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Slowenien im Ubergang

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Zu einem ungünstigeren Zeitpunkt hätte die politische Krise Slowenien nicht ereilen können. Ausgerechnet während des Besuches von Papst Johannes Paul II. drohte am Wochenende die Regierungskoalition auseinanderzubrechen. Dennoch erhoffte sich die Staatsführung von der Reise deutliche Signale. Präsident Milan Kucan bat das Kirchenoberhaupt, sich für den Beitritt seines Landes zur EU einzusetzen.

In seinen Ansprachen verwies der Papst stets auf die schwierige Übergangssituation, in der sich Slowenien befinde. Das überwiegend katholische Land (knapp 70 Prozent der zwei Millionen Einwohner bekennen sich zum Katholizismus) versuche sich schrittweise von den negativen Konsequenzen einer totalitären Ideologie zu befreien und eine demokratische Gesellschaft zu verwirklichen. In diesem Zusammenhang sei aber Wachsamkeit notwendig, damit der von der früheren Ideologie geräumte Platz „nicht von einer anderen, nicht weniger gefährlichen”, nämlich der des „schrankenlosen Liberalismus” eingenommen wird. Einer der Höhepunkte des dreitägigen Besuches war am Sonntag vormittag ein Gottesdienst vor rund 100.000 Gläubigen in Marburg. Zu dem Ereignis waren Tausende Kärntner und Steirer angereist. Am Samstag nachmittag feierte Johannes Paul II. mit 50.000 Jugendliche in Adelsberg den 76. Geburtstag.

Ähnlich wie in Tschechien kam es im Vorfeld des Aufenthalts zu einer ökumenischen Verstimmung. In einem von mehreren Zeitungen veröffentlichten „Offenen Brief” ließen die Sprecher der rund 18.000 slowenischen Protestanten den Papst wissen, daß sie sich von ihm eine Entschuldigung erwarten für die Verfolgungen, denen Luthers Gefolgsleute Ende des 16. Jahrhunderts ausgesetzt waren. Auffallend war beim Besuch auch die demonstrative, Abwesenheit der serbisch-orthodoxen Bischöfe, insbesondere des für Slowenien und Kroatien zuständigen Oberhirten.

Theologie nach Gulyaskommunismus

Ungarisches Testament

Die Analysen des ungarischen Theologen Tamäs Nyiri, des Gratwanderers jenseits und diesseits des Eisernen Vorhangs, sind bis heute aktuell.

VON ANDREAS R. BATLOGG SJ

Im August 1994 ist Tamäs Nyiri unerwartet verstorben, knapp vor Vollendung seines 74. Lebensjahres. Begegnet bin ich ihm zum ersten (und einzigen) Mal zehn Monate vorher während eines Vorlesungszyklus' in Innsbruck. Angesichts bevorstehender Gedenktage Karl Rahners referierte der Gastprofessor, Doktor der Philosophie und Theologie, über „Theologie in Ost und West” - und K. Rahners besonderen Reitrag dazu. Diese Vorlesungen sind nun von Karl H. Neufeld, Fundamentaltheologe und Leiter des Karl-Rahner-Archivs, aus dem Nachlaß herausgegeben worden - eine Art Vermächtnis Nyiris.

Seismographische Analysen

Da Nyiri nach Neufeld „zu den Protagonisten des Kontaktes mit westlichen Theologen, mit Kollegen des Denkens im Sinne der Erneuerung des II. Vatikanischen Konzils” zählt, sind seine Ausführungen nicht zu unterschätzen. Sie gelten vor allem für den Zeitraum vor der kommunistischen Machtergreifung bis 1993. Drei Jahre später sind sie - leider - nicht überholt. Denn gravierende Verschiebungen im Mißtrauen gegen westeuropäische und nord- wie lateinamerikanische Impulse in Theologie und Kirchehaben noch nicht stattgefunden. Nyiris Analysen von Gesellschaft, Kirche(n) und Theologie vor und nach der Wende haben seismographischen Charakter. Sie sind direkt im Befund, ohne einseitig, polemisch oder verletzend zu sein. Der Kenner der Lage entwickelt auch zur eigenen Einschätzung wie auch zur Rolle der Kirchenleitung kritische Distanz.

