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Silberstreif an der Etsch?

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Am 18. d. begann die lange fällige Aussprache der Südtiroler Parlamentarier mit dem Unterstaatssekretär Scalfaro über das Memorandum, das seinerzeit dem Minis terpräsidenten S c e 1 b a überreicht worden war. Als vordringliches Problem wurde die Frage der Fürsorge für die Kriegsopfer der ehemaligen Deutschen Wehrmacht bezeichnet. Die Aussprache wird fortgesetzt.

Durch die Lösung der Triester Frage ist auch das Problem Südtirol wieder in den Vordergrund gerückt. Triest ist ohne Volksabstimmung zu Italien gekommen, in Südtirol aber wollen sich die Verhältnisse nur zögernd zum Besseren wenden.

Um so begrüßenswerter ist es, daß Ministerpräsident S c e 1 b a in seiner Parlamentsrede vom 4. August 1954 die Vorwürfe der neofaschistischen Partei, die geradezu von einem Verrat der italienischen Regierung an der Italianität Südtirols sprach, klar zurückwies: „Wir alle wissen, zu welchen Ergebnissen eine von der unseren abweichende Politik geführt hat. Wir haben ein Recht, zu verlangen, daß die anderssprachigen Staatsbürger die Gesetze der Republik mit der gleichen Loyalität und Treue befolgen, wie wir dies von allen Staatsbürgern verlangen. Wir können uns aber nicht der Pflicht entziehen, den völkischen Charakter jener Region zu respektieren und mit allen Mitteln die herzlichste Zusammenarbeit zwischen den dortigen Volksgruppen selbst zu fördern.“

Es ist zum ersten Male seit dem Abkommen Gruber-De Gasperi, daß ein italienischer Ministerpräsident so klar und eindeutig zugunsten der Südtiroler Volksgruppe vor dem italienischen Parlament gesprochen hat.. -

Wenn es auch in der Praxis noch ein weiter Weg sein dürfte, bis den Südtirolern Gerechtigkeit wird, so scheint es in Rom doch aufzudämmern, daß Südtirol keine rein italienische, sondern eine internationale Angelegenheit ist. Auch der Präsident des Regionalrates, Doktor Odorizzi in Trient, hat entsprechend der Haltung des Ministerpräsidenten den Südtirolern gegenüber neuerdings Entgegenkommen gezeigt. Bei einer der letzten Sitzungen des Regionalrates wurden die Gesetze über Feuerwehrwesen und Krankenkassenordnung wieder behandelt, die von Rom zurückverwiesen worden waren, da sie die Aufnahme von Südtirolern in die leitenden Organe entsprechend dem Bevölkerungsverhältnisse vorsahen. Beide Artikel waren auf Grund der Bestimmungen des Pariser Abkommens formuliert und sind trotzdem in Rom abgewiesen worden; wahrscheinlich, weil der damalige Leiter des Grenzzonenamtes, Staatsrat Innocenti, seinen Einfluß dagegen geltend machte. Dabei sei daran erinnert, daß in der Berufsfeuerwehr der Stadt Bozen 51 Italiener und nur 9 Südtiroler angestellt sind, obwohl das Verhältnis zwischen italienischen und deutschen Einwohnern dort noch heute 30:70 beträgt.

Einen sichtbaren Fortschritt in der Haltung der italienischen Regierung im Sinne des Pariser Abkommens bildet auch die Auflösung des Grenzzonenamtes. Mit 30. Juni 1954 wurde das Grenzzonenamt beim italienischen Ministerpräsidenten aufgelöst, seine Aufgaben übernahmen die einzelnen Fachministerien. Das Grenzzonenamt wurde 1947 durch Ministerpräsident De Gasperi errichtet und entwickelte sich im Laufe der Zeit zum Kopfe der antideutschen Südtiroler Autonomiebestrebungen. Zahlreiche positive Entscheidungen der Fachministerien, die sich von rein sachlichen Standpunkten hatten leiten lassen, wurden durch das Grenzzonenamt aufgehoben. Die Auflösung dieses Amtes gehörte zu den dringendsten Wünschen der Südtiroler, Trientiner und Aostaner. Sie scheint eine persönliche Entscheidung des jetzigen Ministerpräsidenten Scelba gewesen zu sein. Von nationalistischen italienischen Kreisen wurde alles unternommen, um ihren Widerruf zu erreichen. Tatsächlich erschien auch Mitte Juli eine amtliche Meldung, daß das Grenzzonenamt weiterverbleibe und lediglich etwas von seiner bisherigen Selbständigkeit einbüßen dürfte. Immerhin wurde der Leiter des Amtes, Innocenti, in eine andere Abteilung des Staatsrates versetzt und auf diese Weise einer der größten Feinde des Deutschtums in Südtirol ausgeschaltet.

