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Soldat ohne Mythos

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Die Niederlage Hitler-Deutschlands bereitete in Mitteleuropa nach Jahren der Diktatur wieder der Demokratie den Weg. Österreich wurde wieder ein selbständiger Staat und richtete sich nach dem Vorbild von 1918 als demokratische Republik ein.

Obwohl in den Konzentrationslagern, in den Kerkern des Dritten Reiches und im Kleinkrieg des Widerstandes ein sowohl österreichisches wie auch demokratisches Staatsbewußtsein geboren wurde, das sich von dem unserer Ersten Republik vorteilhaft unterscheidet, neigen repräsentative Gesellschaftsschichten noch immer irgendwie zur Form des Obrigkeitsstaates, der die von ihnen beanspruchte Autorität eher garantiert, als es die Volkssouveränität zu tun gewillt ist.

An dieser Neigung richten sich jetzt jene Kräfte auf, für die Österreich erst im Jahre 1955, mit dem Staatsvertrag, wieder erstanden ist und die sonst nichts wahrhaben wollen.

Soldatentum der „alten Form“

Zu diesen Kräften zählen auch die Wortsprecher des obrigkeitlichen Sol-datentums der jüngsten Vergangenheit. Sie wollen dessen Tradition in unserem demokratischen Staat wieder gewahrt und anerkannt sehen. Mit dem Winkelzug, daß sich die Soldatentradition ihrer Meinung nach wieder der „alten Form“ zugewandt hat, soll die Vergangenheit bewältigt werden, damit eine Geisteshaltung wieder salonfähig werden kann, die das ihre mit dazu beigetragen hat, daß im Jahre 1945 ein zugrunde gerichtetes Volk vor dem Nichts stand.

Wie ist es nun um das Herkommen dieses Soldatentums „alter Form“, auf dessen angeblich „ewige Werte“ auch eine Demokratie nicht verzichten können soll, wirklich bestellt?

Zur Zeit der Kriege der Kabinettspolitik, die im 17. und 18. Jahrhundert geführt wurden, war der Soldat eine verprügelte, geknechtete Kreatur; mißachtet und gemieden von seinen Mitmenschen, ohne alle Rechte und ohne jede Hoffnung (Auffenberg). Auf der Suche nach Soldaten waren die Machthaber des Absolutismus nicht zimperlich. Landeskinder, Ausländer, Aus-gehobene, Angeworbene und mit List oder Gewalt Gepreßte; eine unmenschlich gehandhabte Disziplin zwang dieses zusammengewürfelte rechtlose Volk im bunten Rock zusammen.

Das Soldatsein wurde als Beruf aufgefaßt, den der einfache Söldner als blutiges Handwerk und der Offizier als Kriegskunst betreibt. Als wahrer Soldat wurde nur der Berufssoldat angesehen. Gegen Milizen und Volksbewaffnung war die Abneigung der absoluten Herrscher groß.

Die verwirklichte Konsequenz der demokratischen Emanzipation war die aus der Französischen Revolution hervorgegangene „Allgemeine Wehrpflicht“ des Staatsvolkes.

„Gegen Demokraten helfen nur Soldaten“

Als einziges Land in ganz Europa behielt ausgerechnet das stockkonservative Preußen die allgemeine gesetzliche Verpflichtung zum Militärdienst auch nach den napoleonischen Kriegen bei. Österreich — die Habsburgermonarchie — folgte in dieser strengen Form erst im Jahre 1868 nach.

Der Obrigkeitsstaat bediente sich also der demokratischen Einrichtung der allgemeinen Wehrpflicht für seine Zwecke. Die Vorteile des Volksheeres bei gleichzeitiger Ausschaltung seiner Nachteile für sich zu nützen, war die Absicht.

Trotz der demokratischen Herkunft der allgemeinen Wehrpflicht sahen herrschende Kreise in der Armee mit ihrem homogenen Offizierskorps das einzige Bollwerk gegen die Demokratie. „Gegen Demokraten helfen nur Soldaten“, dieser Leitspruch galt sowohl in Deutschland als auch in

Österreich-Ungarn von 1848 bis 1918.

Der erste Weltkrieg endete mit der Niederlage der Mittelmächte.

Heer und Politik

Man bekannte sich aber nicht zu dieser Niederlage. In Deutschland und auch in der jungen österreichischen Republik kursierte bald das Schlagwort: „Im Felde unbesiegt!“ Alle» wurde mit der Zersetzung und Auflehnung der Heimat begründet. Der Einsicht in die eigenen Schwächen wurde der Mythos der Unbesiegbarkeit und der Niederlage durch Verrat vorgezogen, um den Glauben an die Unfehlbarkeit der militärischen Autorität trotz Republik und Demokratie zu erhalten. So waren bestimmte Militärkreise und ihr Hintergrund der peinlichen Verantwortung ledig und konnten das Volk mit Hilfe der zielgerichteten „Dolchstoßlegende“ zum Schuldigen an der Niederlage stempeln.

Diese Unaufrichtigkeit führte unter anderem zur Vergiftung der inner-politischen Atmosphäre in Deutschland und Österreich. Diese Lüge half mit, in beiden Staaten der Diktatur den Weg zu bahnen.

Wie sieht es nun mit den Wortsprechern dieses Soldatseins heute bei uns aus?

Was uns interessiert, sind jene politischen Infektionsherde, wo versucht wird, den Geist des „traditionellen“ Soldatentums wieder mit der Demokratie zu legieren, um jenes ungesunde Klima zu schaffen, das uns schon einmal zum Verhängnis wurde.

Da gibt es hohe Militärs der Hitler-Ära — darunter auch Österreicher —, die behaupten, daß alle Chancen bestanden hätten, den Krieg für Deutschland siegreich zu führen, wenn nicht „das“ und „jenes“ und nicht zuletzt eine unfähige politische Führung gewesen wären. Abgesehen davon, daß sich die Vertreter dieser These damit zur Form des von der Welt geächteten Angriffskrieges bekennen, verschweigen diese Meister der Kriegskunst, daß sie bis zum Weißbluten des Volkes die willfährigen Befehlsvollstrecker eines sich selbst zum Oberfeldherrn gemachten „exaltierten Gefreiten“ waren, der sie — die angeblich traditionsgebundenen militärischen Führer — unter der Berufung auf eine „Vorsehung“ offenbar davon überzeugt hatte, ein Übermensch oder geborener Feldherr zu sein.

Darüber hinaus sprechen Abgeordnete im Parlament von „unserem verlorenen Krieg“, als ob Österreich ein kriegführender Staat gewesen wäre. Regierungsfunktionäre verharmlosen den Angriffskrieg Hitlers, in dem Österreicher für fremde Interessen auf die Schlachtfelder geführt wurden, als einen „idealistischen Opfergang“. Man findet es für notwendig, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, ob Hitlers Orden bei uns öffentlich getragen werden dürfen oder nicht, und ganz gewiegte Politiker der jüngeren Generation versuchen das in der Nachbarschaft vorexerzierte Kunststück mit der bewältigten Vergangenheit und wollen dem sinnlosen Sterben zehn-tausender Österreicher im Krieg Großdeutschlands einen patriotischen Anstrich geben, indem sie behaupten, die Österreicher hätten pflichtgemäß ihr Vaterland verteidigt.

Auf Grund dieser überlegten Verwirrung der Tatsachen und Meinungen bestehen unter dem harmlosen Titel der überparteilichen Vereinsmeierei schon wieder Vereine und Bünde, wo von einigen Führungskreisen das alte Garn vom „Frontgeist“ gesponnen, wo die Tradition des Militarismus und der Macht des Obrigkeitsstaates unter dem Mäntelchen der sogenannten Kameradschaft gehegt und gepflegt wird.

Diese unbedeutende Minderheit bleibt aber nicht vereinsamt. Zu ihr gesellt sich noch eine Gruppe ehemaliger Kriegsteilnehmer, die nach einer gewissen Zeit des Abwartens, unter Berufung auf ein vermeintlich großes

Erlebnis, das Fußvolk der Reaktion abgeben.

Im Krieg haben sie nicht zu den Siegern um jeden Preis gehört, sondern zu jener großen Mehrheit, die nach Überwindung der ersten Begeisterung den Krieg verdammten und den Frieden kaum erwarten konnten.

Bei dem Versuch, im bürgerlichen Leben die Überlegenheit gegenüber den Jüngeren zu beweisen, ist bei ihnen ' aber die Verlockung groß, das Kriegserlebnis zu glorifizieren und die eigenen Opfer und die auch gewiß nicht abzustreitenden individuellen Leistungen als echtes, dem Vaterland dienendes Heldentum hinzustellen.

Diese perfekten Soldatentümler empfinden es als ungeheuerliche Herausforderung, wenn die Frage nach der Zielsetzung des Krieges gestellt wird. Jeder Mensch, der den zweiten Weltkrieg notwendigerweise verdammen mußte, weil es nicht verborgen blieb, daß gewissenlose politische Hasardeure den Bestand unserer Heimat aufs Spiel setzten, wird von ihnen als „vaterlandsloser Geselle“ hingestellt.

In einem mystischen Dunkel?

Die sozialökonomische und politische Analyse der Kriegsursachen gilt als „Diffamierung des Soldaten, der seine Pflicht erfüllt hat“. Alles, was mit Krieg und Soldatentum zusammenhängt, soll für immer in ein mystisches Dunkel gehüllt bleiben, und der im Obrigkeitsstaat geschätzte urteilslose Untertanenverstand wird wieder als erstrebenswerte Lebensmaxime des Soldaten hingestellt.

Es ist bekannt, daß sich diese Kreise in Österreich — aus der vorsichtigen Zurückgezogenheit des Biedermannes der ersten Nachkriegsjahre hervorgetreten — vor einem kleinen, aber einflußreichen und wohlwollenden Hintergrund nicht genugtun können, ihre Zugehörigkeit zur Deutschen Wehrmacht und „ihren Fronteinsatz“ in einem organisierten Raubkrieg als heroische Verteidigung der Heimat gegen eine Welt von Feinden zu rühmen.

Die Richtigkeit und die Notwendigkeit ihres Handelns versuchen die Wortsprecher dieser abwegigen Gedankenrichtung immer mit der Heiligkeit des Soldateneides, mit dem Gehorsam und der Pflichttreue zu beweisen. Als angebliche Hüter dieser „Tugenden“ preisen sie sich unserem demokratischen Staat als militärische Exekutive, als Bollwerke gegen Freiheit und Verrat an.

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