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„Sie ist wie sie ist“

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Am 5. Dezember feiert die „Furche“ ihr 25jähriges Bestandsjubiläum. Sie feiert dieses Jubiläum zu einem Zeitpunkt, da Unruhe und Nervosität das österreichische Pressewesen erfaßt haben. Am 15. November stellte das Zentralorgan der ÖVP, das „Volksblatt“, sein Erscheinen ein. Einen halben Monat später wäre es fast zur Einstellung der drittgrößten österreichischen Tageszeitung, des „Express“, gekommen. Statt der Einstellung kam es dann „nur“ zu einem Besitzwechsel. Gleichzeitig erhielt die Öffentlichkeit die Nachricht, daß das kleine sozialistische Blatt „Neue Zeitung“ von einer Tagesausgabe in eine Wochenausgabe verwandelt wird. Und ebenso gleichzeitig erhielt die Öffentlichkeit die Nachricht, daß das „Linzer Volksblatt“, bisher im Besitz des oberösterreichischen katholischen Pressvereins, in die Hände einer ÖVP-Gesellschaft überwechselt (wobei sehr gewichtige Stimmen diesem Experiment höchstens eine Lebensdauer von zwei bis drei Jahren geben). Und ebenso gleichzeitig tobt der Kampf verschiedener Massenmedien gegeneinander, die in dem Außenstehenden den Eindruck erwecken, es handle sich nicht mehr um einen normalen Konkurrenzkampf, sondern um einen erbitterten Existenzkampf, um die Frage, wer überlebt.

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Am 5. Dezember feiert die „Furche“ ihr 25jähriges Bestandsjubiläum. Sie feiert dieses Jubiläum zu einem Zeitpunkt, da Unruhe und Nervosität das österreichische Pressewesen erfaßt haben. Am 15. November stellte das Zentralorgan der ÖVP, das „Volksblatt“, sein Erscheinen ein. Einen halben Monat später wäre es fast zur Einstellung der drittgrößten österreichischen Tageszeitung, des „Express“, gekommen. Statt der Einstellung kam es dann „nur“ zu einem Besitzwechsel. Gleichzeitig erhielt die Öffentlichkeit die Nachricht, daß das kleine sozialistische Blatt „Neue Zeitung“ von einer Tagesausgabe in eine Wochenausgabe verwandelt wird. Und ebenso gleichzeitig erhielt die Öffentlichkeit die Nachricht, daß das „Linzer Volksblatt“, bisher im Besitz des oberösterreichischen katholischen Pressvereins, in die Hände einer ÖVP-Gesellschaft überwechselt (wobei sehr gewichtige Stimmen diesem Experiment höchstens eine Lebensdauer von zwei bis drei Jahren geben). Und ebenso gleichzeitig tobt der Kampf verschiedener Massenmedien gegeneinander, die in dem Außenstehenden den Eindruck erwecken, es handle sich nicht mehr um einen normalen Konkurrenzkampf, sondern um einen erbitterten Existenzkampf, um die Frage, wer überlebt.

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Eine große Anzahl von Redakteuren wird plötzlich arbeitslos, und wenn auch ihre nahe Zukunft dank der österreichischen Sozialgesetzgebung gesichert erscheint, ist dieser Zustand für die Betroffenen doch alles andere als angenehm. Viele Setzer und Drucker müssen von der Nachtschicht zur Tagschicht überwechseln, welche bekanntlich viel geringer dotiert ist und dem Betroffenen nicht unerhebliche Einikom-menseinbußen bringt. Als das ÖVP-Zentralorgan eingestellt wurde, hagelte es noch Vorwürfe gegen die ÖVP, die angeblich nicht Sorge genug getragen hatte, entsprechend finanzielle Mittel für die Erhaltung ihres Zentralorganes aufzubringen. Jedermann weiß, daß die ÖVP nicht sehr finanzstark ist und vor allen Dingen auch keine sehr gute Organisation besitzt, die es ermöglichen würde, bedeutende Summen zu mobilisieren. Die SPÖ, die offiziell antikapitalistische Partei, ist im Gegensatz zur ÖVP eine sehr finanzstarke Gruppe. Dennoch mußte diese Partei eine ihrer Tageszeitungen, die „Neue Zeitung“, in ein Wochenblatt umwandeln und den „Express“, den sie erst vor kurzem durch eine Reform aufpolieren wollte, aus ihrem Besitz entlassen. Und warum? Weil einfach die Defizite dieser Blätter für die SPÖ ebenso untragbar waren wie das Defizit des „Volksblattes“ für die ÖVP. (Das Defizit des „Express“ soll angeblich mehr als zehn Millionen Schilling jährlich, und das der „Neuen Zeitung“ mehr als zwanzig Millionen jährlich betragen nahen.) Beide Parteien handelten eigentlich logisch. Aber es ist überflüssig, ihnen Vorwürfe zu machen, denn Geld ausgehen kann nur derjenige, der es hat. Und die Defizite der genannten Zeitungen überstiegen tatsächlich das normale Maß.

