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Sklavenschicksale da und dort

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Die Stellung des Indianers war in Hispano-Amerika an sich grundlegend verschieden von der des Negers. Der Indianer war, zumindest dem Gesetz nach, dem Weißen gleichgestellt, wenn er auch sehr häufig in der Praxis ausgebeutet wurde und die zu seinem Schutz erdachten Maßnahmen, wie beispielsweise die Encomiendas, sich in ihr Gegenteil verkehrten. Bei der Entwicklung der Gesellschaftsstruktur der Kolonialzeit ergab sich eine hierarchische Stufenordnung, nämlich 1. Spanier (die hohen weltlichen Funktionäre und geistlichen Würdenträger), 2. Kreolen (in Amerika geborene Spanier), 3. Mischlinge, 4. Indianer, 5. Negersklaven. Es ist jedoch zu beachten, daß mit Ausnahme der Negersklaven vor dem Gesetz alle gleich waren. Aber auch der Negersklave war keine Res, ein rechtloses Ding. Er besaß, im Gegensatz zu dem Anglo-Amerikas, einen Rechtsstatus. Beispielsweise konnte ein Sklavenehepaar nicht durch Veräußerung getrennt werden. In Anglo-Amerika dagegen besaß er keinen Rechtsschutz. Selbst die kirchlich gesegnete Ehe wurde nicht respektiert, sofern eine kirchliche Segnung einer Sklavenehe in den britischen Besitzungen überhaupt möglich war. Noch im 19. Jahrhundert wurden Sklavinnen unter Hinweis auf ihre „Zuchtqualitäten“ (good breeders) in den Zeitungen angeboten! Der Präsident des William and Mary College, Thomas R. Dew, rühmte noch 1826 die Sklavenzucht als eine der wichtigsten Einkommensquellen des Staates Virginia. Ein Neger, der seinen Freiheitsstatus nicht ausdrücklich nachweisen konnte, galt eo ipso als Sklave und wurde, falls niemand Rechtsansprüche auf ihn hatte, zugunsten der Staatskasse versteigert.

Im iberischen Raum bestanden unzählige Anlässe, um einen Sklaven freizulassen, und es gab auch Möglichkeiten, wo sich ein Sklave durch Extraarbeit das Lösegeld verdienen konnte. Sklavenschaft war keineswegs ein unabänderliches Schicksal, sondern konnte durch wirtschaftliche Tüchtigkeit oder besondere Leistungen des Sklaven einerseits oder durch Güte und Großzügigkeit seines Besitzers aufgehoben werden. Familienfeste, eine Primiz, eine Hochzeit, sogar das bestandene Examen des Familienstammhalters wurden nicht selten zum Anlaß für die Freilassung eines Sklaven genommen. In Kuba beispielsweise konnte sich ein Negersklave sogar ratenweise abzahlen.

Die spanische Krone bestellte eigens einen Anwalt für Sklaven, der die finanziellen Verpflichtungen zwischen Sklaven und Herrn zu regeln hatte. So gab es schon wäh-

rend der Kolonialzeit in Ibero-Amerika eine bedeutende Anzahl von freien Schwarzen, was die Abschaffung der Sklaverei wesentlich erleichterte, indem der Übergang zur neuen Situation sich weniger schockartig und unvorbereitet auswirkte. Als in Mexiko nach der Unabhängigkeitserklärung (1821) die Sklaverei aufgehoben wurde, bedeutete das nichts als die gesetzliche Anerkennung eines schon bestehenden Zustande?, indem es praktisch gar keine Sklaven mehr gab. Sie waren bereits alle ohne gesetzlichen Zwang“ freigelassen worden. Diese Einstellung zur Sklaverei als Einrichtung nahm ihr das Diskriminierende und übt ihren wohltätigen Einfluß bis auf den heutigen Tag aus. Die Tatsache, daß man Sklaven in seiner

Ahnenreihe hat, wird nicht ängstlich verschwiegen, sondern ohne Ressentiments zur Kenntnis genommen. Die wenigsten Brasilianer. Venezolaner, Kolumbianer oder Kubaner könnten übrigens auf eine makellos weiße Ahnengalerie zu-

rückblicken, ganz abgesehen davon, daß die wenigsten Wert darauf legen würden.

Im Gegensatz dazu wurde in Anglo-Amerika die nichtweiße Hautfarbe als gleichbedeutend mit dem Status als Sklave erklärt. In einem Erlaß vom Jahre 1746 in South Carolina heißt es ausdrücklich: „Alle Neger, Indianer (außer den jetzt freien), Mulatten und Mestizen und ihre Nachkommen werden als Sklaven erklärt und sollen es bleiben.“ Ähnliche Verlautbarungen ließen sich aus anderen Gegenden zitieren. Die Britin, die einen Sklaven heiratete, wurde Sklavin und blieb es, solange ihr Gatte lebte, und ihre Kinder waren für immer Sklaven. In Maryland wurde ein freier Neger oder Mulatte, der eine Weiße heiratete, dafür mit dem Entzug der Freiheit bestraft. Loskaut' durch den Sklaven selbst war überhaupt nicht möglich, und die Freilassung durch seinen Herrn wurde derart erschwert, daß jede in diese Richtung weisende Regung im Keim erstickt wurde. Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde in Georgia die testamentarische Freilassung mit einer Buße von 1000 Dollar belegt. In Carolina mußten 1000 Dollar als Garantie für einen freigelassenen Sklaven hinterlegt werden. In Virginia wurden freie Farbige überhaupt nicht geduldet, und der Freilassende mußte für die Ausreise Sorge tragen. Die Züchtigung eines Sklaven, die dessen Tod zur Folge hatte, wurde in Tennessee sogar ausdrücklich als straffrei erklärt und in anderen Gegenden lediglich mit Geldstrafen belegt. In Hispano-Amerika dagegen wurde ein übermäßig gezüchtigter Sklave von Gesetzes wegen freigelassen als Strafe für den Herrn.

