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„Schlußstrich ist Sache der Politik”

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Der Historiker Jan Kren über historische Lücken, Mißverständnisse und verpaßte Chancen im schwierigen Verhältnis zwischen Tschechen und Deutschen.

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Der Historiker Jan Kren über historische Lücken, Mißverständnisse und verpaßte Chancen im schwierigen Verhältnis zwischen Tschechen und Deutschen.

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DlKFllRCHK: Was steht im deutsch-tschechischen Verhältnis einem Schlußstrich unter die Vergangenheit noch im Weg?

Jan kren: Ich würde sagen, für die H i -storiker gibt es keinen Schlußstrich, das können nur die Politiker machen. Man kann auch aus einer schweren Vergangenheit ein gutes Zukunftska pital schlagen, aber das ist eine Möglichkeit der Politik. Die Pflicht der Geschichtswissenschafter ist meiner Meinung nach, den Verlauf der Geschehnisse so genau wie möglich zu rekonstruieren. Wir sind uns mit den deutschen Kollegen einig, daß es in der sudetendeutschen Geschichte noch große schwarze Löcher gibt. Die Bilanz ist auf tschechischer wie auf deutscher Seite noch sehr lückenhaft.

DliiFliRCHE: Da gibt es also noch viel zu forschen?

KRKN: Ja, unsere Schwierigkeiten sind eher die Lücken als die Unterschiede der Ansichten. Diese gehen übrigens nicht immer entlang der nationalen Linie. Das haben wir jetzt in der Kommission erlebt bei der Ausarbeitung eines Abrisses der tschechischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Es entstand eine Atmosphäre, in der man jede Frage ohne Angst, daß sich die Beziehungen verschlechtern, diskutieren kann; das finde ich eine wirklich große Wende.

DIFJURCHK: Auf wissenschaftlicher Ebene versteht man sieh. Warum kommt man auf politischer Ebene nicht zu einem befriedigenden Schluß? KRKN: Auch für mich ist das ein Geheimnis, mir ist es nicht klar. Nach der Wende war man bei uns der Überzeugung, daß wir mit allen reden müssen. Der Ausdruck dieser Einstellung war die Geste des Bedauerns von Vaclav Havel. Diese ausgestreckte Hand wurde vom damaligen deutschen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker honoriert - seine damalige Rede war schon etwas, das hatte eine große Wirkung in der tschechischen und deutschen Öffentlichkeit. Aber etwas Ähnliches kam nicht von der sudetendeutschen Seite. Sie hat damals die vielleicht größte Gelegenheit zur Versöhnung verpaßt. Damals wäre vielleicht alles leichter gewesen. Dann kamen die Schwierigkeiten nach dieser Welle der Euphorie. Reiderseits kam eine Ernüchterung - und zwar in Form der Belebung altnationalistischer Vorurteile. Beispielsweise hat die tschechische Sozialdemokratie anfänglich einen nationalistischen Standpunkt eingenommen. Doch das hat sich in den letzten zwei, drei Jahren wesentlich geändert. Jetzt besteht in der tschechischen Politik zwischen den großen Parteien ein Konsens in der sudetendeutschen Frage. Zum Glück hat man im letzten Wahlkampf - von den Republikanern abgesehen - die antideutsche Karte kaum gespielt. Auf der deutschen Seite ist es überwiegend ein bayrisches Problem. Meiner Meinung nach ist es ein Mythos, daß die CSÜ existentiell vom sudetendeutschen Wählerpotential abhängig sein soll. Die Partei hat eine stabile, verläßliche Mehrheit im Bayrischen Landtag, es ist für mich also wirklich eine Frage, warum diese Partei diese Karte spielt. Vielleicht ist es ein Weg zur Selbstbehauptung in der Koalition gegenüber der CDU, vielleicht gegenüber der Sozialdemokratie. Das ist mir nicht klar.

DIKFURCIIK: Die Entschuldigung von Havel hat viel Aufsehen erregt, aber war nicht das Problem dabei, daß seine Äußerungen keineswegs einem Konsens innerhalb der Bevölkerung entsprachen1 Havel hat sich sehr weit vorgewagt, aber die durchschnittliche tschechische Bevölkerung hat wohl nicht so gedacht... .