In diesen unruhigen Zeiten sind auch immer wieder Stimmen zu hören, die besagen, daß die „Furche“ ebenfalls gefährdet sei. Wenn keine Weltkatastrophen wie zum Beispiel im Jahr 1938 eintreten, dann ist sie es nicht. Und alle Hoffnungen jener, die sie gefährdet sehen möchten; werden sich nicht erfüllen. Die „Furche“ wird finanziert wie jede andere Zeitung: durch ihre Bezugsgebühren und ihre Inserate. Aber trotz größter Sparsamkeit ist es kein Geheimnis, daß die „Furche“ noch immer ein Defizit besitzt, zwar nicht mehr ein annähernd so großes wie vor dem Jahre 1968, aber immerhin noch ein nicht unbeträchtliches. Wer bezahlt dieses Defizit? Für die „Furche“ gilt in diesem Fall das gleiche, was für alle Zeitungen gilt, die aus ihren Einnahmen nicht aHe Ausgaben decken können. Sie muß versuchen, ihr Defizit anderweitig zu decken. Viele Zeitungen waren im letzten Jahrhundert in einer ähnlichen Lage. Und viele Zeitungen ließen sich auf eine Weise unterstützen, die den Verdacht aufkommen ließ, daß hierdurch ihre Meinung gekauft wurde. Seit rund hundert Jahren machen die Zeitungen der österreichischen katholischen Pressvereine hier eine rühmliche Ausnahme. Ihre Presseorgane waren vielfach defizitär, aber sie wurden durch niemand anderen unterstützt als durch die eigenen Unternehmungen der Pressvereine, durch die Eingänge aus Druckereien, Buchverlagen» Buchhandlungen usw. Die katholischen Pressvereine Österreichs sind allesamt keine kirchlichen Vereine. Sie sind Vereine des bürgerlichen Rechts, aher sie sind Vereine, die im einer doppelten Form gebunden sind: sie sind konfessionell gebunden und sie sind an Österreich gebunden. Mitglieder dieser Vereine können nur katholische Österreicher sein. Da diese Pressvereine keine kirchlichen Vereine sind, s;nd sie auch der Hierarchie nicht in der Weise unterstellt wie dies der Fall wäre, wenn sie kirchliche Vereine nach kanonischem Recht wären. Die Stellung, die die österreichischen Bischöfe in den einzelnen Pressvereinen besitzen, ist verschieden. Hier gilt der Grundsatz „Stimme ist

Stimme“. Eine Rücksichtnahme auf die Person, der die Stimme gehört, wurde nie genommen. Lange, bevor man von der Demokratisierung der Kirche sprach, war hier bereits eine echte Demokratisierung vollzogen. Lange, bevor man von den mündigen Christen In -V- Ki -che sprach, waren in den Prp'« vvieA.sn mündige Christen für die katholische Sache tätig. Und lange bevor es eine offizielle Katholische Aktion gab, wirkte in diesen Pressvereinen eine echte katholische Aktion. Überflüssig zu betonen, daß die Pressvereine von der Kirche niemals unterstützt wurden und auch nicht werden. Die „Furche“, die soeben ihr 25jähriges Bestandsjubiläum feiert, gehört dem Herold-Verlag, der handelsrechtlich eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist. Einziger Gesellschafter dieser Gesellschaft ist der katholische Presseverein Herold, der auch gleichzeitig als Herausgeber der „Furche“ zeichnet und somit nach dem Gesetz berechtigt ist, die Linrie des Blattes zu bestimmen. Die „Furche“ ist somit ein Organ, das nicht der Kirche gehört, aber sich ihr zutiefst verbunden fühlt. Die „Furche“ gehört auch keiner Partei, sie fühlt sich aber Österreich zutiefst verbunden und verpflichtet Dr. Funder, der Gründer der „Furche“, schrieb ausdrücklich in seinem Testament, daß sie in strenger Unabhängigkeit von jeder politischen Partei sich auch in Zukunft entwickeln möge.

