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Signal zum Angriff

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Vorderhand sieht es noch nicht so aus. In der soeben erschienenen internationalen Edition von „Praxis“ legt die Redaktion eine „Rechtfertigung“ vor, die nicht nur kein Wort zurücknimmt, sondern das Recht auf Kritik und Diskussion als „Wechselelement des schöpferischen Marxismus“ noch einmal nachdrücklich für sich in Anspruch nimmt. „Man hat uns immer wieder vorgeworfen“, schreibt der zweite Chefredakteur Gajo Petrovic in seiner Gegendarstellung, „daß wir unsere Waffen vor allem gegen den Dogmatismus und den Stalinismus wenden, Erscheinungen, die es in unserer Gesellschaft angeblich nicht mehr gibt, es sei denn als Gespenster, die von uns

„Praxis“-Leute der Mut verlassen. Nachdem . deren „Revisionismus“ auch im kroatischen Sabar (Parlament) heftig angegriffen worden war, entzogen die Herausgeber der Redaktion schließlich provisorisch das Vertrauen. Bis zur nächsten Generalversammlung der philosophischen Gesellschaft im Dezember, heißt es in einer Erklärung des Direktoriums, ruht das Mandat der „ehemaligen Redaktion“; sie ist nicht mehr berechtigt, im Namen der Herausgeber zu sprechen. Die Erklärung ist von dem Präsidenten der Gesellschaft und ehemaligen Praxis-Redakteur Danilo Pejovic unterzeichnet. Ist damit eine der wichtigsten Stimmen für die geistige Freiheit im Sozialismus zum Verstummen gebracht? immer wieder heraufbeschworen werden. Die Ereignisse des letzten Monats haben uns jedoch gezeigt, daß jene Gespenster, gegen die wir kämpfen, immer noch recht lebendig sind und daß die Orientierung, die sich .Praxis' vom Anfang an angelegen sein ließ, gerechtfertigt ist“. Die Redakteure sind jedenfalls entschlossen, ihr Blatt trotz des Mißtrauensvotums von oben weiter herauszubringen und wissen sich dabei mit ihren Mitarbeitern und Lesern einig.

Unmittelbarer Anlaß des Generalangriffs auf die Zeitschrift scheint der Entschluß der Redaktion gewesen zu sein, ihr „beratendes Komitee“ um eine ganze Reihe ausländischer, nichtkommunistischer und zum Teil sogar nichtmarxistischer Gelehrter zu erweitern. Im Redaktionsrat von „Praxis“ sitzen heute unter anderem die Amerikaner Erich Fromm, Herbert Marcuse und David Riesman, die Westdeutschen Jürgen Habermas, Egon Fink und der DDR-flüohtige Ernst Bloch und der Österreicher Erich Heintel. „Wir wollen nicht Marx konservieren“, begründeten die „Praxis“-Leute ihre Entscheidung, „sondern ein lebendiges revolutionäres Denken entwickeln, das von Marx inspiriert ist. Intelligente (nichtmarxistische) Kritiker können mehr zum Verständnis des Wesens von Marx' Ideen beitragen als bornierte und dogmatische Adepten“. Die Folge solcher Unorthodoxie waren heftige Angriffe, Finanzierungsschwierigkeiten und schließlich der Entzug des Vertrauens für die Redaktion.

Stalins Gespenster sind noch lebendig. Aber es gehört mindestens ebensosehr zum Bild der jugoslawischen Wirklichkeit, daß sie durchaus nicht mehr allmächtig sind. Die Geschichte von „Praxis“ — einer Zeitschrift, die sich an Kritiklust und Meinungsfreiheit mit jedem westlichen Intellektuellenblatt messen kann — ist ein Beweis dafür.

„Praxis“ wurde im Herbst 1964 gegründet, um der Auseinandersetzung mit dem Stalinismus eine Plättform zu schaffen. Heute verkauft das anspruchsvolle kroatische Philosophenblatt 2600 Exemplare — eine Auflage, die nur durch Papiermangel limitiert ist — und bringt viermal im Jahr eine internationale Edition heraus. Die Subventionen aus öffentlichen Fonds für die Förderung der Wissenschaft müssen von mal au mal mühsam erkämpft werden und oft genug reichen sie nicht aus. Dann kann es geschehen, daß die Autoren auf ihre Honorare verzichten, um das Erscheinen der Nummer zu garantieren. Die Leser blieben auch nicht aus, als die geldknappe Zeitschrift ihren Verkaufspreis zuerst von 160 auf 250 und im Vorjahr gar auf 500 Dinar erhöhen mußte. „Unsere Leser“, schreibt „Praxis“, „haben unsere Gründe offenbar verstanden; die Zahl der Abonnenten wächst ständig.“ Dafür konnten sie sich in der Universitätszeitschrift nicht nur über Fragen des Sozialismus informieren, sondern auch über die — in vielen Oststaaten immer noch verpönte — Psychoanalyse. „Wir haben nicht gezögert“, erklärt Chefredakteur Petrovic, „Arbeiten zu veröffentlichen, die, mit dem Maß dogmatischer Unfehlbarkeit gemessen, wie gefährliche Häresien aussehen, wie revisionistische Unternehmungen oder zweifelhafte Irrtümer. Wir haben Autoren gedruckt, die sich mit den gleichen Problemen beschäftigen wie wir, einerlei, ob sie außerhalb des Marxismus stehen, teilweise seine Auffassungen teilen oder seine entschiedenen Gegner sind“. Die Redaktion („wir sind nicht die Söhne, sondern die Väter unseres Unternehmens“) Ist nicht gewillt, sich von ihren Herausgebern einfach absetzen zu lassen und erklärt, sie werde ihre Linie unbeirrbar weiter verfolgen.

Das letzte Wort hat die Generalversammlung der philosophischen Gesellschaft. Gegner des kalten Krieges in beiden Teilen der Welt werden gespannt darauf sein, ob die Zagreber Revisionisten danach weiter arbeiten können oder schweigen müssen.

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