkopf, dessen, vertikale Gestaltung nur durch einige Gütigkeits- und Humorfalten gemildert wird, streng und forschend. Sir Stafford sieht meist angespannt, überarbeitet' aus, oft hat man das Gefühl, daß ihn nur ein eiserner Wille aufrecht hält, Erhard wirkt robuster und gesunder, die für dieses sehr anstrengende Leben erstaunlich frische Hautfarbe würde jedem von der Hasenjagd heimkehrenden Land-mann Ehre machen. Es gibt in den europäischen Kabinetten wenig Minister, die so die landläufige Vorstellung des von ihnen vertretenen Programms repräsentieren.

Doch fällt es bei aller Unterschiedlichkeit nicht schwer, aus dem Stegreif eine beiden in hohem Maße eigene Tugend zu nennen: den Mut nämlich, zu der eigenen Ansicht zu stehen, den Mut, Dinge freimütig auszusprechen, die nicht populär sind und bei den nächsten Wahlen schaden können, den Mut schließlich, trotz Krisen und Gefahren das Werk fortzusetzen. Welches Werk? Es ist leichter, diese Frage im Falle Sir Staffords zu beantworten. Denn der deutsche Bundeswirtschaftsminister verfügt über keinen „Meiste.rplan“, er ist vielmehr der Meinung, daß es einen solchen gar nicht gibt, und daß man nur darangehen müsse, verschüttete Regulierungsfaktoren freizulegen und die alte Nabenwelle wieder an die Ventile heranzubringen, damit das vergessene Spiel sich wieder in seinem selbstregelnden Rhythmus vollziehen könne. Das ist jedoch kein einfaches Beginnen, und Erhard selbst macht keinen Hehl, daß man sich dem Ziel viel eher über mancherlei Serpentinen nähern könne, als es auf schnurgerader Linie zu erreichen-

„Der Abbau des ganzen Systems fortlaufender Eingriffe in Handel und Produktion kann nur sehr allmählich erfolgen. Wir wollen uns doch beispielsweise nicht im unklaren sein, daß wir zunächst aus dem Bilateralen (also dem zweistaatlichen Handelsverkehr) gar nicht herauskommen können ...“

Und ein wenig später weist er auf eine andere Klippe: „Nehmen Sie unsere Wirtschaftsbeziehungen zu Holland, gegenwärtig macht es den Eindruck, als ob die holländischen Waren mit einem sehr starken Sog in den westdeutschen Wirtschaftsraum gerissen würden. Sollte diese Erscheinung anhalten, dann würde diesem Falle nicht um politisches Prestige, um einen Streit zwischen Weltanschauungen, um konfessionelle Rücksichten oder parteiideologische Forderungen geht, sondern um eine Lebensfrage unseres Volkes. Ob sie durch eine Kommission des Unterrichtsministeriums oder durch neue Befugnisse des Jugendgerichts bereinigt wird, ist im Grunde genommen völlig gleichgültig. Der Vorschlag hat realisiert zu werden, der den meisten Erfolg verheißt. Welche' Partei ihn macht, ist belanglos. Es geht nicht darum, wer angibt, was geschehen soll — es geht darum, daß überhaupt etwas, und zwar so schnell als nur immer möglich geschieht. Die Zeit drängt wirklich, und der Worte wurden schon genug gewechselt.

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