Der Stand der Theologie nach dem Ende des Gulyaskommunismus bringt Nyiri auf die Formel 1948 = 1993. Kardinal Mindszenty hatte junge promovierte Theologen 1948 zur Flucht in den Westen aufgefordert. Durch staatliche Repressionen bedingt, gab es schlichtweg keine neuere theologische Literatur. Entfremdungsprozesse waren die Folge. Und eine Verarmung der Theologie. Selbst die Aneignung lehramtlicher Dokumente war unterbunden. Bis heute seien die Texte des Zweiten Vatika-nums nur sehr spärlich und selektiv rezipiert.

Das Verhalten der Amtskirche vergleicht Nyiri mit dem kommunistischen Koordinatensystem mit seinen Denkschablonen. Als System abgeschafft, sei es als Denkweise immer noch omnipräsent. Die Verunsicherung im Klerus - Bollenängste der Priester, Klerikalismus, Untertanenmentalität gegenüber Laien und besonders Frauen - bringt er in das treffliche Bild: „War ein Bein vierzig und mehr Jahre vergipst, kann man nach der Entfernung des Gipsverbandes nicht sofort wieder tanzen und hüpfen.”

Was Nyiri zu einer „Theologie der Ämter” skizziert, ist auf dem Stand westeuropäischer Überlegungen. Wo Laien in Kliniken oder als Katecheten Quasi-Sakramentenspender sind, kann man sich auf Dauer nicht sperren gegen eine Neuregelung der Amterfrage. Die Brisanz der Frage der „viri probati” hierzulande betrifft auch Ungarn. Dort müsse sich die Kir-che(n) aus ihrer feudalen Vergangenheit lösen, die sie bis heute bindet.

Konzilstheologe - ein Verdächtiger?

Nyiri tritt vehement für eine Erneuerung der Kirche und der Theologie ein, ohne deswegen an seiner grundsätzlichen Loyalität Zweifel aufkommen zu lassen. Seine „Zwölf Thesen zur Lage der Kirche in Ungarn” sind sein Testament geworden, eine einzige Anleitung zur Mündigkeit. Zur Vergangenheitsbewältigung gehört auch die Aufarbeitung des An-tijudaismus, der sich mit Antisemitismus und Antizionismus vermischt hat und neuestens nationale Untertöne von sich gibt. So berichtet Nyiri von einem Eklat, als ein Oberrabbiner von

Budapest die Stimmung mit den Worten kommentierte: „Würde man den Beitrag der Juden aus der ungarischen Kultur entfernen, blieben nur Volkstracht und Marillenschnaps übrig.”

Karl Rahners Reitrag begann im Jahr des „Prager Frühlings” (1968). Damals wurde er von der Theologischen Akademie, der Rechtsnachfolgerin der Theologischen Fakultät, nach Rudapest eingeladen. Fünf weitere Reisen folgten. Theologen wie Marxisten waren beeindruckt von der intellektuellen Redlichkeit des Jesuiten-professors, der sich innerhalb der Paulus-Gesellschaft seit den späten 50er Jahren intensiv in den Dialog Christentum-Marxismus eingeschaltet hatte.

Während seines Aufenthalts in der Tiroler Landeshauptstadt bot mir Nyiri an, einen Aufsatz von mir bei einer ungarischen theologischen Zeitschrift unterzubringen. Darin war die Neuauflage des Rahner- Klassikers „Sendung und Gnade” angezeigt. Thematisiert ist, weshalb ein Dogmatiker Beiträge zur Pastoraltheologie bietet. Nyiri erhielt sieben Absagen. Rahner, schrieb er mir später zerknirscht, sei zu „heiß”.

Die Stimmung in der Bischofskonferenz sei gegen fast alles aus dem Westen - und Rahner sei für viele eine Chiffre. Eher Kleriker als Laien, für die Nyiri einen florierenden Theologischen Fernkurs installierte, beargwöhnten Rahners Theologie. Der Konzilstheologe - ein Verdächtiger? Dabei wurde durch ihn in den Augen Nyiris „Theologie als Wissenschaft in Ungarn rehabilitiert”.

Nie werde ich die gewinnende Freundlichkeit Nyiris vergessen, der junge Theologen zu fördern verstand. Der Gratwanderer zwischen der Theologie jenseits und diesseits des Eisernen Vorhangs verband damit die Aufforderung: Vergeßt uns „drüben” nicht, auch wenn inzwischen der Stacheldraht verschwunden ist. Andere Barrieren bestehen noch. Mentalitäten sind bekanntlich schwerer zu zertrümmern als Dogmatismus. Das gilt für die Politik und für die Kirche(n).

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