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Sich selbst und Lenin treu

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Vorbereitet durch Reisen des jugoslawischen Verteidigungsministers Gošnjak, dann der beiden Vizepräsidenten des Bundesvollzugsrates, Kardelj und RankoviC, fand an den beiden ersten Augusttagen des Jahres 1957 auf rumänischem Gebiet eine Aussprache zwischen Chruschtschow und Tito statt, an der die zwei vorerwähnten jugoslawischen Staatsmänner und die sowjetischen Koryphäen Mikojan, Frau Furzewa nebst je einem Parteitheoretiker und den zuständigen Botschaftern teilnahmen. Das nach Abschluß der Begegnung veröffentlichte Kommunique trachtete Art und Wichtigkeit der gefaßten Beschlüsse zu verbergen. Es wurde damals eine Anzahl folgenschwerer Entscheide verabredet. Die Moskauer Staatsmänner sahen einer demonstrativen Reise nach Ost-Berlin entgegen, die am 7. August ihren Anfang nahm. Hält man diesen Umstand mit den zwei dominierenden Ereignissen der unmittelbaren Entwicklung zusammen, so wird es auch dem oberflächlichsten Beobachter klar, daß Chruschtschow und Tito während ihrer Donaufahrt die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze durch Jugoslawien und die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Belgrad und Pankow ausgemacht haben. Die Gegenkonzessionen des Kremls sind freilich in größeres Dunkel gehüllt. Feststehen dürfte, daß dem jugoslawischen Präsidenten weiterhin die Rolle eines Vermittlers mit dem Westen zugedacht war: daß er wertvolle wirtschaftliche Zusagen bekam und daß ihm auf dem Balkan die von ihm so hartnäckig begehrte führende Stellung sowjetischerseits eingeräumt wurde. Jedenfalls hat damals die unter rumänischer Flagge segelnde Initiative zu eiriör Balkahkonferenz in "ihren Einzelheiten konkrete' Förrheh Angenommen. Nicht minder sicher ist, daß Tito seinem Gesprächspartner beizubringen verstand, es ‘sei vorläufig besser, wenn Jugoslawien nicht — wie das in Moskau periodisch gefordert wurde — in aller Form dem kommunistischen Block beitrete, sondern sich seine Freizügigkeit wahre. Diese gewähre ja nicht nur günstigere Verbindungsmöglichkeiten in Asien und Afrika, besonders zu Indien, Japan und der muselmanischen Welt, sondern auch zu England, Griechenland, der Türkei, den untereinander wenig einigen Interessenten am Zypernstreit.

Der sowjetische und der jugoslawische Parteiführer haben sich recht gut miteinander ausgesprochen. Unmittelbar darnach erschien Ho- tschimin in Belgrad, und Titos ungemein begabter oberster Wirtschaftsdiplomat, der als Nummer vier seines Landes geltende Svetozar Vukmanovič, ging auf eine lange Asientour, die vom 6. August bis zum 20. Oktober dauerte und die ihren Höhepunkt im Pekinger Besuch Mitte September hatte. Anderseits empfing man in Jugoslawien hohe britische Gäste: den Oppositionsführer Gaitskell und, vom 4. bis 7. September, den-Außenminister Selwyn Lloyd. Gleich darnach stellten sich die maßgebenden polnischen Kommunisten zum Staats- und Parteibesuch ein: Gomulka, Cyrankiewicz, Ochab. Ihre Anwesenheit bot den Anlaß, das erste Ergebnis der Augustbegegnung Titos und Chruschtschows kundzutun: das Bekenntnis Jugoslawiens zur Oder-Neiße-Grenze.