KREN: Zuerst möchte ich eine Korrektur zur Fntschuldigung von Vaclav Havel anbringen. Er hat sein Bedauern ausgedrückt mit dem Zusatz, daß aus dieser Einstellung keine rechtlichen und anderen Folgen sich ergeben. Das hat er wörtlich gesagt. Aber auch in der tschechischen Öffentlichkeit wurde das nicht begriffen. Die Leute haben nur den ersten Satz gelesen. Den zweiten Satz haben sie nie gelesen. Trotzdem traf diese Geste die ganze tschechische Öffentlichkeit unvorbereitet- in der kommunistischen Ära war das Thema ja ein Tabu. Doch es entstand eine heftige Diskussion darüber, die vielleicht bis heute dau ert. Meiner Meinung nach ist das ein gutes Zeichen. Das heißt nicht, daß die Vorurteile schon weg sind, aber in der Diskussion kann sich etwas ändern. Und nach den Umfragen hat sich auch etwas geändert: So steht die überwiegende Mehrheit der Befragten sehr positiv zu den nachbarschaftlichen Beziehungen zu Deutschland. Auf der anderen Seite stehen die Nationalisten, tschechische und deut sehe, die sich sozusagen indirekt unterstützen. Die tschechischen Republikaner oder die Postkommunisten zitieren immer die „Sudetendeutsche Zeitung”, aber das ist eine Randerscheinung, Auflage 10.000 bis 15.000 Exemplare; und diese Zeitung zitiert immer nur diese blöden tschechischen Stimmen. So entsteht der E,in: druck, daß es auf beiden Seiten nur Nationalisten gibt. Trotz all dem würde ich sagen, in der tschechischen Öffentlichkeit hat sich der Standpunkt von Vaclav Havel eingelebt. Havel hat eine außergewöhnliche Autorität. Er ist noch immer der populärste Politiker, er hat das Vertrauen von 90 Prozent der Befragten. Was den angeblichen Rückzieher Havels im vorigen Jahr angeht, so würde ich sagen, es war kein Rückzieher, es war Ausdruck seiner F,nttäuschung, daß seine erste Geste nicht deutlicher honoriert worden war. Aber ausdrücklich hat er gesagt, daß er zu seiner Geste des Re-dauerns steht. Doch die deutsche Reaktion auf diese Aussagen Havels stützte sich nicht auf die Aussagen selbst, sondern auf einen einseitigen Bericht darüber, der in der „Frankfurter Allgemeinen” erschienen war.

DlKFllRCHK: Ist es nicht auch ein Problem dieser Diskussion, daß meistens so getan wird, als würde die Geschichte mit dem Münchner Abkommen anfangen, doch die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen immer ausgeblendet bleibt?

KREN: Da kann ich einen sudetendeutschen Autor zitieren, der gesagt hat, daß die Erste Bepublik nicht so ideal war, wie es sich die Tschechen vorstellen, aber die Lage der Deutschen auch nicht so hoffnungslos, wie vielfach beschrieben. Die Lage der Deutschen war natürlich nicht befriedigend, aber vertretbar. Das zeigt die Beteiligung der Deutschen an der tschechoslowakischen Regierung. Die Sudetendeutschen haben in der alten Monarchie erlebt, was für Erfolge die Tschechen durch Beteiligung an der Wiener Regierung erreicht haben. Sie haben es sehr gut nachgeahmt, und es funktionierte im Grunde genommen. Ich würde sagen, es war keine ideale Lösung, aber eine tragbare. Eine ideale Lösung in der Nationalitätenfrage kenne ich nicht.

DIEFURCHK: Die jetzige politische Führung ist stark auf Reformkurs, aber es gibt doch gleichzeitig eine gewisse Skepsis gegenüber einer zu weitgehenden EU-Integration, die ein bißchen an die britische Politik erinnert Könnte es sein, daß das auch zusammenhängt mit Vorbehalten gegenüber einer politischen Union, in der Deutschland ein starkes Wort mitzureden hat? kren: Nein, das würde ich nicht sagen, besonders was Ministerpräsident Klaus angeht. Ich bin nicht einverstanden mit seinen Vorbehalten der F,U gegenüber, aber die Gründe dafür sind seine liberale Überzeugung und sein Realismus. Klaus ist in dieser Hinsicht nicht gerade repräsentativ. Die Diskussion über die Integration in der tschechischen Öffentlichkeit begann erst jetzt, aber schon jetzt kann man sagen, der Tenor lautet: Wir sind klein, und wir müssen uns auf die EU hin orientieren.

DlKFllRCHK: Klaus tut aber manchmal so, als müßte sich dieJiU an Tschechien orientieren ...

KRKN: Er weiß, daß das nicht so ist -dazu ist er zu intelligent. Gewisse Vorbehalte sind real, aber die sind ja keine tschechische Spezialität. Mit Deutschland hat das Ganze aber im Grunde genommen nichts zu tun.

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