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Schule der „gelehrten Offiziere“

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AN JENEM HERBSTABEND DES JAHRES 1886 erschien es als Theorie und naturwissenschaftliche Spekulation, was der blasse Mann im dunkelbraunen Artilleriewaffenrock vom Podium eines Saales im Wiener „Militärwissenschaftlichen und

Casino-Verein“ den versammelten Kameraden verkündete: in seinem Vortrag erklärte Hauptmann Karl Gröber voll Überzeugung, die Atomspaltung sei möglich, das Wasser-stoffatom berge ungeahnte Geheimnisse und ein kriegerischer Einsatz der Atomkräfte würde die entsetzlichsten Folgen, ja eine Weltkatastrophe heraufbeschwören.

In den Kasinoräumen, beim Schwarzen und beim Pagat-Ultimo, verblaßten allmählich die apokalyptischen Zukunftsvisionen. „Vielleicht hat er recht, der Gröber, vielleicht wird's das einmal geben..., wer spielt aus, meine Herren?“ warf ein Major ins Gespräch. ■ Auch Gröber, der „Spinner“, erlebte es nicht mehr. 1896 starb er in einer Irrenanstalt, für die Nachwelt verschollen, wie seine deutschen Übertragungen altserbischer Dichtung, die irgendwo verstauben. —

1929 beschäftigt sich ein anderer altösterreichischer • Offizier, Diplom-

ingenieur Potoönik-Noordnung, mit einem damals utopischen Thema: er stellte genaue Berechnungen über den Erdsatelliten an. Für die Schreibtischlade, bestenfalls als Diskussionsgrundlage für einige interessierte Freunde. 1963 wird der Erdsatellit in den USA zur Realität. —

1942 stirbt im Schweizer Exil der Dichter Robert Musil, der in aphoristischer Prosa sein ironisch-wehmutsvolles Bekenntnis zur Heimat von gestern abgelegt hatte. —

Drei österreichische Schicksale, zeitlich und durch inneren Ablauf voneinander getrennt. Eines aber ist ihnen gemeinsam und wirkte prägend auf ihr Wesen ein: die Herkunft aus der geistigen Sphäre der Technischen Militärakademie, die eigentlich mit Fug und Recht „Eugenische Militärakademie“ hätte heißen können, denn es war der Savoyer, der den Anstoß zu ihrer Gründung gegeben hatte.

Vor nunmehr 250 Jahren...

DREI BELAGERUNGEN hatte die kaiserliche Armee hinter sich, als Prinz Eugen 1710 die Errichtung einer „Schule der militärischen Architektur und Mathematik für das Ingenieursikorps“ anregte. 1686 waren die Truppen 77 Tage vor Ofen gestanden, 1702 hatten sie Lüttich 126 Tage ,;berannt“, 1708 haitte Lille sich 117 Tage gehalten. Barocker Stellungskrieg mit Laufgräben, Schanizensystemen und Para-pets, deren Schaupläne bei aller Strenge der Linienführung den Reiz des Ornamentalen haben, wie die Idealentwürfe des Altmeisters der europäischen Festungsbaukunst, Vin-cenzo Soamozzi.

In solchen Kämpfen entschied nicht die Bravour allein, sie erforderten auch den technisch geschulten Theoretiker und Praktiker, den Experten, den „gelehrten Offizier“. Doch an Ingenieuren fehlte es noch in Eugens Heer. Die Zeit schafft sich jene Truppengattungen, die ihrer militärischen Entwicklung und

Kriegserfahrung gemäß sind, sei es nun die Panzertruppe, seien es die Fallschirmjäger oder die Einzelkämpfer der Special Forces.

Kaiser Karl VI., in wehrpolitischen Fragen ein Zauderer, ließ sieben Jahre verstreichen, ehe er den Plan seines Generalissimus sanktionierte. Am 24. Dezember 1717 gab er schließlich seinen Konsens zur Formierung einer „fönmblicben Inge-nieur-Academia“. Äußerer Anlaß war wohl der neue große Sieg Eugens, die mit Pauken- und Trompetenschall gefeierte Eroberung Belgrads.

Im Nachhall dieses barocken Triumphes trat die erste Offiziersschule Österreichs und zugleich die erste technische Hochschule des Kontinents ins Leben.

KRAUS UND VERSCHLUNGEN wie das Rankenwerk auf den Titelseiten alter kaiserlicher Artillerie-Codices ist der organisatorische Weg und die Abfolge der örtlichen Stationen dieser militärischen Stätte. Jahrelang war sie mehr oder weniger behelfsmäßig im Haus des Hofmathemaükus Johann Jakob Marinoni auf der Mölkerbastei untergebracht und mußte sich in Verhältnissen von einer, man könnte sagen, josephinischen Kargheit) bescheiden. In Österreich gibt es nichts Dauerhafteres als Provisorien — diese Maxime bewahrheitete sich auch für die Ingenieurakademie, bis Maria Theresia sie 1755 endgültig mit der Freiherr-Richthausen-von-Ohaos-Stiftung, einer paramilitärischen Anstalt, vereinigte.

