6682473-1961_51_03.jpg
Digital In Arbeit

Schutz dem inneren Frieden

Werbung
Werbung
Werbung

Das Justizministerium wird Anfang 1962 der Bundesregierung eine Straf- gesetznovelle „zum Schutz des inneren Friedens“ vorlegen.

Es wird kein Sondergesetz und kein „Staatsschutzgesetz“ sein. Ich stimme mit dem Bundeskanzler überein, daß für alle Bürger der Republik die gleichen Gesetze gelten sollen. Die Demokratie richtet ihren Blick nicht rückwärts, sondern in die Zukunft.

Die Vorgeschichte

Welche Bestimmungen soll die geplante Strafgesetznovelle enthalten und warum brauchen wir überhaupt zusätzliche gesetzliche Bestimmungen zu den bereits bestehenden?

Die Strafgesetznovelle wird sich auf Bestimmungen stützen, die von der 1954 berufenen Kommission zur Ausarbeitung eines neuen Strafgesetzes bereits vor geraumer Zeit beschlossen worden sind. Niemand wird dieser Kommission, in der die Strafrechtslehrer Kadecka. Rittler und Nowakowski einen führenden Platz einnehmen, vorwerfen können, daß sie Beschlüsse unüberlegt oder im Affekt gefaßt hat. Niemand wird den Mitgliedern dieser Kommission unterstellen wollen, daß ihnen nicht Rechtssicherheit und Rechtsschutz auf Grund klar abgegrenzter Tatbestände höchste Güter sind. Kautschukparagraphen, die unvereinbar mit dem Rechtsstaat sind, wurden von der Strafrechtskommission stets abgelehnt.

Die Strafrechtskommission hat ihre Beschlüsse über die Bestimmungen, die letzt den Inhalt der Strafgesetzno veile bilden werden, einhellig gefaßt; Gegenstimme hat es nur eine einzige und diese nur bei einem Paragraphen gegeben. Aber auch hier ging es nur um Formulierungsfragen. Ebenso war es bei einigen Stimmenthaltungen. Im ganzen gesehen wurden diese Beschlüsse der Kommission mit größeren Mehrheiten gefaßt, als sie sonst in einer Kommission üblich sind, die aus sehr starken Individualitäten besteht, die zu Kompromissen nicht bereit sind, wenn es um grundsätzliche Auffassungen oder Lehrmeinungen geht.

Der Inhalt der Strafgesetznovelle

Die Strafgesetznovelle soll 6 Paragraphen, in 2 Artikel gegliedert, umfassen. Nachstehende Bestimmungen1 sollen in das geltende Strafgesetz eingefügt werden: Herabwürdigung der Republik

§ 299 a. Wer vorsätzlich öffentlich oder vor mehreren Leuten in gehässiger Weise die Republik Österreich oder ihre demokratische Ordnung beschimpft oder verächtlich zu machen sucht, wird, sofern die Tat nicht nach anderen Vorschriften mit strengerer Strafe bedroht ist, wegen Vergehens mit stren

1 Es wird die Fassung wiedergegeben, die ich vor dem Nationalrat erläutert habe. Manche Formulierungen werden vor Einbringung der Gesetzesvorlage noch überarbeitet werden.

gern Arrest von drei Monaten bis zu einem Jahr bestraft.

Verunglimpfung österreichischer Symbole

§ 299 b. Wer vorsätzlich öffentlich oder vor mehreren Leuten in gehässiger Weise die Farben, die Flagge, das Wappen oder die Hymne der Republik Österreich beschimpft, verächtlich zu machen sucht oder sonst verunglimpft, wird, sofern die Tat nicht nach anderen Vorschriften mit strengerer Strafe bedroht ist, wegen Vergehens mit strengem Arrest von einem bis zu sechs Monaten bestraft.“ Verhetzung

§ 302 a. Wer vorsätzlich öffentlich oder vor mehreren Leuten in einer die Menschenwürde verletzenden Weise gegen eine religiöse, rassische oder durch ihre Zugehörigkeit zu einem Volk, Volksstamm oder Staat bestimmte Gruppe hetzt oder eine solche Gruppe in dieser Weise beschimpft oder verächtlich zu machen sucht, wird wegen Vergehens mit strengem Arrest von drei bis zu sechs Monaten bestraft."Verbindungen gegen den inneren Frieden

§ 305 a. (1) Wer vorsätzlich eine Gesellschaft zu dem, wenn auch nicht ausschließlichen, Zwecke gründet, damit strafbare Handlungen der in den §§ 299 StG. a, b oder 302 und 302 a StG. bezeichneten Art begangen werden, wird, sofern die Tat nicht nach anderen Vorschriften mit strengerer Strafe bedroht ist, wegen Vergehens mit strengem Arrest von drei Monaten bis zu einem Jahr bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sich wissentlich an einer Gesellschaft, die einem solchen Zwecke dient, führend betätigt oder ihren Ausbau oder Bestand durch Anwerbung von Mitgliedern, Beschaffung von Geldmitteln oder sonst in erheblicher Weise unterstützt"

Da diese Bestimmungen kaum grundsätzlichen Einwendungen begegnen werden, soll in diesem Zusammenhang von ihnen nicht weiter die Rede sein.

Das Justizministerium glaubt, daß durch den Gesetzgeber ein rechtspolitisches Vakuum ausgefüllt werden soll, das gerade durch die vieldiskutierte antidemokratische Aktivität in den letzten Monaten offenbar wurde. Ihr untergründiger und unterschwelliger Nährboden wird gewiß nie in erster Linie von der Justiz ausgejätet werden können.

Aber die schlimmsten Sumpfblüten, die aus diesem Nährboden sprießen, müssen strafrechtlich erfaßt werden können. Andernfalls wird allgemeines Unbehagen unvermeidlich sein. Mit diesem Unbehagen muß sich der Gesetzgeber auseinandersetzen und darf nicht leichthin sagen: „Wendet doch die bestehenden Gesetze an!" wenn ihm die dabei auftretenden Schwierigkeiten im einzelnen und sehr konkret

* Artikel II der Strafgesetznovelle will Strafbestimmungen gegen Unterstützung fremder geheimer Nachrichtendienste auf dem Boden Österreichs, auch wenn sie sich nicht gegen Österreich richten, und verschärfte Strafbestimmungen gegen Werkspionage einführen Werkspionage zugunsten des Auslandes soll in Zukunft als Offizialdelikt verfolgt werden können.

vor Augen getunrt werden, ES ist immer noch legitime Aufgabe des Gesetzgebers gewesen, die richtige Antwort im richtigen Zeitpunkt zu geben. Beseitigung von Lücken im Strafgesetz

Die vier wiedergegebenen Vorschläge sollen echte Lücken des geltenden Strafgesetzes schließen. Diese Lücken sind gerade in den letzten Wochen deutlicher geworden. Diese Tatsache läßt es auch nicht mehr angezeigt erscheinen, mit der legislativen Initiative bis zum Inkrafttreten des neuen Strafgesetzes zuzuwarten.

Vieles von dem, was in den letzten Monaten da und dort in Österreich geschrieben, gesagt, gesungen oder sonst getrieben und getan wurde, ist gewiß mehr als „Erregung öffentlichen Ärgernisses“, die als Verwaltungsübertretung durch die Polizei mit höchstens 14 Tagen Arrest bestraft werden kann. (Art. VIII des Einführungsgesetzes zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen.)

Die Gerichte aber, vor allem die Geschworenengerichte, scheuen sich in der Regel, die angezeigten Handlungen den sehr schweren Strafdrohungen des Strafgesetzes für Hochverrat und Störung der öffentlichen Ruhe durch Aufreizung „zur Verachtung oder zum Hasse wider den einheitlichen Staatsverband der Republik, wider die Regierung oder die Staatsverwaltung" (§§ 58, 65 a Strafgesetz) beziehungsweise den Bestimmungen des Staatsschutzgesetzes 1936 oder jenen, die das Verbotsgesetz 1945 für NS-Wiederbetätigung enthält, zu unterstellen.

Die Erfahrung mit den sehr strengen Strafdrohungen vergangener Zeiten ist ia überhaupt, daß sie sehr häufig wirkungslos bleiben oder sich in ihr Gegenteil verkehren. Meist sind Geschworenengerichte zuständig, weil es sich um politische Delikte handelt. Die Richter aus dem Volk haben immer noch dort freigesprochen, wo sie keine Möglichkeit der Verhängung einer ihrem Rechtsemnfinden angemessen erscheinenden Strafe zu haben glaubten.

Gewiß ist es dort anders, wo es sich um die Aburteilung konkreter Straftaten mit greifbarem Substrat handelt. Ich denke zum Beispiel an Aktivität, die den Bestimmungen des Sprengstoffgesetztes aus dem Jahr 1885 unterstellt werden kann. Dort kommt es auch zu Schuldsprüchen, wenn der Tatbestand erfüllt ist.

Gegen Verhetzung — für den Schutz der Menschenwürde

Aber auch mit den im § 278 des Strafgesetzes aufgezählten „Vergehen und Übertretungen gegen die öffentliche Ruhe und Ordnung“ geht es heute nicht mehr.

Alles das sind Bestimmungen, die die typischen Delikte gegen den Obrigkeitsstaat, in dem unser Strafgesetz noch voll und ganz wurzelt, erfassen sollten.

