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SIND WIR GLAUBWÜRDIG?

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Wenn das Kalbfleisch teurer wird und die Eier wieder im Preis steigen, wenn in den Warenhäusern langohrige Hasen herumhopsen, wenn in den Zeitungen steht, daß eine Verkehrskatastrophe zu befürchten sei, dann weiß der Zeitgenosse, daß Ostern vor der Tür steht. Für tiefere Bedeutung sorgen verlegene Leitartikel, die vom Erwachen der Natur, vom Siegeszug des Frühlings sprechen — „Vom Eise befreit sind Strom und Bäche vom ewigen Vergehen und

Werden in der großen und kleinen Welt, von Tod und Auferstehung, natürlich nur ganz symbolisch, so. wohltemperiert, daß es niemandem zum Ärgernis wird. Natürlich weiß der Zeitgenosse auch, daß Ostern irgend etwas mit der Kirche zu tun hat, schließlich ist man ja auch einmal in die Schule gegangen, und die Kinder besuchen ja auch den Religionsunterricht, denn „eine Religion muß der Mensch haben“. Und vor wenigen Jahren, da hatte man ja auch noch mitgemacht, nun ja, man war halt am Straßenrand gestanden am Karsamstag bei der Auferstehungsprozession, im neuen Frühjahrsmantel mit den neuen Handschuhen, und den Hut hat man natürlich abgenommen, wenn der Himmel vorüberzog, man weiß ja schließlich, was sich gehört. Es ist die Schuld der Kirche, daß man diese „religiöse Übung“ nicht mehr mitmachen konnte, seitdem sie die Auferstehungsprozession in die Nacht verlegt hat.. . Und in der Nacht, nach dem Rollschinken und den zwei Flaschen hochgradigen Osterbiers noch in die Kirche gehen? Nein, das sind so Überspanntheiten — vielleicht geht sich's aus, daß man am Ostersonntag einen Sprung in die Kirche macht, denn natürlich gehört das schon irgendwie auch zu Ostern.

Und für diese Menschen, für uns, für dieses Geschlecht, ist Gott Mensch geworden, hat in historischer Zeit und in historischer Landschaft gepredigt, Wunder gewirkt, wurde in einem historischen Prozeß angeklagt, verurteilt und wie ein Srraßenräuber an den Schandpfahl genagelt, ist gestorben und wieder auferstanden, um diese Menschen, uns, dieses Geschlecht zu erlösen und zum Heil zu führen.

Braucht der Mensch eine Religion, braucht' dieser Mensch diese Religion? Was haben wir aus Ostern gemacht, was haben die Christen aus dem Christentum gemacht? Ein rhetorischer Vorwurf? Sollen wir klagen über die böse Welt und die bösen Menschen? Wenn wir zu klagen haben, dann nur über Uns, wenn wir anzuklagen haben, dann nur uns selbst. Je weniger wir sind, desto schwerer liegt die Veranrwortung bei uns, um so drückender auf uns, auf uns allein. Wenn wir vor Gericht stehen, wird Gott uns nicht fragen nach unseren Programmen und Resolutionen, nach unseren Forderungen und Ansprüchen, nach unseren Positionen und Bastionen, sondern er wird uns fragen, was wir getan haben, damit auch die anderen glauben können. Denn unser Glaube ist nicht unser Verdienst, das Nichtglaubenkönnen der anderen aber unsere Schuld. Damit unser Glaube wieder glaubwürdig wird, müssen wir Christen selbst wieder glaubwürdig werden. Glaubwürdig in unserem Leben und in unserem Handeln, in unserem Wollen und in unseren Zielen. Diese Glaubwürdigkeit haben wir heute auf weite Strecken verloren. Wie sollen die Menschen, unsere Nachbarn, die Nächsten und Fernsten, einem Christentum glauben, das die Christen selbst so unglaubwürdig vertreten? So voll Mißtrauen, das nach Sicherungen verlangt, so voll Ängstlichkeit, die sich hinter Anmaßung versteckt.

