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Slawische Emigration — heute

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Seit drei Jahrhunderten stellen die slawischen Völker Europas das größte Kontingent an Auswanderern. Die Eroberung des Balkans durch die Türken, der Sieg der Habsburger am Weißen Berg, die Teilung Polens, der zaristische Absolutismus in Rußland, die magyarische Politik gegenüber den Minderheiten, das Aufkommen des Bolschewismus in Rußland, die Eroberungszüge Hitlers waren geschichtliche Ereignisse, die immer wieder Tausende von Menschen aus ihrer Heimat trieben und sie das schwere Los der Suche nach einer Heimat wählen ließen. Auch das Ende des zweiten Weltkrieges brachte nicht ein Erlöschen der slawischen Wanderbewegung. Im Gegenteil, der Einfluß des Kommunismus auf die Politik der meisten slawischen Länder Heß eine neue Emigration entstehen.

Als der langjährige, zähe Ministerpräsident der polnischen Auslandsregierung, Mikolajczyk, nach Polen zurückkehrte, um mit dem Lubliner Befreiungskomitee zusammenzuarbeiten, standen weite Teile der polnischen Emigration diesem Beginnen skeptisch gegenüber. Die Art, wie die Wahlen in Polen durchgeführt wurden, und die schließliche Flucht Mikolajcziks in das Ausland scheinen diesen Gruppen rechtzugeben.

Für diese Polen galt und gilt nach wie vor die noch bestehende Londoner Regierung als die einzig rechtmäßige, und nur in der Person des Grafen August Zaleski — ehemaligen polnischen Gesandten in Athen und Rom, dann durch lange Jahre polnischen Außenministers, der am 7. Juni dem verstorbenen Präsidenten Reckiewicz folgte — sehen sie ihr legales Oberhaupt. An der Spitze der polnischen Auslandsregierung steht General Bor-Komarowski, der berühmte Organisator des Warschauer Aufstandes im Jahre 1944, ihm zur Seite als Außenminister der ehemalige polnische Gesandte in Sofia, Tarnowski, dem die noch bestehenden Gesandtschaften beim Vatikan, in Spanien, Portugal, Irland und Libanon unterstehen und dem besonders gute Beziehungen zum britischen Außenminister Bevin nachgerühmt werden; er war es, der es zustande brachte, daß beim Begräbnis Rackiewicz' das Foreign Office vertreten war, eine Geste, die in Warschau besonders übel vermerkt wurde. Zur polnischen Auslandsregierung bekennt sich auch General Anders, der Kommandant der polnischen, über 100.000 Mann zählenden Auslandsarmee, und eine Gruppe abgesprengter polnischer Sozialisten mit Arcziew-ski, Kvapinski und Ciolkolz an der Spitze, die es zum Unterschied von ihren weiter links stehenden Kollegen von Anfang an ablehnten, mit der neuen Warschauer Richtung zusammenzuarbeiten, eine Gemeinschaft, die die Linksextremisten größtenteils mit der Einkerkerung von seilen ihrer kommunistischen Kollegen bezahlten, wenn sie nicht, wie ihr Führer Zaremba, sidi durch Flucht retten konnten. Das große finanzielle Reservoir der polnischen Regierung ist die „Liga amerikanischer Polen“, die über vier Millionen Mitglieder zählt.

Der Sieg des Bolschewismus in Rußland trieb Tausende und aber Tausende von Russen aus der Heimat. Nicht nur die Anhänger des Zarismus, sondern auch die Führer der russischen Sozialdemokratie — der Menschewiki — mußten das Land verlassen, wollten sie nicht in der Verbannung verschwinden. „Wenn die Bolschewiken regieren, ist der Platz der Menschewiken im Gefängnis“, hatte Lenin gesagt. Die letzteren scharten sich im Ausland um die Person Alexander Keren-skijs, der sich in Amerika als „distinguished foreigner“ niederließ. Mit dem Beginn der Feindseligkeiten zwischen Deutschland und Rußland machte sich ein Umschwung bei manchen russischen Emigranten bemerkbar. Professor Pavel Miljukov, der einstige Demokratenführer, erklärte — sicher in Ubereinstimmung mit vielen Emigranten —, daß er Stalin Hitler vorziehe. Bekannt ist auch das Umschwenken des emigrierten Philosophen Berdjajeff.

Seit Beendigung des Krieges entstand ein neues Auslandsrußland. Größtenteils sind es von den Deutschen verschleppte oder wegen Kollaboration mit den Deutschen belastete Gruppen, wie die Wlassow-Kosaken oder die Mitglieder des weißrussischen Offizierskorps Rogoschin, die das Gros dieser neuen Emigration bilden. Die meisten russischen Emigrantengruppen schlössen sich 1946 zu einer Dachorganisation unter dem Titel „ABN“ (der antibolschewistische Block) zusammen, die einige Zeitschriften, so den „ABN“, die „Arangarde“ und die „Nabat“ (Sturmglocke), herausgibt. Alle diese Zeitschriften sind sehr antisowjetisch, aber auch sehr antikapitalistisch gehalten. Die „Nabat“ bringt häufig sogar „Heeresberichte“ von den in Rußland tätigen Untergrundbewegungen, besonders den baltischen, polnischen und ukrainischen. Die „ABN“ fordert Auflösung Rußlands in nationale Republiken.

Neben der „ABN“ gibt es noch eine andere russische Emigrantengruppe, die „ROSS“ (der russische gesamtnationale Verband der Freiheit). In ihren Flugschriften verlangt sie den Rücktritt Stalins, die Auflösung des Obersten Rates der Sowjet und die Durchführung freier Wahlen.

Unter den russischen Emigranten spielt noch eine besondere Rolle eine Reihe von Männern, die weder Anhänger des Zaren noch ehemalige Mensdiewiki, sondern hohe Sowjetfunktionäre waren. Zu ihnen gehört der ehemalige Rat der Pariser Botschaft, Besedowski, dann Alexander Barnim, russischer Charg£ d'affaires in Athen, Ivan Gru-zenko, Dechiffrierbeamter der russischen Vertretung in Kanada, der Hauptbelastungszeuge in der Atomspionageaffäre, Cyrill Alexejew, Mitglied der Sowjetmission in Mexiko, und Viktor Andrejewitsch Krav-tschenko, Mitgbed des Sownarkom, als Ingenieur 1944 nach den USA gesandt, um Metalle für die Sowjetunion einzukaufen. Sein Buch „I chose Freedom“ — Das Leben eines Sowjetbeamten — erzielte einen sensationellen Erfolg in der Welt.

Das Ende der Zusammenarbeit zwischen Marschall Tito und dem langjährigen Vorsitzenden der Londoner jugoslawischen Exilregierung Subasic ließ den „J u g o s 1 a w i-schenLandesausschuß“ inLondon wieder ins Leben treten. Seine Mitglieder sind vor allem ehemalige serbische Politiker, so die früheren Ministerpräsidenten Puriö und Trifunovic, dann Milan Gavrilovi6, ehemals Gesandter in Moskau, der 1941 den Bündnisvertrag zwischen Jugoslawien und Rußland schloß, ferner General Simunovic, der Organisator des Königsputsches von 1941, welcher den Krieg auslöste, und General Zizkovic, Teilnehmer an der Verschwörung von 1903, welche die Karageorgewitsch auf den Thron brachte, der langjährige Gardekommandant und Vertraute König Alexanders und Handlanger seiner Diktatur.

Diese Emigration, die eigentlich keine jugoslawische, sondern eine großserbische ist, sieht in Peter II. ihren rechtmäßigen Herrscher. Unter den 100.000 jugoslawischen DP hat sie große Anhänger, besonders in den Offizierslagern von Bayern und Salerno, die sich zu einem Verband, „Ravna gora“, zusammengeschlossen haben,. und mit den serbischen Tschetniken, die nach der „legalen“ Ermordung des General Mihailovic unter dem Befehl von General Popovic kämpfen, gute Verbindungen aufrechterhalten konnten.

Neben dieser „jugoslawischen“ Emigration spielt noch eine besondere Bedeutung die kroatische Emigration, die unter der Führung von Vladko Macek steht, dem Nachfolger von Radic in der Leitung der Kroatischen Bauernpartei. Macek war zur Zeit des Bestandes des „Unabhängigen Staates Kroatien“ von den Ustaschi in der Nähe von Agram interniert, wurde dann von den Deutschen nach Salzburg verschleppt und ging nach Kriegsende nach Amerika, wo er mit den andern geflüchteten Bauernführern aus Osteuropa die „G r ü n e I n t e r-n a t i o n a le“ schuf.

Wie Marschall Tito in der Geheimsitzung des kroatischen Gebietsausschusses vom 28. August 1947 mitteilte, bedeutet der Bestand all dieser Emigrantengruppen für das neue Regime in Südslawien eine latente Gefahr, da weite Teile des Volkes nicht mit der jetzigen Regierung sympathisieren, sondern gegen dieselbe eingestellt sind.

Von. allen heute bestehenden slawischen Emigrantengruppen ist die tschechische die bedeutungsloseste, da von allen slawischen Ländern in der Tschechoslowakei die größte Freiheit herrscht.

Haupt der tschechischen Emigration ist der ehemalige tschechoslowakische General

Prchala, in der zweiten Republik Innenminister von Karpathorußland, nach Ausbruch des deutsch-polnischen Krieges Organisator der tschechischen und slowakischen Legionen in Polen. Er hat seinen Sitz in London, wo er das „Tschechische Nationalkomitee“ gründete. Mitglieder dieses Komitees sind fast nur Tschechen von der äußersten Rechten. Der bekannteste ist Jan Bata, der tschechoslowakische Schuhkönig, der in der Republik wegen Kollaboration mit den Deutschen verurteilt wurde, obwohl er schon 1939 in die Emigration ging und während des Krieges in der kanadischen Armee diente. Ziel der tschechischen Emigration ist die Wiederherstellung der ersten Republik. Daneben propagiert Prchala, nach einem alten Plan Masaryks, einen „Intermarium“ genannten Staatenbund, der alle Länder der Zonen zwischen Rußland und Deutschland umfassen soll.

Bedeutender ist die slowakische Emigration. Ihr Haupt ist in Bridgeport in Connecticut Professor Stefan Polakovic, der den „Slowakischen Vollzugsausschuß“ leitet und — besonders seit der Hinrichtung Tisos — unter den amerikanischen Slowaken, die über anderthalb Millionen zählen, einen starken Anhang besitzt. Eine zweite slowakische Emigrantengruppe befindet sich in

Rom und wird von Karol Sidor geleitet, in der zweiten Republik Vizepremier, wegen seiner antideutschen Einstellung von Tiso auf den Posten eines slowakischen Gesandten beim Vatikan abgeschoben.

Der Bestand dieser slowakischen Emigration, aus der die heimische Widerstandsbewegung einen gewissen Rückhalt empfängt, ist eine der Ursachen des zunehmenden Druckes der Kommunisten auf die Slowakei.

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