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Sklaverei — heute

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Das Ende des 19. Jahrhunderts glaubte, die Sklaverei sei im Aussterben. Es gab nur wenige kleine Flecke auf der Weltkarte, auf denen noch Reste von Privatoder Staatssklaverei bestanden. In dem Brüsseler Akt von 1890 übernahm jeder Vertragsstaat die Pflicht, entkommene Sklaven aufzunehmen, zu beschützen und zu verpflegen. Für sie schwand jedes Einwanderungsverbot. Es schien so selbstverständlich, daß es sich nur um schwarze Sklaven handeln könne, daß weder Farbe noch Rasse erwähnt wurde. Als 1938 bei den Konferenzen in London der Vorschlag vertreten wurde, daß die Vertragsstaaten die Verpflichtung hätten, Flüchtlinge aus und vor den nationalsozialistischen Konzentrationslagern aufzunehmen, wurde es noch als ein juristischer Witz gewertet, daß man politische Gefangene als Sklaven hinstellen könne. Die Ereignisse haben aber diese Qualifikation bestätigt. Heute ist es Gemeingut, daß Konzentrationslager Sklavenlager sind.

Eine .Kommission zur Untersuchung der Zwangsarbeit“, die vor einiger Zeit in New York tagte, hat sich ein Verdienst durch eine Enquete erworben, in der Sklavenarbeit in allen Teilen der Welt durch Einvernahme von Zeugen und Sachverständigen festgestellt und untersucht wurde. Die Zeugen für die Sklaverei von Weißen bestätigten nur, was heute schon die ganze Welt weiß. Man weiß, daß es sich um staatlich anerkannte Einrichtungen handelt. Wieder schilderten Zeugen die Zustände, die sie am eigenen Leibe gespürt hatten, die eisig kalten oder glühend heißen Baracken, in denen man jahrelang auf nackten Brettern schläft, die elende Nahrung, die unmöglichen „Mindestquoten“, die vollkommene Rechtlosigkeit an Leib und Leben gegenüber den Sklavenaufsehern, die Mißhandlungen, die künstlich erhöhte Sterblichkeit. Zeugen traten auf, die noch Jahre nach der Befreiung nicht mehr gerade gehen, kaum mehr reden können, nur mehr ein menschliches Wrack darstellen.

Weniger bekannt als diese Tatsachen sind die Zustände, die in mindestens neun der weniger bekannten lateinamerikanischen Länder herrschen. Viele einheimische Landarbeiter — in Bolivien bis zu 40 Prozent der Bevölkerung — sind nicht rechtlich, aber tatsächlich braune Leibeigene. Ihre Lage ist heute nicht besser als die der russischen Leibeigenen vor hundert Jahren. Die Hälfte der Woche haben sie ohne Lohn die Felder ihrer Herren zu bestellen, den Rest ihrer Arbeit dürfen sie den schlechten Feldstückchen widmen, die sie und ihre Familien elend ernähren. Braucht ein anderer Herr Arbeiter, so werden sie ihm verdungen. Den Lohn bekommen nicht sie, sondern ihr Herr. Jeder von ihnen, Mann oder Frau, muß alljährlich für vierzehn Tage in die Stadt ziehen, um dort unentgeltlich jede Arbeit zu verrichten, die ihr Gebieter ihm zuweist, sei es in seinem Hause, auf der Straße, oder für andere, denen er sie vermietet. Während dieser Zeit haben sie sich aus ihren eigenen mitgebrachten Vorräten zu verpflegen. Geld sehen sie nie. Aber mit Geld könnten sie weder sich noch Ihre Kinder aus der Leibeigenschaft loskaufen. Es handelt sich nicht nur um ihre unentgeltliche Arbeitkraft, sondern auch darum, gewisse Schichten der Eingeborenen im Bewußtsein ihrer unentrinnbaren Abhängigkeit zu erhalten. Sie werden in der Regel freundlich behandelt, fast nie mißhandelt oder körperlich beschädigt. Dieser Zustand hat sich historisch aus dem kommunistisch - monarchistischen Inkastaat über die spanische Herrschaft hinweg bis in die freien Republiken erhalten.

Er verstößt gegen Verfassung und Gesetz dieser freien Republiken. Diese geben jedem das Recht, solche Dienstleistungen zu verweigern und den Dienstherrn zu verlassen. Aber der „Flüchtling“ bekommt an keinem Ort Arbeit, und wer den Dienst verweigert, wird als politisch verdächtig verhaftet. Verfassungen klingen meist wunderschön, aber in vielen Ländern ist das ein leerer Klang.

Selbst in den Vereinigten Staaten wurden aus mindestens fünf der südlichen Staaten Zustände bezeugt, die ähnliche Züge aufweisen, von Zeugen, die sie sichtlich zu unterstreichen und zu verallgemeinern suchten. Diese Zustände treffen fast durchwegs Schwarze, können aber grundsätzlich auch Weißen zustoßen.

Diese verstoßen gegen die Verfassung. Fälle, die den Bundesbehörden zur Kenntnis kommen, werden schwer bestraft. Polizeibeamte, die sich an diesen Verbrechen beteiligten und im Schutze der Lokalbehörden sicher fühlten, mußten den Geschädigten überdies dreifachen Schadenersatz leisten. Allerdings ist Washington weit und die F. B. I. (Bundespolizei) nicht überall. Aber — und das ist der wesentliche Unterschied — es handelt sich um Verbrechen, Verbrechen in den Augen der überwiegenden Mehrheit des Volkes, der Gerichte und der Regierung, Es sind keine staatlichen oder sozialen Einrichtungen, sondern Mißbräuche, die immer mehr, wenn auch vielleicht nicht rasch genug, eingedämmt werden. Rechtlich und moralisch werden sie gewertet wie die Raubüberfälle in New York oder Chikago.

Die Gegenüberstellung der drei Arten der Sklaverei, der schwarzen, der braunen, der weißen, ergibt eine Merkwürdigkeit: Je heller die Farbe, desto härter das Schicksal. Der weiße Sklave würde mit Freuden mit seinem braunen Leidensgefährten tauschen; der braune Leibeigene wäre glücklich, wenn er in die Schuldknechtschaft der Schwarzen kommen könnte, die nur Jahre, nicht Generationen dauert, und nicht hilf-, recht- und aussichtslos ist. Die Lage der schwarzen Schuldknechte bessert sich rasch, die der braunen Leibeigenen allmählich, und beide Gruppen werden immer kleiner. Der weißen Sklaven werden immer mehr, und es geht ihnen immer schlechter. Und in ihren Ländern wäre eine solche Enquete nicht möglich, ohne daß Kommission, Teilnehmer und Zuhörer ins Sklavenlager wandern.

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