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Sie rußt, aber sie brennt

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Vom Berge Kronion an den Ufern des Alpheios bis nach Rom hat die olympische Flamme noch niemals in der Geschichte,. nicht in der alten und nicht in der neuen, einen ihr mehr zukommenden und vertrauten Raum durcheilt. Die 2000 Staffettenläufer haben nach der Durchquerung von Elis und der Überquerung des Ionischen Meeres von Syrakus auf Sizilien aus die Fackel durch Megale Hellas getragen, durch das Großgriechenland auf italischer Erde, und die Küste Kalabriens empor bis Neapel war es griechischer Heimatboden, jener Boden, der den Spielen in Olympia die Sieger von 484 und 476 vor Christus, Eutimos und-Agesidamos, gegeben hat. Und in Rom selbst hat der Anblick der Zeugen aus klassischer Zeit mit ihren Erinnerungen die Verbindung zur. klassischen Welt angeknüpft, so daß die Teilnehmer und Besucher der Olympischen Spiele niemals anderswo zuvor den klassischen Geist in dem physischen, aber auch moralischen Wettstreit so unmittelbar und lebendig gefühlt haben werden wie in Rom. Daß einige der Kämpfe an Stätten ausgetragen werden, die auch in der Antike sportlichem Streit gedient haben, auf dem See von Albano, in den Thermen des Cara-calla und in der Basilika des Maxentius, ist eine zusätzliche Koketterie der Organisatoren und fügt nichts zu dieser Einheit von Welt und Geist hinzu.

Die offiziellen Redner lassen es sich nicht nehmen, auf die Verbindung zwischen Olympia und Rom anzuspielen. Sie ist unzweifelhaft da, und Rom darf auch Verdienste um die Olympischen Spiele für sich in Anspruch nehmen. Die Olympiaden reichen von 776 vor Christus bis 393 nach der Zeitenwende, als Kaiser Theo-dosius verbot, die Spiele weiterhin abzuhalten.' Die Hälfte genau dieser enormen Zeitspanne fällt unter die römische Herrschaft, denn der „Befreier“ Griechenlands und dessen aufrichtiger Freund, der Feldherr T. Quinctius Flaminus, hat im Jahre 196 v. Chr. auch die Spiele unter den Schutz und die Auspizien Roms. gestellt. Das Verdienst Roms endet aber nicht hier. Seine Weltherrschaft, sein Reich hat die Spiele in Olympia erst wirklich „international“ gemacht. Ursprünglich nur auf die Bewohner des Peloponnes beschränkt und dann auf alle Stämme griechischer Zunge ausgedehnt, blieben die nicht Griechisch Sprechenden, die Rarbaren,, die „Plappernden“ also,. ausgeschlossen. Das Interesse Roms an den Spielen bekundete sich später in der aktiven Teilnahme zweier Kaiser, Tiberius und Nero, aber es ist klar, daß die Anwesenheit so erlauchter Personen unter den Athleten der Korruption Tür und Tor geöffnet hat. Nero verschob nicht nur kurzerhand die 211. Olympiade vom Jahre 65 auf 67, weil er eben dringende Geschäfte zu erledigen hatte, er wies sich auch selbst sechsmal den Olivenkranz des. Siegers ?u, als Wagenlenker, als Tragöde, als, Spieler auf der Kithara. Nach seinem Tode weigerten sich die Bewohner von.Elis, die Spiele des Jahres 67 in die offizielle Olympiadenzeit-rechn'üng aufzunehmen.

Kommt auch dem christlichen Rom Anteil und Verdienst an den Spielen zu? Darüber wird eben eine lebhafte Polemik zwischen dem alten Grafen Giuseppe Dalla Torre, Ehrenchefredakteur des vatikanischen „Osservatore Romaho“, und jenen Zeitungen geführt, die sich seiner Meinung nach von der Welle der Begeisterung für den klassischen Geist der Spiele haben forttragen lassen und schrieben, die Olympiade 1960 werde Rom an dem „ethischen Universalismus“ der Spiele teilhaben lasseh. Dalla Torre meint, daß das Gegenteil der Fall sei: ihren ethischen Universalismus schöpfen die Olympischen Spiele erst aus der Lehre Roms, der katholischen also, denn nur das Christentum entwickelte und verwirklichte die Idee der Universalität in sozialer, zivilisatorischer und politischer Hinsicht. Und nur in ihm erhob sie sich in die ethische und spirituelle Sphäre. Wenn die modernen Olympiaden einen moralischen Inhalt haben wollen, wenn sie aus dem Wettstreit bloßer intelligent gebrauchter Körperkfäft einen solchen menschlicher. Solidarität machen wollen, dann ist dies auf jenen Vorrang des Geistes zurückzuführen, dem die Völker auf ihrem. Wege zum Fortschritt durch Roms Universalität zugeführt worden sind.

