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Silberstreifen fUr Europa

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In der letzten Zeit haben sich einige neue Ausblicke auf die europäische Einigung eröffnet. In Paris hat sich offenbar ein gewisser Wandel der Ansichten vollzogen, der in Bonn begrüßt wird. Beim kürzlichen Treffen Bundeskanzler Kiesingers mit Staatspräsident de Gaulle wurde dies sichtbar. Mit dem deutschen Außenminister der zwanziger Jahre, Gustav Stresemann, ist man versucht zu sagen, am europäischen Horizont zeige sich ein Silberstreifen.

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In der letzten Zeit haben sich einige neue Ausblicke auf die europäische Einigung eröffnet. In Paris hat sich offenbar ein gewisser Wandel der Ansichten vollzogen, der in Bonn begrüßt wird. Beim kürzlichen Treffen Bundeskanzler Kiesingers mit Staatspräsident de Gaulle wurde dies sichtbar. Mit dem deutschen Außenminister der zwanziger Jahre, Gustav Stresemann, ist man versucht zu sagen, am europäischen Horizont zeige sich ein Silberstreifen.

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Dieser Silberstreifen versinnbildlicht eine gewisse Bereitschaft zu einem Gespräch mit anderen europäischen Staaten, die nicht der EWG angehören, über eine enge Zusammenarbeit auf den Gebieten der Politik, der Wirtschaft und der Sicherheit. De Gaulle ist von seinem Grundgedanken — wie dies nicht anders zu erwarten war — nicht abgegangen. Aber auf diesen Grundgedanken sind neue Überlegungen aufgestockt. Sie entsprechen vollinhaltlich keineswegs den Vorstellungen, die man sich in Bonn von einem geeinten Europa gemacht hat und noch macht. Aber sie verraten eine gewisse Auflockerung in den Überlegungen des Generals. In Bonn werden sie daher mit großer Sorgfalt geprüft werden.

De Gaulle beharrt nach wie vor darauf, daß England in die EWG nicht aufgenommen wird. Man muß damit rechnen, daß sich hieran in den nächsten Jahren nichts ändert Bonn hat sich damit abgefunden. Es geht deswegen nicht auf Kollisionskurs gegen Frankreich. Die Bundesregierung wird wohl weiterhin betonen, daß England in die EWG aufgenommen werden müßte. Aber sie weiß, daß dieser Ruf, was Paris betrifft, ins Leere geht und lediglich zur Mahnung dienen kann, daß eigentlich in dieser Richtung etwas geschehen müßte.

Auch in die Westeuropäische Union wird Frankreich vorerst nicht zurückkehren. Jedoch kann sich dieser Entschluß nach einiger Zeit wieder ändern. Auf jeden Fall hat de Gaulle ausdrücklich erklärt, daß er keine Konsequenzen zieht, wenn die Arbeit it der WEU fortgesetzt wird und die Bundesrepublik sich uneingeschränkt daran beteiligt. Schließlich hat de Gaulle jetzt einen Gedanken klar ausgesprochen, den Bundeskanzler Kiesinger mit Genugtuung angehört hat. Auch der General ist dafür, daß die USA in Europa präsent bleiben und daß die NATO erhalten bleibt.

Auf dieser Basis bauen sich die neuen Gedanken de Gaulles auf, die zur Zeit in Bonn geprüft werden. Der General will, um es zu wiederholen, die EWG nicht verändert sehen. Seine Haupterwägung bleibt, der Beitritt Englands und erst recht weiterer Staaten würde die Mehrheitsverhältnisse entscheidend verändern. Diese Überlegung wird auch auf deutscher Seite nicht von der Hand gewiesen. Deshalb de Gaulles Vorschlag, mit den Staaten, die nicht der EWG angehören, in Fühlungnahme einzutreten, wie weit sich eine engere Zusammenarbeit auf den Gebieten der Wirtschaft, der Politik und der Sicherheit herstellen läßt. Für die Wirtschaft ließe sich dabei an die Form einer Freihandelszone denken. Im ganzen würde die Zusammenarbeit am Ende aber natürlich viel umfassender sein und über die EWG hinausgehen.

Sicher hat der General seine Gedan-i ken noch nicht zu Ende gesponnen. Auch in Bonn ist man der Ansicht, daß über die endgültige Zielsetzung und erst recht über die Einzelheiten noch viel nachgedacht und geredet werden muß. Auch ist man sich in Bonn im klaren darüber, wie schwierig die Fühlungnahmen mit den zahlreichen Ländern, die in Betracht kommen, sein werden. Es wird ein langer und mühsamer Weg sein, ehe man ans Ziel kommt. Möglicherweise ist das Endziel überhaupt nicht erreichbar, weil die Vielfalt der Interessen der einzelnen europäischen Länder dies nicht gestattet. Man denke nur an die Hypotheken etwa der schweizerischen und schwedischen Politik, die sich aus der Neu-, tralitätspoliitik dieser Länder ergeben. Gleichwohl ist man in Bonn grundsätzlich bereit, gemeinsiam mit Frankreich zu prüfen, was sich tun läßt. Man hat sich in Bonn die Öffnung nach Europa gewiß anders vorgestellt. Aber Bonn ist bereit, auch auf dem Wege zu dem Silberstreifen de Gaulles am Horizont mitzugehen, weil die Einigung des freien Europas ein unverrückbares Ziel der deutschen Politik ist.

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