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Siegestag einst und jetzt

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8. Mai 1945. In einer nüchternen Wehrmachtsingenieurschule im Karlshorster Vororte, einem der wenigen intaktgebliebenen Staatsgebäude des zerschossenen „Karthago- Berlin“, ratifizierten die Vertreter der Alliierten und Feldmarschall Keitel die „bedingungslose Waffenstreckung" der deutschen Wehrmacht — nicht einen Waffenstillstand, wie ihn Großadmiral Dönitz als Nachfolger Hitlers im Hamburger Radio hatte verkünden wollen. Am . Mai, 2.41 Uhr früh, war dieses Instrument in einem kleinen Schulhause in Reims, dem Hauptquartier General Eisenhowers, von General Jodl und Admiral Friedenburg unterzeichnet worden, nachdem nacheinander die verschiedenen Frontabschnitte sich ergeben hatten, zuerst am 29. April die deutschen Armeen in Itąlien, Vorarlberg, Salzburg, Steiermark und Kärnten mit der Unterzeichnung durch General von Vieting- hoff, die mit dem Akte von Caserta am 2. Mai in Kraft getreten war. — Es waren „Victory-Days" (Siegertage), deren Gedenken uns heute noch mehr erschüttert, als wir sie damals im Trubel persönlichen Erlebens erfuhren und erfassen konnten.

Der grausamste aller Kriege war beendet, Österreich nach sieben, Dänemark und Holland nach fünf Jahren Besetzung befreit. Bittere Gefühle aber erweckt der Vergleich zwischen damaliger neuer Hoffnung und heutiger neuer Furcht. Was ist aus der Verbrüderung geworden, die bei dem Bankette Marschall Zukoffs in heißen Umarmungen besiegelt wurde, als man am 8. Mai abends in Berlin den Sieg feierte? Was wurde aus der „unzerreißbaren Gemeinschaft“ der Sieger, die General Eisenhowers Siegesbotschaft vom 8. Mai verkündete, aus der „gemeinsamen Zusammenarbeit“ und „Hingabe für die Sache der menschlichen Freiheit“, aus der „Verewigung des Kameradschaftsgeistes“ der Verbündeten, die er damals namens derjenigen forderte, die dafür gestorben waren? Unser Gedächtnis ist kurz, die Reue lang. Nach drei Jahren „Friedens“, der schleppend, Schritt für Schritt, nur stückweise oder gar nicht ins Land ziehen durfte, ist diese Einigkeit zerfallen. Einmal ist es Aserbeidschan, dann Triest, bald Saloniki, Budapest oder Prag, bald die Aussperrung aus Berlin, immer sind es neue Affären, die Unruhe und Unfrieden gebären.

Und nun ist um ersten Male von einer wirklichen „Kriegserklärung“ die Rede. Palästina, das Heilige Land, in dem das Feuer seit zwölf Jahren unter der Asche glimmt, um dessen Erlöschen sich britische Mandats- macht und UN seit ihrem Bestehen mühen, soll nun, wie seit langem befürchtet, zum Ausgangspunkte einer neuen Weltkrise werden. Zwar ist orientalischen Worten nicht dieselbe Bedeutung beizumessen wie abendländischen Ausdrücken, zwar ist die „Kriegserklärung" der arabischen Staaten an den Zionismus dementiert worden, aber tatsächlich werden um Haifa und Jaffa blutige Kämpfe ausgetragen und ist die transjordanische Armee in Jericho eingerückt — übrigens eine Affäre von wenigen Kilometern und eine Besetzung arabischen, nicht jüdischen Landes. Aber die Zionisten künden an, daß sie am 15. Mai, nach Abzug der Engländer und nach Beendigung des britischen Mandats, den Judenstaat in Palästina proklamieren werden, und der Prinz- regent des Irak, Abdulillah, erwidert, daß die vereinten arabischen Armeen ihn „auslöschen“ werden.

Wie sonderbar, daß wie überall in den großen Weltkrisen unserer Zeit auch hier Österreich, das Herz Europas, ein Agens war. Ein idealistischer Wiener Journalist hat die Idee des Zionismus erschaffen, dessen Ansprüche heute diese Krise entflammt haiben. Dr. Theodor Herzl war allerdings halb geneigt, sich mit einem Judenstaate in Uganda abzufinden. Aber seine Jünger lehnen dies ebenso ab wie Madagaskar, ein Gebiet so groß wie Deutschland, in dem alle zwölf Millionen Juden der Welt Platz finden könnten, während Palästina selbst nach Ansicht des radikalen Revisionisten Dr. Jabotinski nur zwei Millionen aufnehmen könnte, dies noch dazu mit Ein schluß Transjordaniens, von dem heute wohl nicht mehr die Rede sein kann.

Denn die Lage des Zionismus hat sich seit dem zweiten Weltkriege wesentlich geändert. Die unheilvolle Balfour-Deklara- tion, die mit vorhergehenden Versprechungen an König Hussein von Mekka in Widerspruch stand und von der Außenminister Bevin im Unterhause sagte, England würde „so etwas“ nie wieder tun, sollte nach einer englischen Definition „eine sorgfältige Bestätigung der arabischen Rechte in Palästina und beschränkte Ziele eines Jewish Home" darstellen. Seither haben sich die Juden in Palästina nach arabischen Angaben von auf 35 Prozent vermehrt, ihr Landbesitz von 1 auf 30 Prozent. 1921, 1929 und 1936 bis 1938 haben die Araber sich gegen diese „Invasion“ in blutigen Pogroms zur Wehr gesetzt und wurden nur von den britisdien Truppen niedergehahen. Zahllose Kommissionen haben diese Quadratur des Kreises zu lösen, ein Kompromiß zwischen den Zweideutigkeiten der Balfour- Deklaration zu finden versucht. Der Tsi- lungsbeschluß der UN ist bereits der vierte seiner Art, aber die Urheber der früheren, die Peal-Kommission wie die Woodhead- Kommission, haben schon bei der Konzeption seine Undurchführbarkeit aus politischen, technisdhen und lokalen Gründen festgestellt. Die USA-Politik hatte sich stark dafür eingesetzt, und die Vereinigung der amerikanischen und der Sowjetstimmen hiebei war ei e große Überraschung. Denn die UdSSR war bis dahin eine Hoffnung der Araber gewesen. Sie hatte bis dahin der arabischen Sache Sympathien bezeigt, die Auswanderung nach Palästina behindert und selbst einen Judenstaat, das autonome Gebiet Birobidschan mit 3 .000 Quadratkilometer und — 61.000 Einwohnern, gegründet, allerdings ohne großen Erfolg.

Solche plötzliche Frontwechsel sind in der Palästinafrage oft erfolgt. So wie die Juden 1936 von den Engländern gegen die Araber geschützt worden waren und 1946 gegen dieselben englischen Soldaten jüdische Terrorbanden Greueltaten verübten, so wie die Araber 1929 sich in erster Linie gegen britisches Militär wandten und seit 1946 mit diesem oft gemeinsam reagierten, hat auch das Eintreten Rußlands in Lake Success für die Teilung die internationale Lage umgestülpt. Denn auch die USA haben nun eine Schwenkung vollzogen und König Abdullah von Transjordanien, einst die Hoffnung der Zionisten, hat sich zum Anführer der arabischen Truppen gewandelt und fordert die Juden auf, ihn als König von Palästina anzuerkennen.

Es wäre naiv, anzunehmen, daß für die USA-Politik Ölinteressen ausschlaggebend gewesen wären, die schon vorher wirksam waren und die tatsächlich nicht ernstlich gefährdet sind, da die Kairo-Beschlüsse der Arabischen Liga nur die Erteilung neuer Konzessionen an ihre Zustimmung binden. War schon der Vorschlag einer englischamerikanischen Tijjsteeship daran gescheitert, daß sie nur neue Konflikte gebracht hätte, so würde nun eine gewaltsame Teilung, deren Notwendigkeit im November so wenig geglaubt wurde, wie die verhängnisvollen Wirkungen der Balfour-Deklara- tion vorausgesehen worden waren, im Nahen Osten eine Konstellation schaffen,

die zu verhindern die Westmächte bisher in Athen und Ankara die größten Opfer gebracht haben. Der Kommunismus hatte seit dem Teilungsbeschluß in Jüdisch-Palästina Erfolge, dem bereits soziale Strömungen daselbst vorgearbeitet hatten, und amerikanische Blätter verzeichneten mit Mißtrauen eine Äußerung des designierten Außenministers des Judenstaates, Dr. Mosche Sheptok, des Kopfes der Haganah, die für eine Vertiefung der Freundschaft zu Rußland eintrat. Und bei einer- internationalen Aktion würde sich dieses von einer Teilnahme daran nicht ausschließen lassen. Die Wirkung davon auf die latenten kommunistischen Kräfte im Nahen Osten wären leicht vorzustellen und das Bestehen Rußlands auf dem Teilungsbeschlusse klärt diese durchsichtige Sachlage vollends auf.

