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Schwarz-Weiß hinter der roten Fahne

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I.

Man muß sich das Panorama vergegenwärtigen, vor dem sich, im Gefechtslärm und Siegestrompetengeschmetter der letzten deutschen Wochen kaum beachtet, die Installierung des neuen ostdeutschen Außenministers Dr. Lothar Bolz abspielte, um die Zwei- und Mehrgeleisigkeit der sowjetischen Politik in der deutschen Frage ganz würdigen zu können. Manche andere Macht, deren Phantasie in personeller Art über einen bestimmten konformistischen Jasager-Rahmen (jeweils wechselnden Aspekts) nicht herausreicht, könnte sich hier ein Beispiel nehmen. Während alle Beobachter sich in die Meinung verbissen, daß die Sowjets nun nach dem Wahlsieg Adenauers die gesamtdeutsche Karte, also das Arrangement mit den nationalen und nationalsozialistischen Kräften, aufgegeben hätten und allein auf die Arbeitereinheit und Volksfront setzten, bewies der Kreml gerade hier ein Maß von politischer Phantasie, das zur geruhsameren Zeit der klassischen Diplomatie die Schachspieler geradezu in ästhetisches Entzücken versetzt hätte. Man muß sich drei Fragen beantworten. Die erste ist die unbedeutendste, nämlich die nach Dr. Bolz selbst. Die zweite ist jene nach der Art und taktischen Bedeutung der hinter ihm stehenden, besser gesagt aufgestellten Gruppe der sogenannten Nationaldemokratischen Partei (NDP) und die dritte ist die strategische nach dem Zusammenhang, den dieser Akzent bedeutsamer Art in einem erkennbaren Gesamtrahmen besitzt.

II.

Das Erste ist wie gesagt das Einfachste. Der oberschlesische Rechtsanwalt Dr. Lothar Bolz ist, obwohl er bereits in den dreißiger Jahren als solcher bekannt war, der echte kommunistische Funktionär neuen Typs. Er trägt den Nationalsozialismus, dessen Ausgangsposition er, attraktiv für manchen, einnehmen muß, nicht wie eine Maske. Er ist kein Agent, nicht das, was der echte große Schauspieler verächtlich einen „Versteller“ nennt. Für ihn ist der Kommunismus nicht mehr eine utopische Religion messianischer Art, sondern völlig aufgegangene dialektische Aktion, Entwicklung, in die man, moralisch ausgelöscht, mit einbezogen wird. Er identifiziert sich — wir kennen ihn persönlich recht gut und hatten Kontakt mit manchen Menschen seiner näheren Umgebung — selbst so mit der gesellschaftlichen Rolle des Kleinbürgertums nationaler Couleur, deren Aktivierung ein bestimmtes Ziel des heutigen Sowjetismus in Deutschland ist, das er mit seiner Rolle verschmilzt. Ein Phänomen, das wir an manchen anderen Exponenten ausgesetzter Art beobachten können und dessen Erforschung uns vorsichtiger im Gebrauch der werturteilenden Worte „Lüge“, „Heuchelei“ usw. machen sollte. Er vollführte seinen strategischen Parteiauftrag, im Jahre 1949 die Nationaldemokratiscbe Partei zu gründen, durchaus plansicher und zufriedenstellend. Der ersten Regierung Grotewohl gehörte er zunächst als Minister für Wiederaufbau an. Um die Jahreswende auf 1953 kriselte es aus noch nicht ganz aufgehellten Gründen merklich um ihn, vor allem aber wohl um die Gebarung seines Ministeriums. Er wurde sogar unverhüllt in zitternmachenden Leserzuschriften der kommunistischen Zeitung angegriffen. Dann aber wurde es still. Und nun, wenige Wochen nach der westdeutschen Wahl, präsentiert Moskau als erste, viel zu wenig beachtete Reaktion, eben ihn als Außenminister. Dertinger, um dessen Freilassung es im Zuge des „Neuen Kurses“ auch Gerüchte gab, dürfte somit endgültig aus dem Konzert gezogen sein. Der schwarzhaarige, sehr intelligent und lebhaft, aber niemals aufdringlich formulierende Mann mit der rasanten Beredsamkeit der Argumente, dürfte sich in all den Jahren ziemlich gleichgeblieben sein. Er ist zu intellektgeprägt und von Haus aus der Oberschicht zugehörig, als daß er sich in einen verfetteten Bonzen und Parvenü verwandeln könnte. Natürlich ist er ein Doktrinär, aber keiner von der sancta simplicitas, eher von jener „korrekten Brutalität“, die Köstler mit Recht als Haupteigenschaft der neuen Führungsschicht ansieht. Mithin ist also die Kräftegruppe, deren Funktion er vertritt, interessanter als er selbst.

