6733078-1966_08_01.jpg
Digital In Arbeit

Sechsundfünfzig und ein Brief

Werbung
Werbung
Werbung

DR. SKALNIK: Herr Erzbischof, wir freuen uns, Sie wieder einmal — wenn auch nur auf wenige Stunden— bei uns in Wien begrüßen zu können — auf Ihrer Rückfahrt nach Polen. Wir wissen: Sie waren in Schärding zur Kur und fahren sozusagen ganz privat. Aber könnten Sie uns nicht trotz allem einige persönliche Erklärungen abgeben über den Briefwechsel zwischen den polnischen und deutschen Bischöfen? Dieser eine von den 56 Briefen, die der polnische Episkopat insgesamt verschickte, hat ja bekanntlich Mißverständnisse hervorgerufen, die bis heute nicht…

ERZBISCHOF KOMINEK: Wie Sie wissen, habe ich Herrn Hans- jakob Stehle im Westdeutschen Fernsehen ein Interview gegeben, worin ich die Mißverständnisse ihn etwa zu erklären versuchte. Sie haben unsere Aussprache in der „Furche” veröffentlicht mit einem sehr positiven Kommentar, wofür ich Ihnen recht herzlich danken möchte.

DR. SKALNIK: Sehen Sie, Herr Erzbischof, das fundamentale Mißverständnis darin, daß man ein kirchliches, bischöfliches, ja sogar konziliäres Dokument für die Polemik der Tagespolitik auszuwerten versuchte und immer noch versucht?

ERZBISCHOF KOMINEK: Ganz genau das meinte ich in meinem Interview. Die negative Reaktion in Polen fing ja erst an, als ein Teil der deutschen Presse verschiedene Gedanken des Briefes so deutete, als ob die polnischen Bischöfe in die schwebenden Probleme der Tagespolitik eingriffen und eine neue Deutschlandpolitik auf eigene Faust versuchen wollten…

Bekanntlich ist ja die westdeutsche Presse in unzählige Richtungen gespalten, parteipolitisch und dergleichen mehr. Jede politische Richtung suchte auf ihre Art von dem Briefwechsel irgendwie zu profitieren, wenn man das so ausdrücken kann — num, und dann das sensationelle Moment an der Geschichte, in der heutigen Tagespresse spielt dies eine ganz besondere Rolle.

DR. SKALNIK: Wir möchten Sie nicht mit Einzelheiten quälen, Herr Erzbischof, aber welche Gedanken des Briefes sind sozusagen falsch, also zu politisch aufgenommen worden?

ERZBISCHOF KOMINEK: Neben der allerwichtigsten, der Hauptfrage, die endgültige Oder-Neiße-Grenze betreffend, die unterdessen schon durch öffentliche Erklärungen des polnischen Episkopats und des Kardinals Wyszynski eindeutig geklärt worden ist, sehe ioh das ärgste, was man dem Briefwechsel antun konnte, daß man politische Spitzen- und ,,Anti”-stellungen in ihn hineinzudichten versuchte, also er ist etwa „entschieden antikommunistisch und antirussiisoh, er is; gegen die Moskauer Politik gerichtet und befürwortet indirekt eine Bonner beziehungsweise amerikanische Europapolitik, er ist mittelbar gegen die polnische Regierung und Parteiführung gerichtet” und dergleichen mehr. Gerade durch derartige Interpretierung hat man dem Briefwechsel zwischen den polnischen und deutschen Bischöfen einen Bärendienst erwiesen, ihn aus dem religiösen Bereich der Konzilsmentalität heruntergezogen und unter anderem auch dadurch die überausscharfe Polemik polnischerseits hervorgerufen. Aus dem Konzilsdokument wurde ein politisches.

DR. SKALNIK: Wollen Sie damit meinen, Herr Erzbischof, daß weder Politik noch Polemik im Sinne des Konzils sind?

ERZBISCHOF KOMINEK: Eben das meine ich. Das Konzil, aus dem heraus der Briefwechsel des polnischen Episkopats entstand wie übrigens auch alle anderen 55 Briefe an die Episkopate der Welt. (Einladungen zur Tausendjahrfeier nach Polen!), hat sich nicht mit Streitfragen von Nachbarländern befaßt, war gegen niemand feindlich und polemisch eingestellt, es war kein Konzil von Verdammungen und Exkommu- niken, es suchte überall, in allen Dingen mit allen, die guten Willens sind, einen Dialog anzubahnen. Natürlich zeigten sich auch im Konzil ziemlich starke Antiströmungen, wie etwa gegen den Atheismus, den Kommunismus, aber sie wurden von dem konzilianten Geist der weitaus größten Mehrheit der Konzilsväter leicht überstimmt. Selbst ein so ungeheuer wichtiges Problem wie der Atheismus in seinen verschiedenen Formen wurde nicht durch Verurteilungssystem erledigt. Im Gegenteil, man sucht auch mit dem Atheismus in einen Dialog zu kommen, obwohl man ihn heute für den Hauptgegner des Christentums betrachten könnte.