Was müssen wir tun, um wieder glaubwürdig zu werden? Wir müssen Vertrauen geben, statt Vertrauen zu fordern. Wir sollten überhaupt weniger fordern, vom Staat, von der Gesellschaft, von den Gemeinschaften. Wir sind nicht da, um zu fordern, sondern um zu geben. Die anderen sind nicht für uns, sondern wir für die anderen da, nicht sie müssen zu uns, wir müssen zu ihnen gehen. Denn wir haben nicht den Auftrag, eine Clique zu sein, die sich selbstgerecht abschließt, sondern den Auftrag, hinauszugehen und zu allen Menschen zu sprechen in ihrer Sprache, allen Brüdern helfender Bruder zu sein, damit sie uns vertrauen und uns glauben und an unserem Glauben an den, dessen Tod und Auferstehung, dessen Erlösungswerk für alle Menschen wir bekennen.

In diesen Wochen wird in Österreich der fünfzehnte Jahrestag der Befreiung des Landes und der fünfte Jahrestag des Abschlusses des Staatsvertrages feierlich begangen. Es wird Proklamationen und Kundgebungen geben, Festreden und Festartikel, wir werden uns bescheinigen, wie tüchtig wir sind, und zur Bekräftigung auf die eigene Schulter schlagen; wir werden uns versichern, daß die Zeiten nie wiederkommen werden, weil wir ja aus der Vergangenheit gelernt hätten, und wenn wir Glück haben, dann werden bei der Befreiungsparade die Offiziere des österreichischen Bundesheeres nicht mit den Orden der Deutschen Wehrmacht ausrücken. Und die Musikkapelle des Gardebataillons wird den Marsch „Österreich wird ewig stehn...“ spielen, und abends werden wir beim Heurigen sitzen und singen: „ .. denn der Weana geht net unter.“ Die Türken sind abgezogen, die Nazi und die Russen! Was kann uns schon passieren! Und wir werden es glauben, für ein paar Augenblicke bloß, in einem kurzen Rausch, dann aber beim Erwachen wird uns frösteln, wenn wir uns und dieses Österreich ansehen. Glaubt uns das noch jemand, das, was wir uns selbst und den anderen einzureden versuchen? Glauben wir selbst noch an den schönen Schein von der österreichischen Kultur und der österreichischen Kunst, von der geistigen Großmacht, von der völkerverbindenden Mission Österreichs? Betäuben wir uns nicht manchmal nur mit kultureller Betriebsamkeit, mit schöngeistigem Getue, damit wir hinter diesem Paravent nicht die Ratten rascheln hören und den Holzwurm, der im Gebälk klopft?

Ist dieses Österreich noch glaubwürdig, sind wir Österreicher noch glaubwürdig? In den schwersten Zeiten, als selbst der Name unseres Landes ausgelöscht war, haben wir Kraft geschöpft aus dem Glauben an die irrationale Existenz dieses Landes, an den Glauben, daß dieses Österreich von niemandem endgültig zerstört werden könne, weil eben Idee und Bestand dieses Landes nicht an die Voraussetzungen irdischer Logik geknüpft sind. An dieses Österreich konnte man nur glauben! Österreich lebt nicht von Produktionsziffern, nicht vom Außenhandel und nicht vom Fremdenverkehr, nicht von EWG oder EFTA, nicht von Staatsverträgen, von Bündnissen oder von der Neutralität. Dieses Land lebt einzig und allein davon, daß wir an dieses Land glauben! Daher die bange Frage, die uns manchmal beschleicht: Ist dieses Österreich noch glaubwürdig, ist es uns und unseren Kindern noch glaubwürdig?

Um die Glaubwürdigkeit geht es, um die Glaubwürdigkeit des Christentums und die Glaubwürdigkeit Österreichs — um unsere Glaubwürdigkeit als Christen und Österreicher.

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