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„Seht, welche Last wir tragen“

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Es gibt Ereignisse, die keine Chance haben, zu einer Zeitungsnachricht zu werden.

Zu Nachrichten eignen sich nur die Wirkungen der Ereignisse, die Nachwirkungen. Im Jahr 1861 stirbt der amerikanische Philosoph Henry David Thoreau, mit dem Makel eines erfolglosen Schriftstellers behaftet. Er war ein Freund Ralph Waldo Emersons und verehrte Homer, Aischylos und Vergil. In seinen Büchern finden sich Hinweise darauf, daß er auch die Philosophen des alten China kannte, Lao Tse zum Beispiel. Und so kann man bei ihm lesen, daß die Regierung die beste sei, von der der Bürger nichts merke. Im Jahr 1920 beginnt in Indien der ..bürgerliche Ungehorsam“ Wirklichkeit zu werden, über den Thoreau geschrieben hatte. Er war zum Lehrmeister Gandhis geworden. Ein anderer Schüler folgte: Albert Luthuli (und ein1 dritter: Martin Luther King und schließlich ganze Scharen vo'n Schülern, die Hippies, die Lao Tse und Thoreau ihre Meister nennen).

Albert Luthuli wird um die Zeit geboren, als Gandhi Südafrika wieder verläßt und nach Indien zurückkehrt. Vor rund einem Jahr stirbt er in der Nähe des Ortes, in den er von der weißen Regierung verbannt wurde, „getötet auf einer Eisenbahnbrücke“. Wenn aber Lao Tse fortwirkt und Thoreau noch immer Schüler hat, wenn Gandhis Beispiel Nachfolger findet, wirken dann nicht auch die Schüler und Nachfolger weiter, über ihren Tod hinaus?

Es wäre für ihre Freunde die letzte Hoffnung und für ihre Feinde die letzte Chance. Denn es ist so, wie Alan Paton in seinem Buch „Denn sie sollen getröstet werden“ schreibt: „Eine große Angst ist in meinem Herzen, daß die Weißen eines Tages, wenn sie sich zu lieben entschließen, finden werden, daß wir uns entschlossen haben, zu hassen.“ Alan Paton legt diese Worte einem schwarzen Priester in den Mund. Es sind Worthe Luthulis. Der Tod Martin Luther Kings hat in Nordamerika nicht nur zur planlosen, sondern auch zur geplanten Gewalt geführt. Die amerikanische Mau- Mau-Gesellschaft, von einem Mann gegründet, der sich nach Yomo Kenyatta Charles Keniatta nennt (und von der Geschichte der originalen Mau-Mau-Bewegung so wenig weiß, daß er Kenyatta für ihren Begründer hält), ruft die schwarzen Amerikaner, die in Vietnam das Töten gelernt haben, auf, ihr Handwerk auch in der Heimat nicht zu vergessen, sondern sich zu wehren. Und um zu zeigen, wie er es meint, hält er bei allen Reden ein Buschmesser, eine Machete, in der Hand.

Immatrikulation von der Sicherheitspolizei geprüft werden, ohne Erlaubnis des Rektors ein Fahrrad besitzen dürfen. Jede Ansammlung von mehr als neun Personen kann als Zusammenrottung gelten. Die Lebensverhältnisse in den Reservaten sind erbärmlich. Von drei Kindern stirbt eines an Hunger. Ein weißer Farmer hat im Durchschnitt 375 Acres pro Kopf der Familie zur Verfügung. Das sind 150 Hektar pro Kopf. Dem schwarzen Farmer werden pro Kopf nur sechs Acres zugestanden. Das sind ganze 2,4 Hektar pro Kopf. Diese Zahlen errechnete damals Albert Luthuli.

Inzwischen ist dieses Niveau noch unterboten worden. Die Deutsch- Südafrikanische Handelskammer in Kultur ausgesetzt waren und gründete die Gesellschaft für Zulu- Kultur, die das Wertvolle der alten Kultur erhalten und auf die Aneignung des Neuen vorbereiten sollte. Ein Weißer, der ebenfalls am Lehrerseminar dozierte, de Villiers, öffnete Luthuli und seinen Kollegen die Augen: „Wenn Sie einen Südafrikaner finden, der liberal denkt, müssen Sie wissen, daß er dazu erst nach einer gehörigen Gewissenserforschung und Umkehr gelangt ist, denn er ist dazu erzogen worden, Eingeborene unausstehlich und verächtlich zu finden. Uns hat man gelehrt, daß Eingeborene nicht so sind wie wir.“ De Villiers hielt seine eigene Umkehr übrigens nicht lange aus. Er wurde Sekretär für Bantu-Aus Südafrika wird solches nicht berichtet. Aber die südafrikanische Post ist verpflichtet, jede „verdächtige Sendung“ der Geheimpolizei auszuliefern. Wer die Unterdrük- kung der Schwarzen beim Namen nennt, wird ausgewiesen wie der anglikanische Bischof von Johannesburg, The Right Reverend Ambrose Reeves, oder wie der Rechtsanwalt Nelson Mandela auf Lebenszeit auf die Robben-Insel, das südafrikanische Jaros, verbannt. Aber die Schätzungen der UNO sprechen von eintausend Verurteilungen schwarzer Afrikaner pro Tag wegen Vergehen gegen ein einziges Gesetz: das Paß-Gesetz, das den Frauen und Kindern verbietet, in den Arbeitersiedlungen vor den Städten zu wohnen, das die Kontrolle ermöglicht, ob sich die Schwarzen dort aufhalten, wo man es ihnen erlaubt hat. Sie dürfen an keinem Ort ohne Erlaubnis sein und auch das nur für 72 Stunden. Sie dürfen einander nicht einmal in den Arbeitersiedlungen besuchen.

