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Seelsorge und Kirchenbau

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Wohl nie in der Geschichte Österreichs sind innerhalb weniger Jahre so viele Kirchen gebaut worden wie in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg. Zum Vergleich könnten nur die Jahre nach dem Türkeneinfall 1683 herangezogen werden, wo weite Landstriche verwüstet, die Kirchen niedergebrannt, die Dörfer fast entvölkert waren und zurückgekehrte Flüchtlinge und Neuansiedler die zerstörten Gotteshäuser wiederaufbauten.

Als sich dann die Verhältnisse rasch konsolidierten und wirtschaftlicher Wohlstand eintrat, ergriff Stiftsprälaten, Patronatsherren und reiche Gemeinden eine Baufreudigkeit sondergleichen. Geniale Baumeister standen zur Verfügung, und so entstanden in Stiften, Städten und oft auch in Landgemeinden die herrlichen Prachtkirchen des österreichischen Barocks.

Eine neue Welle des Kirchenbaues ging durch das Land, als Kaiser Josef II. zahlreiche neue Pfarren gründete und aus den Mitteln des Religionsfonds, der aus dem Vermögen aufgehobener Klöster gebildet worden war, bestehende Kirchen erweiterte oder neue Kirchen baute, die freilich alle — im Gegensatz zur barocken Bauweise — mit gewollter Schlichtheit und fast nach einer Schablone errichtet wurden. Es waren nicht mehr die Freude am Bauen, sondern staatspolitische und seelsorgliche Beweggründe (eine eigenartige Vermischung!), die den Kaiser zum Kirchenbau veranlaßten.

Das Wachsen der Stadt Wien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zwang neuerlich zum Kirchenbau. In den äußeren Bezirken entstanden repräsentative Kirchen. Unter dem Einfluß der Romantik wurde auf frühere Stilarten, insbesondere auf die gotische Bauweise zurückgegriffen. Standortmäßig waren diese Kirchen in den neuen Stadtteilen nicht ungünstig verteilt. Im Hinblick auf den noch zu erwartenden Bevölkerungszuwachs wurden sie entsprechend groß angelegt. Eines freilich wurde dabei übersehen: daß es unmöglich ist, daß ein Pfarrer, wenn ihm auch eine Reihe von Kaplänen zur Seite gegeben ist, eine Pfarre mit 20.000 bis 50.000 Seelen seelsorgerlich intensiv betreuen kann. Im Jahre 1900 entfielen zum Beispiel in Wien im Durchschnitt 21.200 Seelen auf eine Pfarre. Zum Ende des zweiten Weltkrieges war der Durchschnitt noch ungünstiger. Unter diesen Umständen war es dem Großstadtpfarrer unmöglich, „die Seinen zu kennen“, noch persönliche^ Kontakt in ausreichender Form zu pflegen. Der oft allzu konservativ eingestellte Klerus stand den seelsorglichen Aufgaben ratlos und den immer brennender werdenden sozialen Fragen ohnmächtig gegenüber. Die Sonntagsmesse war eine Verpflichtung, der man „beiwohnen“ mußte. Es war daher nicht wichtig, zum Altar zu sehen. Die Verbindung zwischen Priester und Volk stellte nicht die lebendige Anteilnahme am heiligen Opfer, sondern das Wandlungsglöcklein her. Die Präsenz war wichtiger als die Anteilnahme.

Mit dem Beginn des ersten Weltkrieges war die Kirchenbautätigkeit in der Erzdiözese Wien praktisch zum Stillstand gekommen. Die Jahre nachher brachten nur eine langsame Erholung aus dem politischen und wirtschaftlichen Zusammenbruch. Als endlich eine gewisse Stabilisierung der Verhältnisse eintrat und an mehreren Orten neue Kirchen entstehen konnten, wurde die eben begonnene Entwicklung durch ein kirchenfeindliches System und die Katastrophe des zweiten Weltkrieges jäh unterbrochen. Nicht nur der unselige Bombenkrieg, auch der Umstand, daß in der Endphase des Krieges fast das ganze Gebiet der Erzdiözese Wien von den Kampffronten überrollt wurde, brachte neue Verluste an Kirchen und vergrößerte so den „Bedarf“.

Inzwischen ging im Stil der Seelsorge eine große Wandlung vor sich. Das Verbot jeder kirchlichen Vereinstätigkeit während der Zeit des Nationalsozialismus hat die Kirche gezwungen, sich auf die wesentlichen Dinge des Glaubens zu besinnen. .Die liturgische Bewegung, ;zur, erst nur von einigen aufgeschlossenen Gruppen gepflegt, gewann breiten Boden und drang in die letzte Dorfgemeinde. Diese beiden Tatsachen sind die geistige und dynamische Voraussetzung der gegenwärtigen Kirchenbautätigkeit. Es ist nicht nur in unserem Lande so; eine ähnliche Bewegung hat fast die gesamte katholische Welt ergriffen.

Schon durch die persönliche Initiative Kardinal Innitzers wurden die großen Monsterpfarren in kleinere Seelsorgsbezirke aufgeteilt, um eine bessere Bindung an den Seelsorger zu ermöglichen. Kardinal Innitzer hat in der Stadt Wien 48 und außerhalb Wiens acht neue Pfarren gegründet. In zahlreichen Notgottesdienststätten und Exposituren wurde die Vorbedingung für eine spätere Pfarrerrichtung geschaffen. Hier haben schon vor dem zweiten Weltkrieg der Allgemeine Wiener Kirchenbauverein und insbesondere Prälat Dr. Gorbach („Zweigroschenblatt“) wichtige Pionierarbeit geleistet.

Zusammenfassend soll festgestellt werden, daß das Motiv des gegenwärtigen Kirchenbaues weder in der Freude am Bauen noch in Staats-raison oder einer anderen Zweckmäßigkeit liegt, sondern allein in dem Bestreben, der Seelsorge zu dienen, um das Reich Gottes auf Erden zu mehren.

Daneben freilich fühlt sich die Kirche auch der Kunst verpflichtet; doch nicht um ihrer selbst willen und nicht in erster Linie, sondern nur insoweit, als sie zur Erbauung des gläubigen Volkes beitragen kann. Dies erzwingt Rücksicht gegenüber dem Kirchenvolk, das im allgemeinen eine konservative Haltung einnimmt,-was nicht unbedingt ein Mangel sein muß. Solche Rücksicht ist demokratisch und dem Gebote der Liebe entsprechend. Erziehungsarbeit bedarf immer der Geduld. Niemandem soll mehr zugemutet werden, als er ertragen kann. Die Kirche steht mehr im Volk als die Dogmatiker und Avantgardisten der modernen Kunst. Von allem Modischen, das vergeht, muß sie sich freihalten. Wenn sie auch in der Zeit lebt, muß sie doch nicht alle Zeichen der Zeit an sich tragen. Der in der Kunst oft festgestellte Individualismus fördert nicht die gläubige Gemeinschaft, sondern zersprengt sie. Wer die Dinge unter diesem Gesichtspunkt sieht, wird der Kirche nicht vorschnell den Vorwurf des Konservativismus machen. Besser als Kritik ist freundliche Beratung.

Die beigefügte Statistik gibt Aufschluß über die Quantität des Kirchenbaues seit 1945. Sie sagt nichts über die Qualität. Über Letztere wird erst die Zukunft das letzte Wort sprechen.

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