Die „Furche“ ist somit ein vollkommen unabhängiges Organ, verbunden der christlichen Weltanschauung und verbunden dem < gesamten Österreich. Der „Furche“ nachzusagen, daß sie auch nur irgendeiner Partei nahestehe, ist grundfalsch. Ebenso wie es grundfalsch ist, sie als eine linke oder reaktionäre Zeitung zu deklarieren. Die „Furche“ hat sich seit ihrem Bestand das Recht zur Kritik herausgenommen und wird dieses Recht auch weiterhin in Anspruch nehmen. Dr. Friedrich Funder sagte noch in seinem Testament: Die „Furche“ soll ihre Aufgabe darin erblicken, ein hohes geistiges Forum zu sein, auf dem Wahrheit und christliche Weisheit auch innerhalb der weltlichen Dinge so vorgetragen werden, daß sie auch von einem Andersdenkenden ohne Widerwillen aufgenommen werden und ihn durch innere Würde gewinnen.

Die Redaktion der „Furche“ fühlte sich seit ihrer Gründung den Intellektuellen verbunden. Deshalb wehrte sie sich auch gegen jeden

Verrat am Intellekt und lehnte jene billigen, geistigen Moderichtungen ab, die alle zwei Jahre ein neues Christentum, ein neues Kunstideal und eine neue politische Heilslehre entdecken und all das, was der schöpferische Menschengeist an großen Kulturleistungen geschaffen und der kämpfende Menschcngeist an Freiheiten errungen hat, zum alten Eisen werfen wollen. Diese Unabhängigkeit, die sich nie in progressiven Phrasen äußert, sondern einfach dem Humanen verpflichtet fühlt, hat sich die Redaktion auf allen Gebieten bewahrt. Ebensowenig wie sie einer Partei verpflichtet ist, ebensowenig ist sie es einer Kunstinstitution. Auch hier gibt es in Österreich, speziell in Wien, Gruppen und Grüppchen, die man kritisch auch Cliquen nennen könnte. Die Redaktion war stets bemüht, sich aus diesen Dingen herauszuhalten. Auf dem Gebiet der Kunst weder reaktionär noch auch progressiv, versuchen wir, unseren Lesern das Wertvolle, zumindest das Diskussionswürdige ohne Scheuklappen und ohne Voirurteile zu vermitteln, aber auch ohne Sucht, immer bei der Avantgarde sein zu müssen und morgen schon das zu widerrufen, was wir gestern leidenschaftlich als das Sensationelle und nach progressivem Sprachgebrauch alles Frühere überflüssig machende Ereignis angepriesen haben.

Das Haus Herold war nie ein reiches Haus. Der kleine Verein Herold ist ein Fähnlein von Freiwilligen, die ihrer Aufgabe aus Enthusiasmus und ohne materielle Rücksichtnahmen nachkommen. Als der große Druckauftrag „Vodksblatt“ dem Haus Herold verlorenging, wäre es nicht unschwer gewesen, andere Druckaufträge zu bekommen, die allerdings geistig nicht ganz in das Haus gepaßt hätten, aber der Vorstand sagte eisern nein, weil es besser ist, arm zu sein, aber Charakter zu bewahren.

Das Haus Herold wird sich nicht ändern. Und die „Furche“, die diesem Haus gehört, wird sich nicht ändern. Sie wird ein unabhängiges Blatt sein, das dem Christentum und Österreich verhaftet ist. Sie wird ihre Stimme erheben ohne Rücksicht, wenn sie es für notwendig hält. Das ist der Sinn ihres Daseins. So mancher wird diese Haltung für unsinnig halten, aber auch für die „Furche“ gilt sinngemäß, was Clemens XIV. über die Kirche sagte: „Sie ist wie säe ist oder sie ist nicht.“

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