Menschen nicht guten Willens, oder besser gesagt, weniger guten Willen haben den polnischen Episkopat in eine politische Sackgasse hineintreiben wollen, manchmal ohne sich dessen bewußt zu sein.

DR. SKALNIK: Läßt sich das Geschehene auf irgendeine Weise wiedergutmachen?

ERZBISCHOF KOMINEK: Aber freilich, Herr Chefredakteur! Alles in der Welt — oder fast alles — kann wiedergutgemacht werden bei einigermaßen gutem Willen. Vielleicht war es sogar notwendig, daß so viel Polemik und Krach mit diesen wichtigen Geschichten gab. „Es müssen Ärgernisse da sein”, heißt es in der Heiligen Schrift. Vieles wurde durch die scharfen, polemischen Formulierungen ins rechte Licht gestellt und konnte eindeutig interpretiert werden, Zweifel wurden aus dem Weg geschafft. Man möchte auch sagen, daß alles Große und Zukunftsreiche fast immer in großen Wehen geboren werden muß. Schließlich darf auch das Kreuz nicht fehlen und der Kreuzweg ist, wenn es ujn eine historisch-geistige Verständigung zwischen gläubigen Christen von verschiedenen Nationen geht, also eine ganz christliche Angelegenheit, ein notwendiger Bestandteil des Ganzen. Man sollte auch nicht diejenigen zu schnell aburteilen, die eine andere Meinung darüber haben, denn manchmal „wissen sie ja wirklich nicht, was sie tun”, um ein Wort Christi zu gebrauchen — sie sind sich manchmal ihres Irrtums gar nicht bewußt. Viel schärfer würde man da unsere christgläubigen Brüder beurteilen müssen, die leider wissen, was sie tun —, und zwar tun sie es gegen die gute Botschaft der Erlösung und gegen das große Gebot der Nächstenliebe, das über allem stehen muß und alles befruchten muß. Übrigens wird auch die Friedenstätigkeit des Heiligen Vaters, der von demselben Konzilsgeist beseelt ist, wenn er zur Welt spricht, manchmal mißverstanden und zu sehr politisch interpretiert. Ich glaube in allen diesen Spannungen eine Art von Theologie der irdischen Wirklichkeiten zu sehen.

DR. SKALNIK: Das alles klingt ja ganz religiös, theologisch und optimistisch?!

ERZBISCHOF KOMINEK: Soll ja auch theologisch, nur theologisch und recht wenig politisch bewertet sein. „Theologie d’abord” würden die Franzosen sagen. Und nicht optimistisch, sondern hoffnungsvoll; Hoffnung, bloß christliche Hoffnung statt Optimismus wäre meiner Meinung nach das entsprechende Wort.

DR. SKALNIK: Sie meinen also, daß das Gute siegen wird?!

ERZBISCHOF KOMINEK: Natürlich: das Gute siegt schließlich immer, durch alle Schwierigkeiten hindurch und erfaßt nur diejenigen, die eines guten Willens sind. Es wird auch immer solche geben, die durch bösen Willen draußen bleiben. Die „National- und Soldaten-Zeitung” und manche Vertriebenenorgane haben bisher kein einziges gutes Wort gefunden für die Belange und Nöte unseres polnischen Volkes — weder für das Volk noch für die Bischöfe und Priester noch für die Mühen der Friedensversuche unserer regierenden Landsleute, mit denen wir zusammen „auf einem Aste sitzen”, wie es im Sprichwort heißt. In ihren Augen gibt es in Polen nur Übeltäter und mehr oder weniger „kommunistische Agenten”, wie oft habe ich gerade diesen Ausdruck über mich selbst in letzter Zeit gelesen … Das ist aber nicht nur un- christlich und nationalistisch, es ist auch unmenschlich und unzeitgemäß.

Aber wie gesagt: dies alles hat gerade im heutigen Weltgeschehen und im heutigen Zeitklima keine Zukunft. Zukunft haben heute die Bemühungen derer, die guten Willens sind, die Friedliebenden, von denen der Heiland spricht „denn sie werden die Erde besitzen”.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung