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„Schönes System der europäischen Sicherheit“

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Seit Jahren vermag der aufmerksame Beobachter festzustellen, daß mit zunehmenden innen- und außenpolitischen Schwierigkeiten die Zahl der russischen Friedensboten sprunghaft anwächst. Wie einst Zeus seinen Sohn Hermes überall dorthin sandte, wo ein Verständnis des griechischen Fußvolkes für die Olympier zu schwinden drohte, so delegieren die Kreml-Götter ihre Boten in aller Herren Länder, mit dem Auftrag, die sowjetische Friedenspolitik, die seit Prag etwas schal geworden ist, wieder schmackhaft zu machen.

Auf Einladung der österreichischen Gesellschaft für Außenpolitik und internationale Beziehungen sprach Prof. Dr. Michael S. Woslenskij kürzlich zum Thema „Europäische Sicherheit und Abrüstung“. Prof. Woslenskij, in seiner Heimat als gewiegter Kenner der bundesdeutschen Außenpolitik bekannt, studierte Geschichte an der Universität Moskau und erlangte sein zweites Doktorat an der Akademie der Staats- und Rechtswissenschaften der DDR. Er ist unter anderem Mitglied des wissenschaftlichen Rates der Akademie der Gesellschaftswissenschaften beim ZK der KPdSU, der sowjetischen Pugwash-Komitees und des Zentralvorstandes der Sowj.-Österr. Gesellschaft. In den Jahren 1966 bis 1968 hielt er den Lehrstuhl für Weltgeschichte an der Lu-mumba-Universität. Woslenskij hält es mit dem Grundsatz Lenins, der friedliche Koexistenz aller Staaten mit verschiedener sozialer Struktur-möglich macht. Die sowjetische Gesellschaft, die Arbeiterklasse und die aus ihr hervorgegangene Intelligenz, kenne kein Interesse an einem Krieg, ein Krieg, der die kollektiv gesicherte Vollbeschäftigung der Sowjetmenschen nur bedrohen würde; daher sei es um so tragischer, daß die UdSSR in den Nachkriegsjahren immer wieder als Aggressor verleumdet wurde, während gerade Amerika im Korea und Vietnam, im Libanon und der Dominikanischen Republik, in Cuba und wer weiß wo noch durch lokale Kriege den Weltfrieden gefährdet; dies resultiert aus der großen Anzahl von Anhängern lokaler Auseinandersetzungen in den USA und dem Gewinnstreben amerikanischer Rüstungsindustrieller.

Da jedoch das russische Bemühen um eine totale Abrüstung bei den Westmächten auf wenig Gegenliebe stoße, wie die Genfer Konferenz zeigt, schlage die Sowjetunion eine Reihe von Teilmaßnahmen vor; daß dieses Streben eher Erfolg zeigt, beweisen Abkommen, wie der Moskauer Vertrag 1961 über das Verbot von Kernwaffenversuchen und der Atomwaffensperrvertrag. Weitere Vorschläge wären dann noch der Abschluß eines internationalen Abkommens über das Verbot von ABC-Waffen, der Verzicht auf Herstellung nuklearer Waffen und in der Folge eine Verminderung und Vernichtung von Kern-

waffen unter internationaler Kontrolle, das Verbot von Bomberflügen mit nuklearen Waffen außerhalb der nationalen Grenzen, die Liquidierung ausländischer Stützpunkte und die Auflösung der NATO und des Warschauer Paktes.

Gerade in Europa sei der Übergang eines lokalen Krieges in einen Weltkrieg immer akut, sind doch die beiden Weltkriege aus Situationen entflammt, die anfangs lokale Auseinandersetzungen schienen. Was ist für die Sicherheit eines Staates notwendig? Erstens die Unantastbarkeit seiner Grenzen, die alle anderen Staaten anerkennen; zweitens: niemamd stellt Ansprüche auf Gebiete, die innerhalb der Grenzen eines anderen Staates liegen; drittens die totale Abrüstung; viertens die Liquidierung der militärischen Blöcke und fünftens die Anerkennung des Status quo.

Und wer gefährdet mit seiner unvernünftigen Politik unser aller Sicherheit und beschwört durch den Versuch, den Status quo zu verletzen, die verheerendsten Folgen herauf? Die Bundesrepublik Deutschland. Womit Thema 1 erreicht wäre: der westdeutsche Revanchismus. Der Moskauer Professor widmet dem bundesdeutschen Verzicht auf Kernwaffen, Verzicht auf West-Berlin, der Anerkennung der Oder-Neiße-Linie, Erklärung der Rechtsgültigkeit des Münchner Abkommens usw. viel Aufhebens. Österreich hingegen, ein neutraler Staat, bemüht sich um Sicherheit und' ^Abrüstung, hof dienert“ Wos* i lenskij den Gastgebern..Denn die UdSSR werde ja mit allen Kräften den Aufbau eines europäischen Sicherheitssystems unterstützen, denn „Europa ist ein gemeinsames Haus für alle“. Wie schön.

Natürlich. Bloß der Hauseigentümer soll Russe sein und der Hausmeister Walter heißen und einen Spitzbart tragen. Auch soll uns „eine soziale Struktur nicht oktroyiert werden“. Die Sowjetunion will ja gar nicht „soziale Strukturen exportieren“ und weiß ganz genau, daß gerade die Souveränität jedes europäischen Staates für ein „schönes, gutes, zuverlässiges System der europäischen Sicherheit“ notwendig ist. Palachs Licht hat also nicht weit ostwärts geleuchtet. Daß man uns den Professor als gewiegten Kenner bundesdeutscher Außenpolitik ankündigte, ließ ja die Vermutung naheliegen, daß es nur eine Frage der Zeit sei, bis der sowjetische Kampf um unser aller Sicherheit auf dem Buckel des revanchistischen Michels ausgetragen wird. Zweifellos wären uns Prof. Woslenskij und seine nicht mehr ganz taufrische Version der russischen Friedenspolitik erspart geblieben, hätte es nicht einen 21. August und einen gelben Cäsar gegeben, der bereit ist, wenn's sein muß, mehr als bloß einen Ussuri zu überschreiten.

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