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Schwedisches Zeitungssterben

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Die schwedische Presse hat in den letzten Jahren eine ganze Reihe von angesehenen Zeitungen und Zeitschriften verloren. An Unglücksfälle dieser Art sollte man nachgerade gewohnt sein. Doch die am Jahresschluß bekanntgegebene bevorstehende Einstellung der „Stock- holms-Tidningen”, des Zentralorganes der Arbeiterpartei und der Gewerkschaften, hat weit über die direkt betroffenen Kreise hinaus die schwedische Öffentlichkeit beunruhigt und erregt. Mit dem Verschwinden dieser Zeitung verliert eine breite Gruppe von Publizisten — Journalisten und freien Schriftstellern — das einzige Sprachrohr von überregionaler Bedeutung, ein Sprachrohr, das auch außerhalb Schwedens Beachtung gefunden hatte. Die Einstellung von „Stock- holms-Tidningen” bedeutet eine Resignation der Arbeiterpartei vor kommenden Prüfungen und kann als eine Bankrotterklärung auf dem Gebiete des Pressewesens angesehen werden!

Schwindende Leser und Anzeigen, wachsende Zuschüsse

Die Landesorgänisation der schwedischen Gewerkschaften kaufte die „Stockholm-Tidningen” und „Aftonbladet” — eine Abendzeitung von der Art der Boulevardblätter — im Jahre 1956 für 25 Millionen Kronen. 1957 betrug der jährliche Zuschuß 7,4 Millionen Kronen, 1960 war er auf 10,3 Millionen Kronen angestiegen, 1964 erreichte er 14 Millionen, und für heuer rechnet man mit 19 Millionen. Rasche Änderungen in der Ausgestaltung, besonders aber der Übergang zum kleineren Abendzeitungsformat, führten im letzten Jahr zu einer raschen Verminderung der Auflage und zu sinkenden Einkommen aus dem Inseratengeschäft. Insgesamt hat die Gewerkschaftszentrale in zehn Jahren 112 Millionen Kronen beigesteuert, mit den Ankaufs- und Stillegungskosten ergibt das die ansehnliche Summe von 140 Millionen Kronen.

Dieser Betrag ist erschreckend hoch, jedenfalls so lange, als man von den Aktiva und den finanziellen Möglichkeiten der Gewerkschaften absieht. Zu diesen Aktiva muß der Erfolg der schwedischen Arbeiterbewegung bei der Durchsetzung der großen Pensionsreform gerechnet werden, die den Arbeitern viele Milliarden Kronen an zusätzlichen Alterspensionen geben wird, und die ohne Unterstützung einer großen und im ganzen Land verbreiteten Zeitung, wenn überhaupt, dann nur viel später gekommen wäre. Dieser Umstand wurde sogar von Tage Erlander im Parlament hervorgehoben. Und die finanziellen Möglichkeiten der Arbeiterbewegung? Die Gewerkschaften haben 1,6 Millionen Mitglieder, die Beamtenverbände fast 500.000 und der Akademikerverband 70.000. Sollte der Verlust des Zentralorganes zur Gänze durch Zuschläge zu den Mitgliedsbeiträgen aufgebracht werden, dann wären pro Mitglied und Monat eine Krone mehr als ausreichend. Und man hat niemals von diesen Mitgliedern ein freiwilliges Opfer für die Presse verlangt, niemals eine Werbeaktion durchgeführt.

Das Ende vom Lied: „ST”

Das Bild wird noch sonderbarer und verwirrender, wenn man weiß, daß erst in den letzten Jahren angesehene Zeitungen der Arbeiterbewegung gerade mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit einer Unterstützung der zentralen Presse stillgelegt worden sind. Auf das frühere Zentralorgan „Morgan- Tidningen” folgte die Auflassung der „Afton- tidningen”, der Wochenschrift „Fol- ket im Bild”, dann der „Ny Tid” in Göteborg, der zweitgrößten Stadt des Landes, und nun sogar der „ST” in Stockholm. Es ist wahr, daß die Auflage der „ST” seit 1956 von

180.0 an Wochentagen auf 132.000 gefallen war, doch die Sonntagsauflage konnte von 212.000 auf

235.0 (1964) erhöht werden, und die Zahl der Leser betrug nach einer genauen Untersuchung an Sonntagen 600.000.

Als Grund für die Stillegung wurde von LO-Seite der Auflagenrückgang und das immer schwächere Inseratengeschäft angegeben. Die Inserate brachten 1957 8,9 Millionen Kronen und 1964 knapp 14 Millionen, für 1965 nimmt man 13 Millionen Kronen an.

Regierungspartei ohne Presse

Soviel zur kommerziellen Seite. Vom publizistischen Standpunkt aus gesehen ist das Ansehen der „ST” in den letzten Jahren deutlich erkennbar gestiegen. Die Zeitung war lesbar, aktuell und lebendig geschrieben. Ihr Ausfallen hat auch im gegnerischen Lager Bestürzung hervorgerufen. Es ist zweifellos ein ungesunder Zustand, wenn es in der Hauptstadt des Landes nicht einmal mehr eine Presse der Regierungspartei gibt. Die Unruhe bleibt nicht auf die bisherigen treuen Leser beschränkt. Die Chefredaktion des konservativen „Svenska Dagbladet” ging so weit, daß sie dem Staatsminister anbot, einmal wöchentlich über eine Seite der Zeitung zu verfügen! Die immer stärker werdende Dominanz der großen „Dagens Nyheter” wird auch in bürgerlichen Kreisen als bedrückend empfunden.

„Stockholm-Tidningen” hatte 600 Angestellte, davon 140 in der Redaktion, von denen viele nur schwer eine andere Anstellung bekommen werden. Noch weit schwerer werden es die Publizisten und Schriftsteller haben, die entweder nun in die äußere oder in eine Art innere Emigration gehen müssen. Von dieser Seite kommen naturgemäß die schärfsten Angriffe gegen die LO-Leitung und die Parteiführung der SP, denen man vorwirft, daß sie nie ein ehrliches Interesse am Aufbau einer unabhängigen und einflußreichen Arbeiterpresse gehabt haben.

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