Die Ingenieurakademie bildete in ihrer Frühzeit nur einen verhältnismäßig geringen Prozentsatz von eigentlichen Technikern, dafür aber eine große Zahl von Offizieren für die Reiterei und das Fußvolk aus. Seit 1752 stand sie, wie die damals neugegründete Theresianische Militärakademie, unter der Oberdirektion des Feldmarschalls Leopold Graf Daun. Dieser legte der Kaiserin nahe, die Schule im Gebäude der Savoyischen Stiftung „ob der Lairn-grube“ unterzubringen. Damit fand die Ingenieurakadamie, allerdings erst nach Dauns Tod, ihre historische Heimstätte im Stiftsgassen-

trakt der nachmaligen Stiftskaserne, wo noch heute die steinernen Löwen als Schildhalter mit den Wappen der Savoyer und der Liechtensteiner über den Portalen an die Begründerin der adeligen Pflanzschule erinnern: an Maria Theresia Felicita, Herzogin von Savoyen, geborene Fürstin Liechtenstein.

„FLEISS UND THÄTIGE VERWENDUNG allein gaben. Anspruch auf Anerkennung und Auszeichnung“, schrieb der Wiener Topo-

graph Wilhelm Kisch über die Prinzipien dieser eigenartigen Bildungsanstalt. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts umfaßte sie fünf Jahrgänge, in denen nach einem sehr sorgfältig ausgearbeiteten' Lehrplan neben militärischen, technischen und humanistischen Fächern auch Sprachen unterrichtet wurden, so etwa

von der 1. Klasse an die „böhmische“. Die Zöglinge des 5. Jahrgangs waren bereits als „Genie-Corps-Cadeten“ eingestuft und erhielten aus der Kriegskassa eine fixe Monatslöhnunig.

Kaiser Franz hatte den ausdrücklichen Wunsch geäußert, daß nur die tüchtigsten Kräfte als Lehrer an dieser Schule wirken sollten. An Bewerbern mangelte es nicht. Eine eigene Kommissdon machte sich ans Sieben, wählte die fähigsten Köpfe

als Professoren aus und dazu noch einen Herrn, der Gewandtheit mit der gebotenen Courtoisie und Noblesse verband: den erforderlichen Tanzmeister, der den Zöglingen Schliff und feine Lebensart beizubringen hatte, nebst den richtigen Schritten der Contretänze.

Mit der obersten Leitung der Schar junger Leute, die da nach dem unbedingten geistigen und militärischen Leistungsgedaniken und nach den Idealen des Kavalierszeitalters erzogen wurden, betraute der Herrscher seinen Bruder, Erzherzog Johann, der. damals noch die Uni-

form des General-Genie-Direktors der Armee trug.

DIE NAMEN WECHSELTEN, aus der Ingenieurakademie war die Genieakademie geworden, bis das Jahr 1869 die letzte große organisatorische Zäsur brachte: die Vereinigung mit der bisher selbständigen Artillerieakademie unter der endgültigen Bezeichnung „k. u. k. Technische Militärakademie“, aus der nunmehr der Offiziersnachwuchs für die Artillerie und die Pioniertruppe hervorging. Parallel dazu, doch auf der Mittelschulbasis, ver-

lief in der Spätzeit der Monarchie nach anderem System die Ausbildung an der Artilleriekadettenschule in Traiskirchen und an der Pdonier-kadettenschutle in Hainburg, deren Zöglinge bereits als Fähnriche ausgemustert wurden, während die Akademiker mit dem Leutnantsstern zu ihren Truppenteilen kamen.

Bis 1904 verblieb die Akademie in den alten Räumen und den gewölbten, hallenden Gängen der Stiftskaserne unter den vertrauten

Wappenschilden. Dann erfolgte die Übersiedlung nach Mödling, wo am Fuß des Eichkogels ein mächtiger Gebäudekamplex entstanden war, im ärarischen Stil, nach Reminiszenzen an die Schlösserarchitekitiur gegliedert und von sandsteinernen Trophäen und heraldischer Dekoration gekrönt.

Kenner der einstigen Verhältnisse rühmen, daß dieser Bau für seine Zwecke vorbildlich konzipiert war, nach Gesichtspunkten, die auch heute noch nicht überholt sind. Als Bundesgewerbeschule trägt die alte Militärbildungsanstalt nun „schlich-

tes Zivil“ einer vereinfachten Fassade, samt neuen Accessoires in Stahl-Glas-Konstruktion.

1918 waren es technische Militärakademiker, die als letzte kaiserliche Soldaten vor dem Schloß Schönforunn Posten bezogen und Schutzmannschaften für die Fabriken des Mödlinger Gebietes stellten. Eine Abteilung zernierte sogar den kleinen Hofibahnhof von Laxenburg, ein kulturhistorisches Kuriosum aus der „Dampfwagen“-Zeit des Spätbiedermeier. Wenige Monate vorher war dort noch der Salonwagen Wilhelms II. eingelaufen.

108 MARIA-THERESIEN-RITTER

hatten ihre militärische Laufbahn in der geistigen Schöpfung des Savoyers begonnen, attackierende Haudegen ebenso wie wissenschaftlich tätige Planer, große Armeeführer und einfache Hauptleute.

Wie viele Offiziere insgesamt aus der 1717 begründeten Gemeinschaft hervorgingen — kein Miiitärhisto-riker konnte es mit Sicherheit feststellen. Die letzten, die noch den Tschako, den mohrengrauen Waf-

fenrock und die himmelblauen Hosen trugen, gehören heute der Großvätergeneration an.

Am 24. September bei der Ausmusterung an der Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt wird auch das Julbiläum der Savoyischen gefeiert — dann wird eine Gruppe von Männern auf dem weiten Platz stehen...

Die Jahrgänge von einst und die Schicksale von später sind verschieden, doch sie alle kennen einander bei dem selbstgewählten Namen, der sie lange schon verbindet: Prina-Eugen-Afcademilker.

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