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Schwebende Wählerschicht“?

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Schichten der Bevölkerung Gelegenheit, sich zumindest oberflächlich über die dortigen Zustände zu informieren. Die Österreicher sollten die Möglichkeit haben, zu erfahren, was jenseits der Grenze geschieht, wie die Leute leben, was sie denken, inwieweit sie linientreu sind, wo es vielleicht Einbruchsteilen gibt. Es wäre aber auch schon Grund genug, die Reisetätigkeit zu intensivieren, wenn den Österreichern bewußt würde, was alles wir zu verlieren haben.

Unsere junge Intelligenz sollte sich gewissenhafter mit dem Osten und seinem Kommunismus auseinandersetzen können Studienaufenthalte Im Austauschweg wären dafür sehr geeignet. Man müßte natürlich weltanschaulich gefestigte Leute auswählen, um nicht Gefahr zu laufen, sie als Kommunisten heimkehren zu sehen.

Der Kulturaustausch zwischen Österreich und seihen östlichen Nachbarn liegt völlig darnieder! Wir schicken das eine oder andere Mal die Wiener Eisrevue nach Moskau und

nehmen dafür einen Film pro Jahr. Das ist alles! Hier kann noch viel getan werden.

Gefahren

Wir müssen uns dabei bewußt bleiben, daß Ostkontakte auch Gefahren mit sich bringen.

Offizielle Kontakte mit kommunistischen Regierungstellen könnten zum Beispiel in den Nachfolgestaaten bei den Leuten, die mit dem Regime nicht einverstanden sind und auf Österreich bauen, den organisierten oder nicht

organisierten geheimen Widerstand schwächen und entmutigen.

Die Gefahr einer propagandistischen Ausschlachtung von Besuchen aus Österreich ist zwar möglich, angesichts der großen Übersättigung der Bevölkerung mit solchen Berichten aber nicht sehr wahrscheinlich.

Es ist anzunehmen, daß offizielle Delegationen oder Reisegruppen aus Ostblockstaaten nur aus geeichten Kommunisten bestehen werden. Dagegen kann man nichts machen, solange keine Spionagetätigkeit entfaltet wird.

Die Gefahr einer kommunistischen Beeinflussung von österreichischen Reisenden in Ostblockländern ist nicht gegeben, im Gegenteil, sie werden nur noch entschiedenere Antikommunisten werden.

Die Vorteile von Ostkontakten auf breiter Basis überwiegen bei weitem ihre Nachteile. Sie können aber nur als Vorbereitung auf jene Aktionen angesehen werden, die von Österreich aus dann einsetzen müssen, wenn der Eiserne Vorhang aufgeht.

Die sogenannte „schwebende Wählerschicht“ in Österreich wurde in den letzten Wochen von einigen Kommentatoren als der „politisch wache Teil“ der Wählerschaft bezeichnet, und es gibt Kreise, die meinen, die ÖVP müsse gerade dieser Schichte durch eine „Reform“ so weit entgegenkommen, daß sie für diese wählbar wird.

Aber darum geht es hier gar nicht. Es geht vielmehr darum, den Beweis dafür zu führen, daß es diese „schwebende Wählerschicht“ als politisch wachen Teil der österreichischen Wähler in keinem Ausmaß gibt, das politisch überhaupt ins Gewicht fallen kann. Die Behauptung, es habe sie in der Vergangenheit — gemeint ist damit in der Ersten Republik — gegeben, ist nur teilweise richtig, aber gerade diese Vergangenheit bringt eine solche Abwertung des Wertes einer solchen Schicht in Österreich, daß der objektive Beobachter vor dem Dilemma steht, was besser sei: sie auszunützen, iaMh es sie gibt, oder froh zu sein,'daß “J*sWWcht gibt'Z^hlttimSBig'glbr ei“ ie, aber politisch auswertbar ist sie deshalb nicht, weil im Gegensatz zu den demokratischen Ländern des Westens — vor allem zu England — in der Opposition keinen Standort hat.

