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Sie wollen de Gaulle „helfen“...

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Paris, im Juni Ein „Mouvement Populaire de 13 m a i“ hat zu einer Pressekonferenz eingeladen, an der es sich der Oeffentlichkeit vorstellen will. Es nimmt schon mit seinem Namen in Anspruch, den Geist des Putsches in Algerien und seiner Träger, der „Wohlfahrtsausschüsse“, auf Frankreich auszudehnen, Darum geht man mit Spannung hin, um zu erfahren, was diese „Volksbewegung vom 13. Mai“ will. Gastgeber ist das im letzten Herbst von den beiden Bauernführern Paul A n t i e r und Dorgeres zusammen mit P o u j a d e gegründete „R a s-semblement Paysan“ mit Sitz in der Rue de Lille, nahe der Kammer. Als Sprecher der „Volksbewegung“ ist der Luftwaffengeneral Lionel Chassin angekündet, der bis 1956 ein Nato-Kommando innehatte und seither im Ruhestand gelebt hat.

Der 13. Mai in Algier jedoch schreckte den ?6jährigen General aus seinem Ruhestand wieder auf. Man hörte, daß Chassin irgendwo in Frankreich einen „Maquis“ gebildet habe. Die Adresse dieses „Maquis“ war allerdings bebekannt; eine Illustrierte brachte Photos, die den General im Stahlhelm und mit MP in der Hand zeigten - bloß über den Umfang dieses Widerstandszentrums war keine Klarheit zu gewinnen. Eine Aktion gegen diesen „Maquis“ v/urde auf alle Fälle nicht mehr unternommen. In jenem Interregnum zwischen dem Putsch von Algier und der Ernennung von de Gaulle fraternisierte ja die Mehrheit der Polizei bereits mit der „nationalen Erneuerung“, und Innenminister Moch war in isolierter Mann, der keine Rapporte mehr erhielt und dessen Befehle nicht ausgeführt wurden.

Nun sitzt General Chassin also vor uns mit einem halben Dutzend anderer Mitglieder (darunter ein weiterer General) der von ihm präsidierten Volksbewegung. Wie so mancher General in Zivil sieht er gar nicht wie ein General aus. Der etwas füllige, untersetzte Mann mit dem runden Kopf, auf dem eine Hornbrille sitzt und auf den eine beginnende Glatze eine Tonsur eingezeichnet hat, besitzt unbestreitbar eine gewisse Aehnlichkeit mit Spaak. Bloß ist er direkter, südlich temperamentvoller, und er liebt die kräftige Soldatensprache: „Ich bin kein Vollidiot, obwohl ich ein General bin!“ Und er will bewußt „Volk“ sein; darum erzählt er, daß er kein Autofahrer sei, sondern mit der Metro fahre.

Das ist überhaupt sein Hauptanliegen: zu betonen, daß seine Bewegung wirklich eine Angelegenheit des Volkes sei: „Ich bin weder Links- noch Rechtsextremist noch gar. Faschist; ich weiß gar nicht, was das ist! Ich bin ein Patriot, der Frankreich liebt und nicht will, daß es krepiert.'.“ Ein Zuhörer ist allerdings nicht einverstanden. Er steht plötzlich auf, wirft seinen Stuhl nach dem General und ruft: „Faschist!“ Chassin wirft den Stuhl zurück, trifft aber nur einen älteren Herrn am Hinterkopf, der zuschaut, wie der Zwischenrufer hinausgeprügelt wird. In der gleichen Minute — die Uhren sind gut gestellt — bricht auf der Straße unten Lärm los. Zwanzig bis dreißig junge Leute, Offensichtlieh Kommunisten, skandalieren dort unten: „Der Faschismus kommt nicht durch!“ Der Pförtner des gegenüberliegenden Ministeriums schließt eilig seine Torflügel. Und in unserem Saal will der Hausherr vom Bauernverband die laden schließen lassen. Er läßt jedoch davon ab, als der General protestiert, und sagt: „Es war nur wegen meiner Scheiben...“ Nun, die schnell herbeigesauste Polizei hat die Kommunisten bald vertrieben, und Chassin kann weiter die zu bauende „neue Republik der Arbeit“ schildern.

Allerdings: aus dem, was Chassin so vehement hervorsprudelt, lassen sich die großen Linien nur mit Mühe herauslesen. Klar wird eigentlich nur, wogegen er ist: erstens gegen das „System“ mit seinen Ministern, Abgeordneten und Parteien, und zweitens gegen die Kommunisten. Die Parole gegenüber de Gaulle lautet bezeichnenderweise: „Wir haben Vertrauen in de Gaulle, aber wir müssen ihm helfen.“ In Klartext übersetzt, heißt das: de Gaulle wäre schon recht, aber er ist in schlechter Umgebung.