in.

Es wäre oberflächlich, sie mit dem Namen wesentlichen erloschen ist, zum zweiten jene der Hintermänner des deutschen Faschismus, die, größtenteils ohne selbst Nationalsozialisten zu sein, die „Bewegung“ unterstützten und förderten, weil sie der Aufrechterhaltung ihrer Klasseninteressen diente, zumindest seit dem Zusammenbruch der Röhm-Revolte von 1934. Dieser Gruppe gegenüber kennt die sowjetische Deutschlandpolitik nur den schonungslosen Kampf. Sie wird auch in jeder Weise als unerziehbar und unbelehrbar angesehen. Ihre Liquidierung auf kaltem oder heißem Wege ist das unverrückbare Ziel der Sowjets. Interessant ist aber vor allem die zahlenmäßig stärkste, dritte Gruppe: Jene Kleinbürger und Mittelständler, denen der Nationalsozialismus die Chance zur Erhöhung des Lebensstandards, zum Erlangen einer besseren Stellung in der Gesellschaft bot, wie dies in der Beseitigung des Judentums als sinnfälligster Maßnahme zum Ausdruck kam. Die sowjetischen Strategen der deutschen Politik gehen nun bezüglich dieser Schicht von folgender Annahme aus: Sie konstatieren ihren Fortbestand auch nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches und nehmen — nicht einmal mit Unrecht — an, daß sie auch weiterhin die gleichen Lebensziele wie unter dem Hitler-Regime haben, mit dessen Untergang sie sich im Grunde nicht identifizieren. Nach sowjetischer Auffassung hat das Ergebnis der Wahlen vom 6. September — ruhig und nüchtern analysiert — diese These bewiesen. Die große fluktuierende Masse des deutschen Kleinbürgertums und Mittelstandes — die immer noch politisch entscheidende Klasse in Mitteleuropa — hat ohne weltanschauliche Hemmungen oder Aversionen Adenauer und der CDU die Stimme gegeben, wiewohl der Antinazismus programmatischer und wesensmäßiger Art bei dieser politischen Gruppe ja auch weitesten Kreisen in Deutschland nicht eben ein Geheimnis war. Realistisch folgern die Sowjets nun, daß sich dieselben Massen des Kleinbürgertums auch mit einem sowjet-deutschen Regime anfreunden würden, wenn es ihnen wirtschaftlich, gesellschaftlich und in einem minimalen Sinn auch psychologisch genau so entgegenkäme. Und für diese Aufgabe, die nach den Schwankungen der letzten Monate nach Stalins Tod trotz aller ideologischen Gegenerklärungen die praktische Hauptlinie der sowjetischen Deutschlandlinie darstellt, ist eben jene bereits 1949 gegründete Nationaldemokratische Partei vorgesehen. Es schien, daß ihr Zurücktreten in den letzten Monaten — sie war auch von einer der obligaten Säuberungswellen erfaßt, die sogar den Chefideologen Rühle, einen leicht vulgarisierten Goebbels-Typ gefährdete — als Preisgabe im sowjetischen Schachspiel gedeutet werden konnte. Die plötzlich erfolgte Ernennung des

Lothar Bolz zum Außenminister, dessen Tätigkeit ja kaum in selbständiger Diplomatie — wo und mit wem? — als in einer offiziellen Repräsentanz mit dem Westen und der Bundesrepublik gelegen sein dürfte, zeigt nun überraschend,, daß dem nicht so gewesen ist. Das Schwarzweiß soll in Zukunft nach dem bewährten Rezept des „getrennten Marschierens und vereinten Schlagens“ neben dem untermischt und kompromißlos herausgestellten Rot (dies die scheinbar überraschende Versteifung und Radikalisierung der SED Ulbrichts) durchaus eigenständig propagandistisch ins Treffen geführt werden.

Die damit zusammenhängende letzte Frage nach dem „Warum“ ist nun von mehr als nur innerdeutschem Interesse. Sie hängt mit der Grundlinie des Sowjetismus selbst zusammen, soweit deren Konturen in der Deutschlandfrage erkennbar sind. Sie ist keineswegs eine Abkehrung vom klassischen Leninismus zugunsten einer nationalrussischen Politik, sondern im Gegenteil charakterisiert durch eine wesentlich konsequentere Verfolgung der marxistischen Grundlehre, die nun endgültig von jedem utopischen Romantizismus gereinigt worden ist. Die leidenschaftslose Einr Schätzung der Realitäten, das Operieren mit tatsächlichen Gegebenheiten und die Anwendung der leninistischen Prinzipien auf eine affektlos erkannte und analysierte Wirklichkeit hat über jede Politik der Illusionen gesiegt. Man scheint nüchtern zur Kenntnis genommen zu haben, daß der klassische Kommunismus, also die revolutionäre Bewegung im eigentlichen Sinn, nur eine und nicht einmal die wichtigste Möglichkeit unter vielen darstellt. Als in den dreißiger Jahren Stalin endgültig über Trotzkij und die Seinen siegte (mit Hilfe des später liquidierten Bücharin, dessen Landwirtschaftstheorien heute durch , Chruschtschew zu neuem Leben erweckt werden), setzte eine ähnliche Absage an den Romantizismus der „Troubadoure der Weltrevolution“ ein. Damals starb plötzlich und verzweifelt der kommunistische Dichter und Rhapsode Majakowski), in diesen Tagen kam die Todesnachricht eines der „reinsten Toren“ der alten „Linken“, Friedrich Wolf. Ein Randsymptom nur, aber eines, das manches sinnfällig machen kann . .. Der Sieger über die „Linke“ aber war und ist nicht ein gemäßigter, „saturierter“, rechter Kurs, von dem man in den letzten Wochen soviel phantasierte, sondern lediglich ein leidenschaftsloser, rechnerischer Leninismus. Der Kreml hat zur Kenntnis genommen, daß ein durchgreifender Erfolg in Deutschland nur dem beschieden ist, der seine Kleinbürgerschicht, mithin das Reservoir des einstigen Parteinazismus erobert. Warum soll für dieses Ziel nicht auch die bisher nur auf dem Papier und als strategisches Fähnchen existierende Attrappenpartei der Nationaldemokraten zur Ausgangsbasis dienen? Man kollaboriert heute, kalt und ruhig, von klassisch-romantischen Träumereien der Linken unbelastet, mit mohammedanischen Religionsfanatikern, mit gaullistischen Deutschenfressern, mit ob der amerikanischen Konkurrenz verärgerten europäischen Konservativen, mit finnischen Bauernparteilern, mit italienischen Linkssozialisten, warum also nicht auch mit deutschen Kleinbürgern, mit jener Humusschicht, die sich nicht zuletzt in der jüngsten Vergangenheit als sehr fruchtbar für Aktionen und Aktivitäten jeder Art erwiesen hat?

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