Die Einstellung der Kirchen

Interessant ist ebenfalls die Einstellung der Kirchen. Obwohl die katholische Kirche, die für den iberischen Kulturkreis maßgebend war. die Sklaverei als Institution nicht verurteilte, ging sie sehr scharf gegen den Sklavenhandel vor, von Pius II. im Jahre 1462 bis Gregor XVI. im Jahre 1839. Es ist übrigens ein Irrtum, zu glauben, wie der

Soziologe der Yale University, Professor Edward Gaylord Bourne, nachgewiesen hat, daß Quäker als erste die Stimme gegen die Sklaverei erhoben hätten. Das taten bereits im 16. und 17. Jahrhundert der Franziskaner Thomds Mucodo, die

Im Zwielicht

spanischen Jesuiten P. Alonso Sandoval und P. Luis Molina und andere mehr, welche die Zivilcourage aufbrachten, gegen den Strom zu schwimmen und die Sklaverei als Institution anzugreifen.

Der Sklavenhändler wurde in Ibero-Amerika als solcher automatisch aus der Kirche ausgeschlossen. Sklavenehen besaßen sakramentalen Charakter, was die praktisch sehr wichtige Folge hatte, daß Paare nicht getrennt veräußert werden durften. Die Besitzer wurden angehalten, die Sklaven zur Kirche zu schicken, und es gab sogar religiöse

Bruderschaften unter den Sklaven, die eigene Schutzheilige hatten. Zudem förderte die Kirche die Freilassung, wo sie nur konnte.

Im Norden dagegen kümmerten sich die offiziellen Kirchen nicht um das religiöse Los der Sklaven und

überließen diese Missionierung der Sklaven den Sekten. Die Church of England betrachtete die Negersklaven zunächst nicht als taufwürdige Wesen, während die Negersklaven in Ibero-Amerika Gegenstand eifriger Missionierungsbemühungen waren. Gestalten wie der katalonische Jesuit Claver (1581 bis 1654), der allein mehr als 300.000 Negersklaven in Cartagena (Venezuela) zum Christentum bekehrte, und die portugiesischen Jesuitenpatres Anchieto und Nöbrega, übrigens die Gründer der Weltstadt Säo Paulo, sind unauslöschlich mit dem religiösen und menschlichen Schicksal der Negersklaven verbunden. Im diametralen Gegensatz zu Anglo-Amerika waren die Kinder aus der Ehe eines Sklaven mit einer freien Mutter frei.“, Westindische Sklaven, die nach Kuba geflüchtet waren, wurden nicht ausgeliefert und galten als frei, wenn sie den katholischen Glauben annahmen.

Wie erklärt sich diese grundverschiedene Einstellung zum Negerproblem in Ibero- und in Anglo-Amerika? Der tiefste Grund dürfte der religiöse sein, indem man im Neger die unsterbliche Seele sah beziehungsweise nicht sah. Dazu kommt noch ein historischer. Die iberischen Völker waren an den Kontakt mit farbigen Völkern gewöhnt, und nicht unbeträchtliche Ströme farbigen Blutes waren während der fast 800jährigen Anwesenheit der nordafrikanischen Völker auf der Halbinsel in den iberischen Volkskörper gedrungen, während die Insellage der angelsächsischen Völker eine solche ständige Berührung ausschloß. Ein weiteres Moment ist zu erwähnen: Die iberischen Völker besaßen in dem großartigen Gesetzeswerk Alfons' des Weisen, dem Siete Partidas (entstanden zwischen 1256 und 1263), ein sozialgesetzliches Gefüge, das die Sklaverei der Willkür des einzelnen Sklavenhalters entzog und die Möglichkeit der individuellen Freilassung konkret vorsah. Vom formaljuristischen Standpunkt aus gesehen gab es einen fundamentalen Unterschied. In Ibero-Amerika besaß auch der Sklave einen rechtlichen Status und war nicht nur Objekt des Rechts, sondern auch Rechtssubjekt. Dies alles fehlte bei den Angelsachsen. Und bis auf den heutigen Tag ist namentlich für die Pigmentokraten des Südens der USA farbiges Blut unauslöschlich mit dem Gedanken der Sklaverei verbunden und damit schicksalhaft zur sozialen und oft auch zur politischen Minderwertigkeit verdammt...

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