Dann kommt all das kunterbunt durcheinander, was in der Luft liegt: die notwendige Stabilität der Regierung; die auch von de Gaulle selbst vertretenen korporatistischen Ideen; das „Trip-tychon Gott-Familie-Vaterland“, das natürlich sn Petains Formel „Arbeit-Familie-Vaterland“ erinnert; vor allem aber auch die Dezentralisierung, die Wiederbelebung der erstickten Gemeinden und Provinzen (es wäre ein Glücksfall, wenn die gegenwärtigen Wirren als Ueber-raschungsgeschenk wirklich eine Verminderung des übertriebenen Zentralismus mit sich brächten!). Bei manchen Einzelheiten sagt Chassin freimütig: „Das will ich ablesen, damit ich keinen Blödsinn sage — ich verstehe nämlich nichts davon.“ Ueber alles aber wird ein unbestimmter Spiritualismus ergossen: „Nicht das Materielle bestimmt die Geschichte, wie die Marxisten meinen, sondern die Männer und die Ideen... Der Humanismus und das Christentum müssen über den Marxismus triumphieren. Die geistigen Kräfte (forces spirituelles) müssen in der Nation wieder den Vorrang haben!“

Doch gerade diese „force spirituelles“ scheinen einen Herrn im Publikum zu irritieren. „Kennen Sie das Buch ,Die okkulten Mächte gegen Frankreich' und wie stehen Sie dazu?“ fragt er. Niemand scheint es zu kennen. Er fragt weiter: „Wie stehen Sie zum Datum vom ... ?“ Niemand scheint zu wissen, welches weltgeschichtliche Ereignis sich an diesem Datum abgespielt hat. „Aha!“ ruft unser Frager mit wissender Betonung aus und verläßt die Versammlung, über die sein Urteil offensichtlich gefällt ist. Chassin aber fährt in der Zitierung der „forces spirituelles“ fort, und man merkt, daß er damit vor allem die „Gehirnwäsche“ meint, deren Idee seit einiger Zeit schon durch die zahllasen Gruppen der „nationalen Erneuerung“ spukt. Diese Bünde, deren erste — und nur zu oft auch einzige — Leitidee der Anti-kommunismus als Religionsersatz ist, sind ja viel tiefer von ihrem Feind geprägt als sie ahnen.

Allmählich verliert sich unser Redner mehr und mehr auf Irrpfade. Er spricht schon eine Stunde. Aus unerfindlichen Gründen kommt er auf Choderlos de Laclos, den frivolen Schriftsteller des 18. Jahrhunderts, zu sprechen. Als man ihn nach der Mitgliederzahl seiner „Volksbewegung“ fragt, macht er gleich zwei Schnitzer. Arstens gibt er zu, daß sie vorerst nur die paar Herren umfasse, die mit ihm am Tisch sitzen (außer dem zweiten General, der Präsident einer Indochina-Frontkämpfervereinigung, ein Advokat, ein poujadistischer Abgeordneter, und zwei, drei andere Herren). Und nachher entfährt ihm: „Als Hitler begann, waren es auch nur sieben.“ Aber er korrigiert gleich: „Das ist natürlich ein unglücklicher Vergleich ...“

Doch nach Chassin spricht ein Mann, der fast mehr interessiert als der „Maquis“-General. Es ist ein 29jähriger junger Mann, der uns schon beim Rausschmiß des antifaschistischen Störefrieds auffiel. Der Zwischenfall war für ihn offensichtlich ein grotesker Ulk; er haute sich auf die langen, hageren Schenkel und lachte scheppernd dazu. Ein spitz nach oben zulaufender Schädel mit kurzem Stoppelhaar darauf, darunter mächtige Kiefer mit keck gezogenem Bartkranz. Schon mit seiner bunten Kleidung im Stil von St.Germain-des-Pres sticht er von der bürgerlichen Korrektheit der Herren vom Gründungskomitee ab. Aber er ist auch sonst etwas anderes — er ist ein authentischer „Mann von Algier“: es ist Pierre Lagaillarde, Ex-Fallschirmjägerleutnant, Advokat und Führer der Studenten von Algier. Er hat am 13. Mai die Massen zum Sturm auf das Generalgouvernement mitgerissen und distanziert sich darum von einem D e 1 b e c q u e, der erst nachträglich aus Frankreich dazugestoßen ist. Und von AlaindeSerigny gar, dem ausgesprochensten Vertreter der kolonialen Finanzinteressen im „Wohlfahrtsausschuß“ in Algier, spricht er mit unverhohlenem Spott.

Mehr als diese interessanten Einblicke in die Spaltungen unter den Putschisten jenseits des Mittelmeeres ist jedoch aus Lagaillarde kaum herauszuholen: er ist nicht im Auftrag des Wohlfahrtsausschusses hier, bloß „aus persönlichem Antrieb“. Nur zu einer Betonung des „apolitischen“ Geistes seiner Freunde läßt er sich herbei und zur Feststellung, daß sie nicht nur von den Parteien, sondern auch' von den Parteiungen der „Metropole“ (Frankreichs) nichts wissen wollten. Und mit langsamer, sonorer Stimme formuliert er als Ziel: „Nous voulons une France reelle, profonde, sincere ...“ (Wir wollen ein wirkliches, tiefes, aufrichtiges Frankreich). So hatte auch General Chassin von seiner „fast fleischlichen Liebe zu Frankreich“ gesprochen. Das sind Worte, die einen weiten und unberechenbaren Spielraum haben.

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