England — kein Modell

In Großbritannien — immer noch dem klassischen Land der klassischen Demokratie — entscheidet sich die Mehrheit einmal für diese, einmal für jene Partei — den Ausschlag gibt dort wie auch sonst überall jene „schwebende Wählerschicht“, und zwar gibt sie ihn, weil sie „politisch wach“ ist, jedenfalls dann, wenn es um echte Entscheidungen geht. Bei Ersatzwahlen in die Volksvertretung beziehungsweise bei Gemeinde- und Grafschaftsratswahlen kann man auch einmal anders, etwa liberal, wählen, aber tatsächlich hat jene „schwebende Wählerschicht“ in England einen ganz festen Standort, nämlich die Schwerge-wichtsverlagerungim Sinne einer echten Mitwirkung am freien Spiel der politischen Kräfte in der Demokratie.

In Österreich ist das anders. Diese Wählerschicht, die eben „frei schwebend“ über den Parteien, einmal dieser und einmal jener zum Siege verhelfen soll, je nach Bedarf, eventuell auch nach Bedürfnis, diese Schicht hat sich aus Ressentiment der absoluten Negation : verschrieben und wählt nicht einmal sich selbst! Sie befolgt die eigenen Wahlparolen kaum oder nicht, lehnt beide Großparteien als „System“ ab und wird, wenn es wirklich einmal darauf ankommt, immer nur einer der beiden „Großen“, nämlich den Sozialisten ihre Stimme geben. Und gerade dieser Wählerschicht soll nun die ÖVP durch eine Reform besonders entgegenkommen? Gerade dieser Schicht will man zur Macht verhelfen, dadurch, daß man sie zum Zünglein an einer Waage macht, die von ihr abgelehnt wird? Die Versuche, mit der Freiheitlichen Partei ins GespTäch. zu kommen, sagen notwendigerweise noch gar nichts über die Intentionen der schwebenden Wählerschicht aus. Daß sich jetzt ÖVP und SPÖ um die Freiheitlichen bemühgn, ja daß sogar Gerüchte über eine Dreierkoalition ventiliert

werden, entspringt tagespolitischen demagogischen Überlegungen. Daß weder die ehemaligen nationalen Gruppen und schon gar nicht die EFP sich als autorisierte Vertreter der schwebenden Wählerschicht bezeichnen dürfen, zeigen die Beispiele des verschwundenen VdU und des unabhängigen Kandidaten bei der Präsidentenwahl 1951, Prof. Breitner.

Dazu kommt, daß das politische Kräftespiel in Österreich einer schwe-

benden dritten Kraft als selbständigem politischen Faktor gleichsam historisch, von alters her, abhold ist.

Ein Blick zurück

So viel zum Grundsätzlichen. Und nun zum Historischen.

Zum Historischen nicht zuletzt deshalb, weil man nur einen kurzen schnellen Blick zurück auf die Erste Republik zu werfen braucht, um zu sehen, welche Art von „Stabilität“ man dort dadurch erreicht hatte, daß man prinzipiell mit dem angeblich „politisch wachen Teil“ der österreichischen Wählerschaft regieren wollte.

Zum Historischen auch deshalb, weil in letzter Zeit wieder viel von der Jugend, den Jungwählern die Rede war, die angeblich zum größten Teil die „Koalition“ ablehnen. Wer das behauptet, sieht entweder die Wirklichkeit nicht oder will sie nicht sehen. Außerdem sucht sich die schulentwachsene Jugend eine Existenz, und diese findet sie kaum außerhalb der ..Koalition“. Das Gleiche gilt im wesentlich verstärktem Ausmaß für die Akademiker — denn diese Jugend hat Sich so an das politische System in Österreich gewöhnt, daß sie schon deshalb kein anderes „herbeisehnt“, weil sie gar kein anderes kennt.

Wie oben gesagt, braucht es aber nur einen Blick zurück auf ein „reformwirksames“ Beispiel, das schon über 30 Jahre zurückliegt, um die Problematik solcher Experimente darzutun.

Als ..Paradigma“ eignet sich hervorragend die Nationalratswahl vom 9. November 1930. Einmal wies sie mit einer 91prozentigen Wahlbeteiligung (einen Wahlzwang kannte die Erste Republik nicht) die höchste Beteiligung in der ganzen Ersten Republik auf. Sie war ferner ihre letzte Wahl und außerdem der letzte Versuch, auf demokratische Art durch eine Reform des sogenannten bürgerlichen Lagers (das diesen Namen in der Ersten Republik gewiß eher verdient hat als heute) das Ergebnis der autoritären Epoche vorwegzunehmen.

Sie war daher auch der Ausgangspunkt zu einer neuen Epoche. Es war eine zum erstenmal vom Bundespräsidenten auf Grund der Verfassungsnovelle von 1929 bestätigte, <L h. ernannte und nicht vom Parlament gewählte Regierung, die diese Neuwahlen ausschrieb. Es war eine „bürgerliche“ Regierung der Christlichsozialen und deT im sogenannten „Heimatblock“ zusammengefaßten Reformer, die sich an das österreichische Volk um einen entsprechenden Vertrauensvorschuß gewendet hatte. Es war eine Regierung der „starken Persönlichkeiten“, von deren Vorhandensein man sich ja heute für das nichtsozialistische Lager so viel verspricht, und die, wie behauptet wird, uns heute leider fehlen, die der damalige Bundespräsident Wilhelm Miklas als Bundesregierung bestellt hatte: Vaugoin als Bundeskanzler, Dr. Seipel als Außenminister, Starhemberg als Innenminister. Außerdem hoffte man, daß die Person des ehemaligen Bundeskanzlers und Wiener Polizeipräsidenten Dr. Johann Schober als Listenführer der im „Nationalen Wirtschaftsblock und Landbund“ vereinigten bürgerlichen und bäuerlichen Nationalen (Großdeutsche und Landbund) einen starken Zuzug auslösen würde. Der „starke“ Zuzug blieb, wie wir sehen werden, aus, und der Zug richtete sich gegen den „Heimatblock“, womit auch in der Ersten Republik die „Einheit“ des sogenannten „politisch wachen“ Lagers der Bürgerlichen unter Beweis Äestellt war.

Ein betrüblicher „Test“

Die Sozialdemokraten erhielten 41,13 Prozent aller abgegebenen gültigen Stimmen, somit den stärksten Stimmenanteil und um etwa 0,5 Prozent mehr als bei der Wahl in die konstituierende Nationalversammlung am 16. Februar 1919. Die Christlichsozialen konnten 35,66 Prozent aller gültigen Stimmen für sich buchen, der Heimatblock ganze 6,16 Prozent und der von Dr. Johannes Schober geführte nationale Wirtschaftsblock und Landbund 11,61. Der Rest der Stimmen entfiel auf Nationalsozialisten, Kommunisten und Splitterparteien. Die 6,6 Prozent des Heimatblocks gingen zu Lasten der Christlichsozialen und die 11.61 Prozent des Wirtschaftsblocks und Landbundes erreichten nicht mehr als etwa die Summe der voneinander unabhängigen Stimmenanteile dieser beiden Gruppen bei vorangegangenen Wahlen.

Da es auf Grund dieses Ergebnisses nicht möglich war, eine Regierung des „bürgerlichen Lagers“ zu bilden (hie Heimatblock, hie Schober-Block) trat die Regierung Vaugoin zurück, und die ihr folgende Regierung Ender-Schober trat sofort in Verhandlungen mit den Sozialdemokraten ein, die bis 1931 weitergeführt werden konnten. Dies zu einer Zeit, die an alles eher als an eine „Koalition“ mit den Sozialdemokraten dachte, dies zu einer Zeit, die sich jener „schwebenden Wählerschicht“ verschrieben hatte, von der heute manche zu träumen, ja im wahrsten Sinne des Wortes zu träumen scheinen — denn diese „schwebende Wählerschicht“ als politisch „wachen Teil“, gibt es in Österreich gar nicht.

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