Heute können sie ihre Aufgabe kaum mehr erfüllen. Nicht selten gehen sie überhaupt ins Leere.

Das sei am wichtigsten Beispiel gezeigt:

§ 302 des StG. befaßt sich mit „Aufreizung zu Feindseligkeiten gegen Nationalitäten, Religionsgemeinschaften, Körperschaften und dergleichen“.

Der § 302 des geltenden Strafgesetzes hat alles überlebt. Die Nationalitätenkämpfe der alten Monarchie um die Jahrhundertwende die Rassenhetze durch die aufkommende NSDAP mit ihrer SA und ihrem auch in Österreich verbreiteten „Stürmer".

Wurde er je wirklich angewendet? Ein Blick nach rückwärts in leidvolle österreichische Geschichte beweist das Gegenteil.

Demgegenüber enthält der Vorschlag für § 302 a ein klares zeitgemäßes Tatbild für die ..Verhetzung“. Eine jahrzehntelange Rechtsprechung hat als Voraussetzung zur Anwendung des zitierten § 302 des Strafgesetzes den Nachweis gefordert, daß ..andere“ zu „Feindseligkeiten“ veranlaßt werden sollten.

Gelang dieser Nachweis nicht, waren antisemitische Exzesse straflos Selbst als Ehrenbeleidigungen konnten sie nur verfolgt werden, wenn sie gegen eine bestimmte Einzelperson gerichtet waren.

In Zukunft soll, wenn § 302 a Bestandteil des geltenden Strafgesetzes wird, jeder rassenhetzerische Angriff gegen die Menschenwürde strafbar sein, ohne daß die weiteren Voraussetzungen des § 302 Strafgesetz gegeben sein müssen.

Ich wiederhole, was ich vergangene Woche im Parlament gesagt habe. Jene schaurige Blasphemie wird in Zukunft nicht mehr straflos bleiben müssen: „Es sind noch zuwenig Juden von Hitler vergast worden.“

Für die Achtung des Ansehens der Republik

Die Beschimpfung der Republik und ihrer demokratischen Ordnung kann heute straflos erfolgen, soweit nicht das Verbrechen der Störung der öffentlichen Ruhe erfüllt ist (§ 65 a StG.). Soweit gehen aber diese Äußerungen in der Regel nicht.

Das gleiche gilt für die Verunglimpfung österreichischer Flaggen und Fahnen sowie des österreichischen Wappens und der österreichischen Hymne.

Welche reife Demokratie sorgt nicht für Respekt vor ihren Symbolen?

Durch die Bestimmung, daß die Beschimpfung oder Verunglimpfung in „gehässiger Weise“ erfolgen muß, ist gesichert, daß die volle Freiheit der Kritik nicht berührt werden kann. Bloße Unmutsäußerungen, wenn sie auch in derber oder drastischer Weise erfolgen, werden nicht unter § 299 a StG. fallen. Auch sonst ist der Tatbestand so eng gefaßt, daß er nicht zur Einschränkung der politischen Kritik mißbraucht werden kann.

Im übrigen wird wohl ein Bekenntnis verlangt werden, wie es jeder Staat tut, der sich selbst achtet: Vom „Quasi-Staat Österreich" soll in Zukunft straflos nicht mehr geschrieben werden dürfen!

Gegen die Hintermänner

Den antidemokratischen Aktionen der vergangenen Monate war gemeinsam, daß sie nachweislich oder offenkundig immer von mehreren Beteiligten ausgeführt wurden.

Durch die vorgeschlagene Strafbestimmung des § 305 a sollen die Verbindungen gegen den inneren Frieden erfaßt werden.

Es geht hier um die strafrechtliche Absicherung dagegen, daß erlaubte Gesellschaften geheime Zwecke verfolgen.

Es würde eine Halbheit bleiben, wenn man nur gegen die Werkzeuge und nicht gegen ihre Auftraggeber strafrechtlich vorgehen wollte. So wie die Aktionen, die verhindert werden sollen, nicht von einzelnen geplant oder durchgeführt werden, so darf das strafgerichtliche Einschreiten mangels ausreichender gesetzlicher Bestimmungen nicht vor den Hintermännern und den Organisationen, mit denen sie .sich tarnen, halt machen. Die Verantwortlichen, die um den geheimen Zweck der Vereinigung wissen und ihn dennoch, oder gerade deswegen maßgeblich fördern, sollen strafrechtlich nach § 305 a verantwortlich gemacht werden können.

Bisher konnte strafgerichtlich nur die organisatorische Förderung von hochverräterischen Unternehmen oder von Betätigung, die unter das Staatsschutzgesetz fällt, erfaßt werden. In Zukunft soll gleiches bei den Delikten gelten, die neu unter Strafsanktion gestellt werden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung