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Die blutige Niederwerfung der zehnjährigen Diktatur des einstigen Generals Marcos Perez Jimenez in Venezuela hat in Italien besonderes Aufsehen erregt. Denn der einige Tage hin- und herwogende Bürgerkrieg zog plötzlich den über d|eses reichste Staatswesen Südamejikjis, mijj j seinen fast sechs Millionen Einwohnern“ gebreiteten'Schleier“ weg und“ offenbarte zweierlei“' ßas nächst den Vereinigten Staaten größte Petro-leumland der Welt, welches sich dank der Abschaffung des Staatsmonopols für die Erdölgewinnung und dank der Verpachtung besonders an private nordamerikanische Gesellschaften im vergangenen Jahrzehnt in großartiger Weise entwickelt hat, erfreut sich trotzdem keiner entsprechenden, breit verteilten Wohlhabenheit. Frappierend dagegen ist der wirtschaftliche Aufschwung, den die nach dem letzten Krieg dahin ausgewanderten Italiener genommen haben, zumeist kleine besitzlose Taglöhner, Halbpächter und Kleinbauern aus Süd- und Inselitalien, die erheblich zur agrarischen Erschließung des Hinterlandes beigetragen haben und vielfach Bodeneigner geworden sind.

Während “es vor einem Jahrzehnt nur rund 45.000 Ausländer gab, beträgt die Zahl der heute dort angesiedelten Italiener allein fast 200.000. Mit der bodenständigen Bevölkerung leben sie gleich zu gleich, ja sie sind oft nach einigen Jahren des Siedeins besser gestellt als jene. Sie sind nicht nur auf dem Lande als Bauern tätig, sondern auch in den Groß- und Mittelstädten, besonders in der 900.000 EinwohneT zählenden Hauptstadt Caracas, wo sie sich in handwerklichen Berufen, besonders als geschickte Schneider, Friseure oder als Kellner (die Vorstufe zum Gastwirt) einer wachsenden Beliebtheit erfreuen.

Bislang sprach man in Italien von diesen Auswanderern nicht viel. Denn sie, wie viele andere, die es in der neuen Heimat gut angetroffen haben, scheinen dem Mutterland dauernd verlorenzugehen. Nur in diesen letzten Tagen der blutigen Niederkämpfung eines diktatorischen Regimes, wo es in Caracas an 400 Tote und eiri. Vielfaches von Verwundeten gab und wo der Fremdenhaß zunächst und in erster Linie den massenhaft ins Land gekommenen Italienern galt, kam unter ihnen so etwas wie Solidarität auf.

Warum Fremdenhaß? — Weil angeblich die während der Herrschaft des Diktators eingewanderten Italiener, politisch ungeschult und zudem führerlos, ihm wiederholt ihre Ergebenheit durch Wort und Tat bekundet haben. Besonders zeigte sich ihre scheinbare Unterwürfigkeit im vergangenen November, als der Präsident, um die im Verborgenen blühende und wachsende Opposition der unterdrückten politischen Parteien zu ersticken, eine Volksabstimmung veranstaltete. Die Wähler hatert lediglich zu entscheiden, ob sie für die Fortdauer des korrupten und frei-

heitsfeindlichen Jimenez-Kurses waren oder nicht. Das Resultat der Abstimmung war uneinheitlich. Nicht, wie bei früheren „Volkswahlen“ begeisterte Zustimmung! Es soll Ja- und Neinstimmen, aber auch viele Stimmenthaltungen | gegeben haben. Ein klarer Ueberblick über den | Wtrhlausfall war nicht zu gewinnen. Nur soviel' wies das Ergebnis auf: Jimenez' Präsidentschaft wurde für eine weitere Amtsperiode bestätigt..

Die Reaktion der Oeffentlichkeit war eindeutig genug. Die Fortdauer einer verhaßt gewordenen Diktatur wurde durch den Austrag mit den Waffen gewaltsam verhindert. Den Siedlern aus Italien aber wurde vorgeworfen, sie hätten zur Wiederwahl des Meistveranfwort-lichen erheblich beigetragen und seien mitschuldig. Das aus klug berechneten Gründen allen Ausländern zugestandene Wahlrecht, das von diesen im Regelfall zugunsten und nicht zum Nachteil des Regimes des Gastlandes ausgeübt wird, soll die Mehrheit der wahlberechtigten Italiener an die Wahlurnen gebracht haben. Mindestens 80.000 gaben dem Diktator ihre Stimme. Auf eine solche Massenbeteiligung mußte nach allgemeiner Ansicht eine dynamische Kraft gewirkt haben, ein treu ergebener Freund des Präsidenten Jimenez — und so war es auch. In Caracas war ein ehemaliger Italiener ansässig, heute in den besten Jahren, der sich damals, ein Jüngling noch, auf der Suche nach dem Glück über den großen Teich in das Land des „schwarzen Goldes“ begeben hatte. Dieser heute führende Italo-Venezuelaner verstand es, vermöge seines überragenden Einflusses auf die italienische Kolonie, seine Landsleute im Sinne der Wiederwahl Jimenez' nachdrücklich zu beeinflussen. Sein Name ist Filippo Gagliardi.

Don Felipe, wie der in zwei Jahrzehnten zu märchenhaftem Vermögen Gelangte in Caracas genannt wird, gilt als ein selten tüchtiger Finanz- und Geschäftsmann. Früher sprach in Italien kaum jemand von ihm. Jetzt, seit wenigen Tagen, ist sein Name in aller Munde. Den „Milliardär“ nennt man ihn hier, wobei natürlich die Wertmaßstäbe der italienischen Lira von heute angelegt werden. In Venezuela hält man i ihn für den vermögendsten Mann überhaupt, was bei dem unermeßlichen Reichtum des Landes nicht wenig bedeutet.

Als Don Felipe kurz vor dem Ausbruch der in ihren Ausmaßen noch ungeahnten Revolte in Caracas einen Flugplatz nach Italien buchte und am frühen Morgen des 20. Jänner auf und davon flog — einen Tag vor dem blutigen Austrag zwischen den in den Streik getretenen Arbeitern und der mit modernen Kampfmitteln bestens ausgerüsteten „nationalen Sicherheitspolizei“, in welchen dann die dem Diktator leidgewordene Wehrmacht entscheidend eingriff —, da wußten alle Eingeweihten, daß der dramatische Wendepunkt gekommen war. Seit einigen Tagen ist also Italien um einen Milliar-

dar reicher, um einen einst als Habenichts Davongegangenen, der, indem er sich, wie es heißt, zur „grauen Eminenz“ des gestern noch unüberwindlich dünkenden Mannes emporschwang, seine „Chance“ im Sinne von Reichtum und Macht suchte und fand, nunmehr aber sein drüben beschlagnahmtes Vermögen zurück-

gelassen hat, das er, falls er zurückkehrt, nicht mehr intakt vorfinden dürfte.

Ein Milliardär, Liremilliardär? — Alle schreiben es, niemand weiß es genau. Wie sollte es auch jemand wissen? — Im Augenblick erholt er sich von seinen aufregenden Erlebnissen jenseits des Ozeans. Im Ort seiner Geburt, in Montesano, dem „gesunden Berg“' zwischen zwei Regionen — einer fruchtbaren, von Früchten des Gautenbau überquellenden: Kampanien, und einer schwer ums tägliche Brot ringenden: Lukanien —, harrt er der kommenden Dinge.

Die Kirche, die den Namen seiner Mutter trägt, „Basilica di Mamma Gagliardi“, wird in Kürze eingeweiht werden. Inzwischen ruht er sich in Montesano aus, wohlbehütet in seiner „Burg“, fern den von weither gekommenen Menschen, die er weder sehen noch sprechen will.

Die große Heimat Italien, die er einst verließ, gewährt ihrem Sohn nun Sicherheit und Schutz.

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