Den deutschen Diplomaten, voran dem über ausgezeichnete Beziehungen verfügenden Botschafter in Jugoslawien, Pfleiderer, wird wohl kaum entgangen sein, daß die Anerkennung der DDR durch Tito bevorstehe. In Belgrad scheint man, nicht zuletzt unter dem Eindruck des Verhaltens Pfleiderers und angesichts vieler Stimmen aus der Bundesrepublik, erwartet zu haben, dje Verbeugung vor Pankow, mit dem man noch zu Jahresfrist ein Hühnchen zu rupfen hatte, werde nichts Ernstliches äm Verhältnis zu Bonn ändern, zumal in dem für Jugoslawien wichtigsten, wirtschaftlichen Bereich. Gleichzeitig begab sich der deutsche Botschafter Pfleiderer aus Belgrad nach den Rheinlanden, wo er Adenauer Bericht erstattete. Der ausgezeichnete, doch eigenwillige Diplomat sollte nicht mehr auf seinen Posten zurückkehren; er «rlag wenige Tage später einem Herzinfarkt. Hatte die Aufregung über die nun sich abzeichnenden Folgen der jugoslawischen Deutschlandpolitik diesen Tod beschleunigt? Wenige Tage darnach ließ man aus Titos Umgebung die baldige Anerkennung Pankows offiziös verlauten. Das Enfant terrible des Regimes, der einstige Partisanenführer, Freund Titos und hohe Würdenträger, Djilas, wurde in einem hinter verschlossenen Türen abgewickelten Prozeß wegen der Veröffentlichung seines die „Neue Klasse“ der kommunistischen „Goldfasane“ schildernden Buchs zu sieben Jahren Kerkers verurteilt. Wirtschaftsverhandlungen mit einer Sowjetdelegation hüben an. An demselben Tage schleuderte man den ersten künstlichen Erdsatelliten in den Weltraum und Marschall Schukow reiste per Schiff nach dem Lande des leninistischen Verbündeten der UdSSR, der kein Satellit sein wollte.

Ueber Ziel und Verlauf dieser Fahrt waltet weit ärgeres Dunkel als über der Entrevue Chruschtschow—Tito. Dem sowjetischen Kriegsminister ist es einigermaßen ergangen wie dem surrealistischen Pere Ubu: „On sort vivant et Ton revient tudė.“ Er ist quicklebendig, von politischer Gesundheit strotzend, aus der Krim abgedampft und von Albanien als politisch Toter, der, bis zum Moment seiner Ankunft in Moskau, sich seines Absterbens nicht bewußt war, heimgekommen. Daß Schukow die Aufgabe erledigen sollte, Tito zum Verzicht auf amerikanische Lieferungen zu bewegen und ihm dafür sowjetisches Kriegspotential zuzusagen, ist sehr wahrscheinlich. Daß er damit auf keine Gegenliebe stieß oder gestoßen wäre, įst sicher. Hatte der Sowjetmarschall die Mission, Jugoslawien zur formalen Rückkehr in die kommunistische Völkerfamilie zu überreden, nachdem frühere wiederholte Versuche in dieser Richtung gescheitert waren? Das scheint uns möglich. Der Wahrheit am nächsten dürften wir jedoch mit der Vermutung gelangen, Schukow habe mit Tito politische und militärische Fragen zu klären gehabt, sei aber aus eigener Initiative über seine Kompetenz hinausgegangen und bemüht gewesen, den Belgrader Diktator von Chruschtschow abzuziehen und für gewisse konkrete Pläne des ehrgeizigen Sowjetfeldherrn zu gewinnen. Darüber muß Erschreckendes nach Moskau durchgesickert oder, weit eher, von jugoslawischer Seite aus dem Kreml gemeldet worden sein. Denn nur so ist die beschleunigte Absetzung Schukows befriedigend zu motivieren. Keinesfalls hat sein Besuch die Gastgeber gegen die derzeitigen Machthaber im Kreml, voran Chruschtschow, Mikojan und die Furzewa, aufgebracht. Denn sonst wäre nicht während des Aufenthalts Schukows, am 14. Oktober, die erwartete Anerkennung der DDR geschehen. Aufzubellen bliebe ferner, inwieferne der Bericht einer Ende Oktober aus den USA zurückgekehrten Wirtschaftsmission den gewichtigen Schritt Jugoslawiens mitbeeinflußt hat.