jpif von Pihdar, Griechenlands größtem Lyriker, besungenen Olympischen Spiele hatten, wie fast jede kollektive Veranstaltung der antiken griechischen Welt, einen stark religiösen Untergrund. Kultische Handlungen leiteten, die dem Zeus gewidmeten'Kämpfe ein. Dieses religiöse Element fehlt heute vollkommen, und es kann auch nicht anders, sein. In der Antike gehörten die Athleten alle einem einzigen Glauben an, selbst lange noch unter der römischen Herrschaft. Heute, zumindest seit Helsinki und mehr noch seit Melbourne, ist mit einer wahrhaft weltweiten Teilnahme aller Rassen und Völker aller Erdteile eine Vielzahl von Religionen und auch das atheistische Glaubensbekenntnis vertreten. In der Antike waren der reine sportliche Geist und die Begeisterung über den Wert des Physischen,' aber doch nicht nur des Physis.chen, über alles gestellt, der irdische Streit mußte enden, die Waffen wurden niedergelegt und zeitweilig hörten jene ewigen Kriege auf, mit denen sich die einzelne Polis mit der anderen befehdete. Die Pessimisten verweisen heute, vor und während der siebzehnten Olympiade des Jahres 1960, darauf, daß bei aller Betonung olympischer ethischer Werte und der Fairneß die Spiele zu einem Teil der propagandistischen Auseinandersetzung zwischen Ost und West geworden seien, bei der sich die sowjetischen Staatsathleten und die amerikanischen nicht als Patrioten, sondern wie Teil nehmer am kalten Kriege gegenüberstehen, die* übrigen Nationen nur noch schmückendes Beiwerk sind und die Propagandawäffen nirgends in der Welt auch nur einen Augenblick niedergelegt- werden. '

Diese Überlegungen können höchstens davor warnen, eine allzu enge Beziehung zwischen der antiken-und der modernen Zeit zu suchen. Es ist eine gemeinsame Substanz vorhanden, das, Sichhinwegsetzen über die Verschiedenheit der Herkunft und des Geistes/die Überwindung von Hürden andersgearteter Kulturen und' Zivilisationen in vollkommener Solidarität, aber ihre Grundlagen sind nicht mehr die gleichen, wie sie es in der Antike waren. Das ist es wohl, was Graf Dalla Torre im „Osservatore Romano“, hat andeuten wollen: Zu Welcher Religion immer sich die Teilnehmer an den modernen Olympiaden bekennen wollen oder auch nicht bekennen, sie sind doch in den Bannkreis christlicher ethischer Werte gezogen. Wer die Geschichte der modernen Olympiaden verfolgt, wird jedoch einen steten Aufstieg auch des ethischen- Fundaments neben den Rekordziffern feststellen: Athen 1896 war nicht bloß wegen der primitiven Sportanlagen und-der dauernden Regengüsse, sondern auch wegen des überhitzten griechischen Nationalismus ein Fiasko; in Paris 1900 waren die Olympischen Spiele nicht viel mehr als ein Anhängsel zur „Expo“; in St. Louis 1904 nahmen nur noch zehn, überwiegend amerikanische Nationen teil und fanden in den „Anthropology days“ eine groteske Karikatur. Erst mit London 1908 und Stockholm 1912 kam der reine Sportgeist zur Geltung. Berlin 1936 bezeichnet die erste Intervention des Staates, den bewundernden und auch erschreckten Blicken bot sich ein Bild vollkommener Choreographie. Den Höhepunkt erreichte der moderne olympische Geist in Helsinki, wo sich eine ganze Nation in seinen Kult gestellt hatte. Hier war es, wo den Applaudierenden die Tränen in die Augen stiegen. Zuvor in • London .1948 waren die Athleten von. der fast völligen Indifferenz des Publikums betroffen,, die perfekte, aber,kalte Organisation konnte diesen Eindruck nicht verwischen; nachher, in Melbourne 1956, war die. internationale Zusammenarbeit nahezu abwesend. In Rom 1960 sollen die Spiele einen universalen, gefühlsmäßigen und geistigen Gipfel erklimmen.

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