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Schwedens eigenartiger Alleingang

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Auf Grund eines Ministerratsbeschlusses der schwedischen Regierung richtete Außenminister Torsten Nilssön am 10. Jänner dieses Jahres an seinen nordvietnamesischen Amtskollegen eine Depesche des Inhalts, daß „... die Pariser Verhandlungen nunmehr in eine Phase getreten seien, die, wie ich glaube, für den Frieden in Vietnam entscheidend sein wird; daher sei es an der Zeit, diplomatische Beziehungen aufzunehmen“. Dieser Schritt, gerichtet auf die völkerrechtliche Anerkennung Nordvietnams durch Schweden als ersten Staat der westlichen Welt, kam allerdings nicht von ungefähr: über Vermittlung des schwedischen Botsehafters in Peking, Lenhart Petri, bestanden inoffizielle Beziehungen zwischen Schweden und Nordvietnam seit 1965, die sich im letzten Jahr intensivierten. So nahm am 21. Februar vergangenen Jahres der nordvietnamesische Botschafter in Moskau auf Einladung Nilssons an der Seite des schwedischen Unterrichtsministers Olaf Palme an einer antiamerikanischen Kundgebung in Stockholm teil; dem Vietkong wurde im gleichen Jahr die Errichtung eines Dokumentation- und Informationszentrums zugestanden.

Überraschend jedoch erscheint der Zeitpunkt dieses Schrittes, über den offenbar keine vorhergehenden Beratungen der übrigen skandinavischen Länder ergangen waren: zum einen sind die Pariser Friedensgespräche noch keineswegs im ein Stadium getreten, das auf ein unmittelbar bevorstehendes Ende hindeuten könnte, zum anderen wird damit die neue US-Administration zehn Tage vor dem Amtsantritt Präsident Nixons vor ein Fait accompli gestellt. Welche juristischen und politischen Folgen ergeben sich aber aus der Anerkennung eines Staaaes überhaupt? Die Anerkennung als einseitiges Rechtsgeschäft und gleichzeitig politischer Akt wird in der Regel dann vorgenommen, wenn der anerkennende Staat zur Ansicht gelangt ist, daß das betreffende politische Gebilde die Voraussetzungen eines Staates im Sinne des Völkerrechts erfüllt. Dazu gehören das Vorhandensein der drei Staatselemienite — Staatsgewalt, Staatsvolk und Staatsgebiet sowie die Effektivität der Herrschaft, die eine gewisse Dauerhaftigkeit erwarten läßt. Von der Anerkennung ist die Aufnahme diplomatischer Beziehunigen zu unterscheiden, die, wie im gegenständlichen Fall, gleichzeitig erfolgen kann, aber nicht zwingend erfolgen muß. Die Anerkennung als solche ist ein einseitiger Akt, der in diesem Fall indirekt vorgenommen wurde, da Schweden die Anerkennung nicht ausdrücklich aussprach, während die Aufnahme diplomatischer Beziehungen eine Willensübereinstimmung voraussetzt. Das schwedische Angebot wurde auch in Hanoi „mit Freuden“ aufgenommen. Uber die Wirkung der Anerkennung sind die Auffassungen in der Völ-kerreehtslehre geteilt: Während nach der älteren Lehre ein politisches Gebilde erst durch die Anerkennung ziu einem Staat im völkerrechtlichen Sinne wird, besteht nach der jüngeren und herrschenden Auffassung der Staat bereits mit dem Vorhandensein der genanntein Elemente. Durch die Anerkennung wird lediglich der Tatbestand „neuer Staat“ als rechtliche Konsequenz außer Streit gestellt. Auf der anderen Seite kann die Nichtanerkennung eines alle staatlichen Elemente aufweisenden Gebildes auch nach dieser Theorie bedeuten, daß der nicht-anerkannte Staat zu diesem keine offiziellen Kontakte pflegen “will. Weiter könnte auch durch eine Nichtanerkennungspolitik zum Ausdruck gebracht werden, daß die Anerkennung erstrebende Gemeinschaft doch nicht alle Merkmale eines Staates im Sinne des Völkerrechts aufweist. Die Entscheidung, ob ein anderer Staat anerkannt wird, ist somit politischer Natur und dem Ermessen des anerkennenden Staates anheimgestellt.

So hat es Finnland aus neutralitätspolitischen Gründen abgelehnt, dem Beispiel Schwedens hinsichtlich der Demokratischen Republik Nordvietnams zu folgen; ebenso nehmen Dänemark und Norwegen eine abwartende Haltung ein. Norwegen erklärte überdies in einem Kommunique, es betrachte es für nicht opportun, „eine offizielle Stellung vor der Klarstellung der Situation auf der Pariser Friedenskonferenz zu beziehen“.

Über die Motive der Anerkennung Nordviatnams durch Schweden herrscht keine Übereinstimmung in der Weltöffentlichkeit. Gewiß scheint im Sinne einer elastischen Neutralitätspolitik der Wunsch nach Aufnahme offizieller Beziehungen im Vordergrund gestanden zu sein. In Hinblick auf das vorbereitete Wiederaufbauprogramm würde nun Schweden durch seine besonderen Kontakte in eine privilegierte Position rücken. Auf der anderen Seite darf jedoch — trotz Dementi Nilssons im außenpolitischen Ausschuß — eine allfällige Präzedenzwirkung dieses Schrittes in bezug auf die passiven Anerkenniungsbestrebungen Ostdeutschlands und Nordkoreas keineswegs unterschätzt werden. Im Verhältnis zu den USA ist bereits eine weitere merkliche Abkühlung des politischen Klimas eingetreten; es bleibt schließlich abzuwarten, inwieweit der Schritt Schwedens von Einfluß auf die Pariser Friedensge-sprlche sein wird.

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