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Schwedens Justizmord am Christentum

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Schweden Ist heute nicht mehr als christliches Land zu bezeichnen. Die christliche Religion spielt im Staat keine beachtenswerte Rolle mehr, ihr Wert sinkt täglich weiter, ja sie gerät in der breiten schwedischen Öffentlichkeit geradezu in Vergessenheit. Die Polemik unter den Intellektuellen dauert zwar an,> kennt aber nur das Ziel, das Christentum endgültig abzuschaffen. Die Feststellung der Entchristlichung Schwedens darf nicht als voreiliges oder übertriebenes Urteil aufgefaßt werden — sie ist eine historische, belegbare Tatsache. Professor Ingemar Hedenius, der an ihrem Zustandekommen wesentlich beteiligt war, konnte triumphieren, daß es weder in Skandinavien noch auf dem Kontinent ein Land gibt, das schneller und radikaler entchristlicht wurde.

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Schweden Ist heute nicht mehr als christliches Land zu bezeichnen. Die christliche Religion spielt im Staat keine beachtenswerte Rolle mehr, ihr Wert sinkt täglich weiter, ja sie gerät in der breiten schwedischen Öffentlichkeit geradezu in Vergessenheit. Die Polemik unter den Intellektuellen dauert zwar an,> kennt aber nur das Ziel, das Christentum endgültig abzuschaffen. Die Feststellung der Entchristlichung Schwedens darf nicht als voreiliges oder übertriebenes Urteil aufgefaßt werden — sie ist eine historische, belegbare Tatsache. Professor Ingemar Hedenius, der an ihrem Zustandekommen wesentlich beteiligt war, konnte triumphieren, daß es weder in Skandinavien noch auf dem Kontinent ein Land gibt, das schneller und radikaler entchristlicht wurde.

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Schweden ist seit 150 Jahren von Kriegen verschont geblieben und hat dementsprechend eine hohe Stufe des Lebensstandards erreicht. Schweden aber ist derzeit dabei, alle traditionellen Vorstellungen von Familie, Ehe und Moral über Bord zu werfen. Die Wurzeln jener Entwicklungen, die zu den aktuellen gesellschaftspolitischen Tendenzen geführt haben, liegen für uns im dunkeln. Zwei Fragen drängen sich vor allem auf:

• Wie konnte eine menschliche Haltung wie die schwedische, die sich stets auf Kategorien der Wahrheit beruft, über das Wort Christi zu Urteilen kommen wie Betrug, Heuchelei, Lüge, Absurdität, Unhumani-tät, Unehrlichkeit usw.?

• Wie war es möglich, daß ein seit einem Jahrtausend christliches Land innerhalb eines Jahrzehnts einer totalen Entchristlichung zum Opfer fallen konnte?

Eine erste Antwort darauf gab der aus Wien-gebürtige und in Uppsala lebende Prof. Dr. Robert Braun in dem vor einiger Zeit erschienenen Buch „Was geht in Schweden eigentlich vor? — Analyse und Kritik einer Entchristlichung“. Es ist ein beängstigendes Buch, das da über den „Justizmord“ am schwedischen Christentum geschrieben wurde, beängstigend vor allem, weü der bekannte Schweizer Historiker Prof. Carl J. Burckhardt zu diesem Buch festgestellt hat, daß sich derselbe Prozeß überall vollziehe, „aber Schweden ist ein Schulbeispiel“. Braun weist an Hand konkreter Beispiele nach, wie gerade die Wertschätzung des schwedischen Menschen für das Ehrliche und Aufrichtige (also Kategorien der Wahrheit) einerseits zur Verengung des Urteils und damit zur Entfernung vom Objekt geführt hat, anderseits für geschickte taktische Machinationen mißbraucht wurde. „Der Schwerpunkt des Interesses verlegt sich so stark auf das Recht und die Macht des Individuums, seine Kritik auszusagen, daß die sachliche Beziehung, die dem Objekt Gerechtigkeit widerfahren läßt, entscheidend zu kurz kommt. Das Subjekt ist so eingenommen von dem Genuß seiner eigenen Impressionen und dem Recht, sie zu äußern, daß es kein Organ dafür übrig hat. um sich dem Objekt ausgiebig zu widmen. Für Kritiker, denen die Sprache zur Verfügung steht und die also gut formulieren können, ist dies ein journalistischer Paradieszustand.“

Das Prestige, das „aufrichtig“ und „ehrlich“ im Norden genießt, sichert jedem, der damit zu manipulieren versteht, hohe Popularität. Wer etwa wie Herbert Tingsten öffentlich gesteht, daß er bei hereinbrechendem Gewitter zusammen mit seiner Frau unter den Tisch krieche, darf damit rechnen, daß auch ein antichristliches Engagement für wahr genommen wird.