Denn es geht hier um mehr als um Palästina. Durch alle Staaten des Nahen Ostens geht seit Lake Success eine heftige antikommunistische Welle und zugleich hat die einst so aussichtsreiche Sache des Zionismus sich mit der Gründung der Arabischen Liga wesentlich verschlechtert. Diese ist 1941 — man sagt mit Beihilfe des britischen Brigadegenerals Glubb Pascha — geschaffen worden und hat sich nach dem Kriege trotz aller inneren Gegensätze zu einem politischen Machtfaktor im Orient entwickelt, der vorher nicht existiert hatte, der auf die Sympathien auch der Moslim von Fez bis Kalkutta rechnet und mit dem die großen Partner der Weltpolitik sich zu verhalten wünschen.

Die Sache der Juden ist wahrhaft tragisch zu nennen. Jedermann wird verstehen und zustimmen, daß sie nach den furchtbaren Leiden der letzten Jahre eine eigene sichere Heimat wünschen. Sie haben mit Hilfe der Weltsolidarität ihrer Glaubensbrüder, die Hunderte von Millionen Pfunde gespendet haben, in Palästina Kulturland in erstaunlichem Maße und bewundernswerter Entwicklung geschaffen und berufen sich daher wirkungsvoll auf das Recht des Kulturbringers. Leidenschaftlich bestritten aber sind ihre historischen Ansprüche auf Palästina. Die Araber haben einerseits das Besitzrecht seit 1300 Jahren für sich, andererseits würde dieses Prinzip unübersehbare Präzedenzen schaffen, deren Erwähnung schon eine Gefahr für den Frieden, deren Anerkennung einen politischen Umsturz in der Welt und besonders im vieldurchwanderten Europa heraufbeschwören könnte.

Jedoch hat die zionistische Id e durch ihre Erfolge in Palästina einen Auftrieb erfahren, dessen Dynamik über die Forderung nach Wiedergutmachung hinaus Energien ins Leben gerufen hat, die im jüdischen Volke in der ganzen Welt sich regen und die Stimmen der skeptischen Assimilationsjuden übertönen. Aber auch das arabische Nationalgefühl hat zur gleichen Zeit im Bewußtsein einer anderen Weltsolidarität zu tiefe Wurzeln geschlagen, aJs daß es freiwillig arabischen Boden aufzugeben bereit wäre. Radikalisierung beiderseits ist das Charakteristikum der Entwicklung.

Ein versöhnliche Lösung, die palästinensische Konföderation, wurde im November sowohl von Arabern wie von Juden abgelehnt. Ihr Vertreter, der Rektor der hebräischen Universität am ölberg, Dr. Magnes, tind die jüdische Partei der Hatomir Hazai, idie ebenfalls eine binationale Lösung empfiehlt, haben versucht, diesen Ölzweig zu reichen, und in letzthin abgehaltenen ge heimen Besprechungen in London soll darüber viel gesprochen worden sein. Wird dies trotz allem die „endgültige Lösung“ werden, bis zu deren Gelingen nun die UN- Treuhänderschaft eingesetzt werden soll?

Die Frage, ob das in der Balfour-Dekk- ration versprochene Jewish Home nur ein kulturelle Heimstätte oder ein territorialer Besitz sein sollte, ist heute weit überholt. Nicht mehr um juristische Interpretation geht es heute, sondern um eine Machtfrage. Und um das Ansehen der UN selbst. Sie hat, wie Generalsekretär Trygve Lie erklärte, alle Verantwortung für die Zeit nach dem Abzug der Engländer in Palästina über nommen, und 3er Sicherheitsrat muß nun entweder den Teilungsbeschluß gewalt m durchführen oder das Provisorium einer Treuhänderschaft der UN oktroyieren — ohne Rücksidit auf die Folgen der Uneinigkeit der Großmächte und auf den verzweifelten Widerstand der Araber. Folgen, deren düsteres Bild heute die Welt überschattet.

Drei Jahre nach dem Sieigestag von 1945 haben uns den Frieden nicht gebracht, sondern nur bittere Vergleiche mit unseren damaligen hohen Hoffnungen. Wessen wird der nächste „V-Day“ sein? Hoffentlich keiner eines Sieges, sondern einer des Friedens.

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