Die scharfe Antwort der Deutschen Bundesrepublik, der Abbruch der diplomatischen Beziehungen zur Belgrader Regierung, überraschte, ärgerte und löste Wirkungen aus, die weder in offiziellen Kreisen Jugoslawiens noch bei einem großen Teil der deutschen Oeffentlichkeit und in deutschen Wirtschaftssphären geahnt worden waren, die jedoch — so meinen erfahrene Sachkenner — in Moskau einkalkuliert worden waren. Dazu gehörte vor allem die Rückwirkung auf Warschau, wo man den dortigen Neigungen zu einem Gespräch mit Bonn die Intransigenz Adenauers und Brentanos entgegenhielt. Irgendwie scheint die westdeutsche Maßnahme auch mit Ursache der Verstimmung zu sein, die plötzlich Ende Oktober zwischen Tito und dem Kreml sichtbar wurde. Selbstverständlich lag deren Hauptgrund in der Affäre Schukow. Wie es sich jedoch damit im einzelnen verhält, ist rätselhaft. Denn, wie schon erwähnt, der neuerliche Krach ist erst einige Tage nach dem Sturz des sowjetischen Verteidigungsministers erfolgt. Am ehesten dünkt uns eine Hypothese annehmbar, die von einem vortrefflichen Spezialisten der Balkanpolitik stammt. Darnach habe sich Tito zwischen dem 27. und 29. Oktober davon überzeugt, daß man in Moskau unbedingt auf seine Einordnung in die gesamtkommunistische Front dränge und daß man ihn beim angekündigten Besuch, den er gelegentlich der Vierzigjahrfeier der kommunistischen Revolution Rußland abstatten wolle, unter Druck setzen werde. Diese Informationen seien durch Kardelj be- kiäftigt worden, der vom 22. bis 28. Oktober in Griechenland geweilt hatte, wo er mit dem dortigen Ministerpräsidenten Karamanlis die gesamten aktuellen Probleme besprach. Wie dem auch sei, am Tag nach Kardeljs Heimkunft verbreitete sich die amtliche Nachricht, Tito werde infolge einer Erkrankung nicht die beabsichtigten Reisen ins Ausland antreten können. Ja, so ein Hexenschuß! Wüßte man nur, welche kapitalistische Hexe ihn abgefeuert hatte! Und dabei hatte man den hohen Patienten noch an demselben 29. Oktober in den Straßen Belgrads gesehen.

An seiner Stelle pilgerten Kardelj und Rankovių nach Moskau. Sie legten einen Kranz am Grabe Lenins und keinen an dem Stalins nieder. Sie nahmen an der Monsterparade teil, als Ehrengäste auf der Tribüne. Sie trafen mit der kommunistischen Prominenz zusammen, von Chruschtschow und Maotsetung über Gomulka und Hotschimin, Ulbricht und Kadar bis zu Živkov und Enver Hoxha. Doch am 15. November verließen sie die sowjetische Hauptstadt, um sich nach Prag zum Leichenbegängnis Zapotockys zu begeben. Der starb ihnen gelegen. Obgleich aus Belgrad der Präsident der Skupština Stmabolič an der Spitze einer zahlreichen Delegation an den Moldaustrand entsandt worden war, mußten die jugoslawischen Kommunisten Nummer zwei und drei dennoch dem Bannkreis des Kremls in

Richtung Tschechoslowakei enteilen. Weil nämlich unterdessen die Beratungen der Dioskuren Chruschtschow und Mao mit ihren Satelliten begonnen hatten und Tito, stets um seine Manövrierfähigkeit besorgt, dabei nicht mittun wollte. Das um so weniger, je mehr sich für ihn die Schwierigkeiten häuften.

Die Anerkennung der DDR und der Abbruch der Beziehungen zu Bonn hatten üble Auswirkungen auf den Westen. Tito bewahrte Haltung und ließ zum Beispiel eine geharnischte Abfuhr einer in den USA erschienenen, wider ihn Feuer und Flamme speienden Broschüre veröffentlichen. Der Propagandakrieg gegen die Deutsche Bundesrepublik und gegen Italien trieb die üppigsten Blüten. Gleichzeitig wurde aber der amerikanische Botschafter Riddelberger, der nach langer Abwesenheit wieder auf seinen Posten zurückkehrte, freundlichst begrüßt, und wir dürfen weissagen, daß in den nächsten Wochen wieder ein paar artige Gesten westwärts seitens Titos fällig sind. Die Erklärung der kommunistischen Länder, gegeben zu Moskau und dort am 22. November publiziert, ermangelt dafür der jugoslawischen Unterschrift. Doch derlei kleine Drehung ist kein jäh ausgebrochener kapitalistischer Wahnsinn, nur wohlerwogene kommunistische Methode. Im Herzen bleibt Tito sich und Lenin treu.

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