Der Zutritt zu den Reservaten ist nur den Einwohnern gestattet. Und die Angst vor den schwarzen Intellektuellen ist so groß, daß nicht einmal die Studenten, die vor der Johannesburg publiziert die Zahlen für das Reservat .Transkei: 3,5 Millionen Menschen auf 42.900 Quadratkilometern, das sind 100 Hektar für 81 Menschen. Und diese 100 Hektar sind nicht nur Acker und Wiesen, sondern auch Straßen, Wohngrundstücke. Dieselbe Johannesburger Institution gibt zu, daß durch die Hände der drei Millionen Europäer 71 Prozent des Nationaleinkommens gehen, während die zehn Millionen Bantus sich mit 23 Prozent begnügen müssen. Der ..Arbeitsfrieden“, von dem dabei die Rede ist, wird dadurch erzwungen, daß den schwarzen Arbeitern der Streik als kriminell bezeichnet und entsprechend' bestraft wird, daß es weißen Gewerkschaften verboten ist, schwarze Mitglieder aufzunehmen oder ihre Interessen zu vertreten und daß die Schwarzen seit 1959 nicht einmal mehr durch drei weiße Sprecher im Parlament vertreten sind. Wer darüber vor einer UNO-Kommissdon Aussagen macht, kann seit 1963 mit dem Tode bestraft werden, und zwar für Aussagen, die bis 1950 zurückliegen können.

Vor diesem Hintergrund erst läßt sich ermessen, was die Demut Albert Luthulis bedeutete. Als er in Natal Lehrer ausbildete, kam der Leiter der Schulbehörden in Natal auf den Gedanken, das Niveau der Schulen für Afrikaner zu senken. Bis dahin hatten sie dieselben Lehrpläne gehabt wie die weißen Schulen. Die neuen Schlagworte hießen „Praktische Schulerziehung“ und „Unterricht in der Stammessprache“. Luthuli glaubte, daß das gut sei. Die American Mission, die die Generation seines Vaters in diesem Gebiet zu Christen gemacht hatte, war protestantischer Richtung. Und Luthuli war zu sehr Zulu, um nicht gut zu finden, daß der Unterricht die Sprache seines Volkes pflegen sollte. Erst die Proteste in seiner Umgebung weckten sein Mißtrauen. Er sah, daß die Afrikaner hilflos der Begegnung mit der europäischen Erziehung und half mit, die Bildungschancen der Schwarzen zu zerstören: nur wenig Rechnen, Schreiben und Lesen, dafür ausreichend „niedere Handwerke“ — denn der Bantu soll kein Facharbeiter werden können.

Von 1935 bis 1945 beschränkte sich Albert Luthuli darauf, sein Amt als Chief seines Heimatreservates am Umvoti-Fluß zu verwalten und für die 5000 Bewohner des Reservats zu sorgen, in gemischtrassigen Gremien der Kirchen mitzuwirken und den Schikaneverordnungen der Regierung (zum Beispiel gegen die Zuk- kerpflanzer unter den Bantus) mit Eingaben und Aufklärung ihre .schlimmste Wirkung zu nehmen. Das änderte sich 1945. In diesem Jahr wurde er im African National Con- gress of South-Africa aktiv. Diese Organisation war 1882 gegründet worden, als die Weißen den Schwarzen endgültig ihr Land Wegnahmen, wenn auch nicht so systematisch wie 60 Jahre später. Jetzt wollte er wenigstens alle Nichteuropäer zur gemeinsamen Abwehr des weißen Terrors sammeln. Der Terror sollte aber . erst noch beginnen und alle bisherigen Demütigungen in den Schatten stellen. Es begann 1949 mit dem Gesetz, das Ehen zwischen Schwarzen und Weißen für illegal und nichtig erklärte. Ein Jahr später wurden die gemischten Ehen endgültig zerrissen durch das Gesetz, das auch den sexuellen Kontakt zum Verbrechen erklärte. Dann wurde die Bevölkerung durch die Group Areas Act auseinandergerissen und nach Farben getrennt. Jedoch war „der Begriff Weißer nicht auf Individuen anwendbar, die, obschon sie offensichtlich das Aussehen von Personen weißer Rasse haben, allgemein als Farbige betrachtet werden“. Mit dieser Klausel konnten die Städte „Asoziale" und andere Unerwünschte in die Gebiete für Farbige abschieben. Wer gegen diese Unmenschlichkeiten Stellung nahm, wurde als Kommunist bezeichnet und fiel unter ein Gesetz, das ebenfalls 1950 erlassen wurde und Polizeiaufsicht, Hausarrest und Haft vorsah.