Selbstverständlich wurden solche emotionalen Gründe rationalisiert um die Entchristlichung total werden zu lassen. Zumindest seit der Zeit der Aufklärung darf die Verwissen-> schaftlichung der Religion im Arsenal des Atheismus nicht fehlen. Wenn aber noch immer nicht alle Fakten in die antichristliche Kampagne passen, dann werden sie einfach ignoriert. In der Festnummer von „Dagens Nyheter“ zum lOOjäh-rigen Jubiläum der Zeitung. huldigt der Chefredakteur Olof Lagercrantz dem Dichter August Strindberg. Dieser nimmt im schwedischen Atheismus eine Schlüsselstellung ein. Strindberg gilt als Stammvater der antichristlichen Rebellion. Er hatte im Bewußtsein des „Wahrheitsagens“ das Abendmahl als Volksbetrug der Priester geschmäht und mußte dafür 1884 vor ein Stockholmer Gericht, das ihn aber freisprach. Es ist inzwischen nachgewiesen worden, daß Strindbergs Motive im Grunde nicht religiös gemeint waren, sondern sich gegen den vermeintlichen Bund von Oberklasse und Kirche richteten, also psychologisch und soziologisch bedingt waren. Zudem nimmt er in vielen Stellen seiner späteren Werke, etwa im „Okkulten Tagebuch“, von seinen Ansichten des Jahres 1884 deutlich Abstand. Der Rebell starb als Christ! Diese Tatsachen wurden von Lagercrantz, der als Doktor der Literaturgeschichte natürlich Bescheid weiß, glatt verschwiegen. Und das Publikum nimmt gehorsam alles entgegen, was gegen das Christentum behauptet und geschrieben wird. Der angeblich bekämpfte Autoritätsglaube hat lediglich ein neues Objekt bekommen, das seine despotische Macht auf die Säulen „aufrichtig und ehrlich“ stützt.

Wer sich den neuen Autoritäten nicht beugt, wird diskriminiert. Die Massenmedien sind in den Händen einer atheistischen Clique, die nicht davor zurückscheut, jeden öffentlich mit Spott und Hohn zu übergießen, der ihre Thesen anzweifelt oder auch nur zur Diskussion stellt. Es gibt in Schweden keinen Dialog. Am 5. Jänner 1966 meldete sich — als philosophischer Außenseiter — der Herzspezialist Professor Gunnar Biörck im „Svenska Dagbladet“ zu Wort, Er geißelt* jene Minorität der Intelligenz Schwedens, die in der Tagespresse dominiert. Sie sei keine kämpfende Minorität mehr, sondern die intellektuell herrschende Schicht, die ihren Platz erobert hat und festhält. „Das ist die Schicht, die jederzeit in Presse, Fernsehen und Zeitschriften zu Wort kommt, um ihre Ansichten und Vorurteile vorzuführen. Sie wird vom Kultusministerium beschützt und erhält staatliche Belohnungen. Sie erträgt keine Kritik. Sie betreibt Menschenjagd.“ Zwei Tage später bestätigte Olof Lagercrantz in der meistgelesenen schwedischen Tageszeitung die Vorwürfe. Unter dem Titel „Ein unwissender Professor“ bezeichnete er Biörcks Äußerungen als plattes Geplapper einer Gesellschaftsdame, aufgeblasene und prätentiöse Einfalt, gefährliche Generalisierungen einer Floskelwelt usw. Daß Schweden zum „Schulbeispiel“ (Burckhardt) werden konnte, dürfte nicht zuletzt auf das politische Land-sehaftsbild des Staates zurückzuführen sein. Eine christlich orientierte Partei von Bedeutung fehlt. Die Intelligenz wird liberal beherrscht, der Staat ist seit Jahrzehnten sozialistisch. Im Kampf gegen das Christentum fand sich ein gemeinsamer Nenner. Die Religion wurde so sehr zur Privatsache herabgemindert, daß man etwa dem Kirchenbau unüberwindliche Hindernisse entgegensetzen kann. So wurde im Zuge der Assanierung eines Stockholmer Wohnviertels die älteste katholische Kirche Schwedens abgerissen. Von öffentlicher Seite wurde zwar ein Ersatzgrundstück zur Verfügung gestellt und das Geld für den Neubau in Deutschland und in der Schweiz gesammelt, für eine Art Luxussteuer (25 Prozent der Gesamtbaukosten) aber fehlen noch die Mittel. Die Baubewilligung ist terminisiert...