Ein weiterhin ungelöstes Problem bildet die Rentenfrage der Südtiroler Kriegsversehrten, die bis heute weder eine Pension noch eine staatliche Unterstützung genießen. Am 20. Juni 1954 fand in Bozen ein Schweigemarsch von 5000 Südtiroler Kriegsversehrten statt, der die italienische Regierung an das seit Jahren unerfüllte Versprechen, ihnen Renten zu zahlen, erinnern sollte. Die meisten der Südtiroler Kriegsversehrten, unter ihnen 12 Vollblinde, 300 Amputierte und 12.000 Kriegsversehrte, Kriegerwitwen und -waisen, befinden sich in bitterster Not. Der Versuch der Südtiroler Landesregierung, ihnen vorschußweise eine Unterstützung zu verschaffen, wurde vom italienischen Finanzministerium klar ab-gelehnt und der diesbezügliche Posten im Budget gestrichen. Gnadenhalber ist es durch Intervention des italienischen Invalidenverbandes gelungen, den Kriegsversehrten ärztliche Betreuung und Prothesen zukommen zu lassen, was nach Ansicht der italienischen Presse für die Deutschen Südtirols vollauf genüge. Der Entwurf über die Auszahlung von Renten liegt seit vielen Jahren unerledigt bei den parlamentarischen Körperschaften, mit dem Vorwand, daß für die Behandlung dieses Entwurfes keine Zeit sei. Der Hinweis der Südtiroler Abgeordneten, daß bereits ein Gesetz zur Entschädigung der bei den Triester Unruhen vom Herbst 1953 verletzten Italiener auf der Tagesordnung des italienischen. Parlaments steht, während das Südtiroler Rentengesetz seit 1951 stets vertagt wird, wurde von der italienischen Presse Südtirols mit der zynischen Bemerkung abgetan, daß es sich bei diesem Vorschlag um Italiener handelt, die als „würdigere Objekte der Hilfsbereitschaft“ ein Entgegenkommen des Parlaments verdienen.

Obwohl dieser Schweigemarsch beim italienischen Regierungsvizekommissär rechtzeitig angemeldet wurde und in voller Ordnung verlief, wurden dabei über 50 Verhaftungen vorgenommen, darunter auch von ausländischen Feriengästen. Natürlich war der italienische Regierungskommissär nicht anzutreffen, und zwar, weil er — fischen gegangen war. Die italienische Lokalpresse Südtirols fand für den Schweigemarsch lediglich Worte des Spottes und nannte ihn überflüssig, da das Rentengesetz ja knapp vor der Verabschiedung stehe! In Wahrheit wurde bereits im Herbst 1951 vom Unterstaatssekretär für Kriegsversehrte die bindende Zusage erteilt, daß' das Rentengesetz innerhalb dreier Monate erledigt werde. Nun sind es bereits drei Jahre seither — und noch heute warten die Südtiroler Kriegsversehrten.

Eine weitere unentschiedene Frage ist die Einstellung von Rückoptanten. Im Herbst 1953 beabsichtigten die Etsch- Werke, 22 Rückoptanten, die 1939 zwangsweise aus ihrem Dienst entlassen worden waren, auf Grund eines Gesetzes der Regierung (Wiedereinstellung der Südtiroler Optanten in den öffentlichen Dienst, Gesetz vom 20. Juli 19521, wiedereinzustellen. Obwohl rund 220 Angestellte der Etsch-Werke, durchweg Italiener, durch diese Neueinstellung in ihrem Fortkommen keineswegs berührt worden wären, drohten sie mit Streik, wenn auch nur e i n Deutscher auf- genommen würde. Und zwar waren an diesem Streikbeschluß nicht nur die Neofaschisten, sondern in gleicher Weise auch die Kommunisten und der Gewerkschaftsbund beteiligt. Nach monatelangen Verhandlungen zwischen Etsch-Werken und Arbeitnehmern scheint sich nun doch eine Einigung in dieser Frage anzubahnen, und zwar in dem Sinne, daß sich die Etsch-Werke verpflichten, die Zahl der einzustellenden Rückoptanten auf 21 überhaupt zu beschränken und dann keine Deutschen mehr einzustellen. Von diesen 21 Deutschen sollen lediglich 10 noch im Jahre 1954 und die übrigen erst ab 1955 eingestellt werden. Dabei soll die Einrechnung von Dienstzeiten für diese 21 Rückoptanten, von denen aber noch nicht einmal die ersten zehn aufgenommen sind, vollkommen wegfallen, und als Gegenleistung haben die Streikdrohungen für die Italiener bereits erreicht, daß alle italienischen Angestellten in das definitive Arbeitsverhältnis der Italiener übernommen werden. Drastischer als alles andere beleuchtet dieser Vorfall die tatsächlichen Verhältnisse.

In dieser Stunde ist es dem gegenwärtigen Ministerpräsidenten Scelba hoch anzurechnen, daß er von den Italianisierungsbestrebungen abrücken will und zumindest den guten Willen hat, das Abkommen Gruber—De Ga- speri loyaler als seine Vorgänger zu handhaben. In dieser Richtung darf auf die eingangs erwähnten neuen Verhandlungen mit Scalfaro einige Hoffnung gesetzt werden.

Feststeht, daß das Problem Südtirol keine rein italienische Angelegenheit ist, sondern daß das Abkommen Gruber—De Gasperi einen Teil des italienischen Friedensvertrages bildet, der von England und Amerika garantiert ist. Nicht nur Tiroler Kreise sind um die korrekte Durchführung des Abkommens bemüht, das bis heute vielfach nur auf dem Papier steht; das ganze Problem Südtirol muß vielmehr von internationaler Warte aus gesehen werden.

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