Der African National Congress beschloß, mit Demonstrationen und Streiks auf das Unrecht aufmerksam zu machen. Luthuli schrieb seine erste Proklamation. Ihr Titel war: „Der Weg in die Freiheit führt über das Kreuz.“ Sie enthielt diese Sätze: „Wer wird bestreiten, daß ich dreißig Jahre meines Lebens damit verbracht habe, vergeblich, geduldig und maßvoll und bescheiden an geschlossene und verriegelte Türen zu klopfen, wenn es darum ging, Bürgerrechte und Möglichkeiten für eine ungehinderte Entwicklung des afrikanischen Volkes zu erreichen? Aber welche Früchte zeitigten die vielen Jahre der Mäßigung? Toleranz oder gemäßigte Haltung der Regierung? Nein, im Gegenteil. In den letzten dreißig Jahren wurde eine Fülle von Gesetzen erlassen, die unsere Rechte einschränkten. Jetzt sind wir so gut wie rechtlos: Kein geeignetes Land zum Bebauen; unser einziger Besitz, unser Vieh, wird verringert; wir sind ohne gesichertes Heim, ohne angemessen bezahlte Arbeit; wir können keinen Schritt tun, ohne gegen Zuzugskontrolle und Aufenthaltsverbote zu verstoßen… Ich betrachte den gewaltlosen passiven Widerstand nicht als revolutionär, sondern als eine sehr legitime und menschliche, politische Druckmaßnahme eines Volkes, dem alle verfassungsmäßigen Rechte genommen sind.“

Die einzige positive Reaktion unter den Weißen war die Gründung der Liberalen Partei 1953 und die Standfestigkeit einiger Kirchen: Die katholische, die anglikanische und die Methodistenkirche verwehrten dem Staat den Eingriff in ihre Er- ziehungs- und Hilfswerke. Die hol- ländisch-reformierte Kirche, der die meisten Buren (die schlimmsten Bantu-Hasser) angehören, trat jedoch aus dem Weltkirchenrat aus, der ihren Rassenhaß mißbilligte, und schlug sich auf die Seite der Regierung.

Die Regierung antwortete bis 1963 mit sechzehn noch schärferen Gesetzen: gewaltloser Widerstand gegen die Apartheid wurde mit fünf Jahren Kerker und Stockschlägen bestraft. Achtzigtausend Stockschläge pro Jahr werden nach UNO-Schät- zungen angeordnet. Die Regierung kann über einzelne Gebiete den Ausnahmezustand verhängen und Parlament und Gerichte suspendieren. Afrikaner können ohne Gerichtsurteil (auch ohne Ausnahmezustand!) verbannt werden und können gegen die Verbannung an kein Gericht appellieren. Alle Mischlinge (etwa 1 Million) verloren das Wahlrecht. Die Schwarzen verloren das Recht, an den Universitäten Johannesburg, Kapstadt und Durban zu studieren. Sieben Millionen Bantus verloren das Wohnrecht in ihren Geburtsorten, die zu weißen Gebieten erklärt wurden.

Arbeitsämter können einem Bantu jederzeit einen Arbeitsplatz vorschreiben, ohne daß er Frau und Kinder mitnehmen darf. Kinder, die achtzehn Jahre alt sind, dürfen nicht mehr bei den Eltern wohnen. Verdächtige Personen können von jedem Polizeikommissar für 90 Tage inhaftiert werden und haben kein Recht auf Familienbesuche und Rechtsbeistand. Die Haft kann immer wieder um 90 Tage verlängert werden, ohne daß der Häftling vor Gericht gestellt wird. Auf Sabotage steht die Todesstrafe, wobei alle „Verstöße gegen die bestehende Ordnung“ als Sabotage gewertet werden können und der Angeklagte seine Unschuld beweisen muß. Noch lauten die Texte der Lieder, die die Afrikaner singen: „Seht, welche Last wir tragen!“, und Luthuli stimmte in Oslo bei der Verleihung des Friedensnobelpreises das Lied an: „Nkosi Sikeleli Africa“, Gott segne Afrika, möge sein Lob erschallen. Erhöre unser Gebet um Segen, Gott.

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