Parallel zur Entchristlichung und sicher nicht unbeeinflußt davon laufen die Auflösungserscheinungen der Gesellschaft. Die Familie, gesellschaftspolitisches Axiom des Christentums schlechthin, wurde restlos abgewertet. Zu Weihnachten 1965 bezeichnete „Dagens Nyheter“ die Familie als ausgemacht untoleranteste Gruppe: „Sie ist eine veraltete Institution.“ Sie muß durch ein neues System abgelöst werden, in das Polygamie und Promiskuität eingebaut werden müßten. Von Gruppenehen, Pornographie am Kiosk und „Liebeszimmern“ für 15jährige liest der Mitteleuropäer in der Boulevardpresse — das alles ist aber nur ein Abklatsch dessen, was sich in Schweden wirklich abspielt. „Aufrichtig und ehrlich“ hat man nicht nur die doppelbödige Moral der bürgerlichen Gesellschaft, sondern überhaupt alle Wertvorstellungen der Sexualmoral abgeschafft. Am 3. Dezember 1968 brachte die deutsche Zeitung „Die Welt“ einen Artikel aus Stockholm, in dem als Folge der gesellschaftlichen und politischen Entwicklung von „Halbstarkenkrawallen, steigender Jugendkriminalität, wachsender .Rauschgiftsucht und zunehmendem Alkoholismus unter den Jugendlichen“ berichtet wird. Im gleichen Beitrag heißt es aber auch: „Es gibt Anhaltspunkte dafür, daß vor allem in der heranwachsenden Jugend Vorbehalte gegen die materialistische Konsum- und Wohlfahrtsgeseü-schaft vorhanden sind.“ Die schwedischen Christen zeigen daher keineswegs Resignation. Der Protestantismus sieht in dem ganzen eher einen Läuterungsprozeß. Und die einzige katholische Zeitung des Landes schrieb über die führenden Atheisten: „Sie verschossen ihre Munition auf Außen werke, auf die Peripherie von religiöser Erstarrung, Verzerrung, Substanzlosigkeit.“ Der Keragehalt der christlichen Lehre sei zum großen Teil überhaupt nicht berührt, geschweige denn widerlegt und entscheidend getroffen worden. In seinem oben erwähnten Buch kommt der Katholik Robert Braun zum Schluß: „Wer von den .Kulturarbeitern' der Presse oder Universität hat denn bewiesen, daß es keinen Gott gibt oder Gott das Universum nicht geschaffen hat?“ Die Kritiker erklären, wenn sie das Christentum „Lüge“ nennen, nur ihre subjektiven Impressionen. „Wenn so etwas in der Justiz geschieht, dann gibt es nur eine einzige Bezeichnung dafür: Justizmord.“ Braun glaubt nicht, daß es beim gegenwärtigen Zustand bleiben kann. „In einem Kultur- und Rechtsstaat, wo sich allmählich die Allgemeinheit bewußt wird, wie das Urteil zustande kam und Macht gewann, muß sich dann früher oder später auch ein Bedürfnis nach Wiederaufnahme des Prozesses einstellen. Es muß angesichts dieser Art von Justizmord' zu einer Art von ,Revision' kommen. Dann dürfte sich der heute dominierende, unentwegte Gymnasiastenoptimdsmus, daß man sehr gut ohne die Botschaft Christi auskommen könne, erst beweisen müssen.

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