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Soldat und Priester

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Vor wenigen Tagen stand ich, in den Anblick eines besonders farbfrohen Blumenstill-lebens versunken, vor einer Kunsthandlung, als eine Knabenstimme neben mir seinen Begleiter fragte: „Schau, Vater, da marschiert ein Kapuziner mit Bauern, die Gewehre tragen. Was macht der Pater da dabei?“

Der Vater, seinem Aussehen. und der Ausdrucksweise nach ein einfacher Mann, liest dem Buben zunächst den Text des Oeldruckes vor: „Das ist Pater Haspinger bei den Tiroler Freiheitskämpfern mit Andreas Hof er.“ Dann erzählt er ihm kurz, was er von dem Tiroler Sandwirt weiß. Aber der Bub fragt weiter, warum der Pater kein Gewehr habe und was er denn dann im Krieg überhaupt tue.

„Er geht als Feldkurat“, erwidert der Vater geduldig. „Wie ich vor zwölf Jahren in Rußland verwundet wurde, schrieb die erste Karte an deine Mutter auch ein Soldatenpfarrer, der uns Verwundete am Hauptverbandsplatz in einer zerschossenen Schule mitbetreute und dessen Fürsorge so mancher Soldat sein Leben verdankt.“

„Davon hast du aber noch nie erzählt, daß auch Pfarrer im Krieg waren“, meint das Kind vorwurfsvoll, „und auch unser Religionslehrer hat darüber noch nie etwas gesagt.“

Die beiden gehen weiter, aber ich habe das Gefühl, daß der aufgeweckte Junge dieses Thema nicht nur an diesem Vormittag weiterspinnt, nein, daß er in seinem kindlichen Gemüt den Priesterstand nur von einer viel höheren Warte, sieht.

Es steckt ein Körnchen Wahrheit in dem Vorwurf des Kindes, daß die heranwachsende Jugend überhaupt nichts von der engen Volksverbundenheit des Priesters mit seinem Volke in Kriegstagen weiß, “daß ihr niemand erzählt, was Priester im Waffenrock im ersten wie im zweiten Weltkrieg als echte Samariter, Helfer und Tröster an der Front wie in der Heimat leisteten. Wir lesen öfter von Geistlichen, die im KZ waren, wir wissen von Ordensschwestern, die in Wehrmachtspitälern eingesetzt werden mußten, damit ihr Orden überhaupt weiterbestehen durfte. Priesterverfolgungen hinter dem Eisernen Vorhang werden geschildert, aber die Pflichttreue und Selbstlosigkeit, mit der Priester — ganz besonders im zweiten Weltkrieg — ihren harten, gefährlichen Dienst an der Front versahen, ist in Vergessenheit geraten. Wo bleibt der Schriftsteller, der diesen Männern durch ein Buch ein bleibendes Denkmal setzt?

Der erste Weltkrieg stellte den österreichischen Priesterstand vor vollkommen klare Tatsachen: Zu den aktiven Militärgeistlichen der k. u. k. Armee gab es — ebenso wie ein Reserveoffizierskorps — ein Reservoir von Geistlichen, die im Kriegsfall ihre Verwendungsorder hatten. So rückte z. B. 1914 jedes Infanterieregiment mit seinem Feldkuraten ins Feld, und es gibt wohl keine Regimentsgeschichte des ersten Weltkrieges, die nicht „ihrem Feldkuraten“, der Freud und Leid mit der Truppe teilte, ein wohlverdientes, eigenes, ehrendes Kapitel widmet. In der Wehrmacht des Dritten Reiches wurde es dem Priesterstand bedeutend schwerer gemacht, als Militärseelsorger zu wirken. Gleichwohl war jeder Oesterreicher, der 1938 einem Sonntagsgottesdienst in irgendeiner Stadt Deutschlands beiwohnte, von der echten Frömmigkeit überrascht, mit der Berufsunteroffiziere wie auch einfache Soldaten im Paradeanzug der zivilen Messe beiwohnten, während der heiligen Handlung knieten und die Sakramente empfingen. Im katholischen Oesterreich war man an solch demonstratives Bekennertum des Heeres eigentlich nicht gewöhnt. Die Truppe hatte wohl zu Zeiten der Monarchie wie in der ersten Republik Sonntagskirchgänge, und zu Ostern wurden in den Garnisonskirchen die Sakramente gespendet. Im übrigen aber zogen bei uns Offiziere wie Unteroffiziere es vor, ihren religiösen Pflichten ohne besonders aufzufallen und meist in Zivil nachzukommen.

Die politische wie die militärische Führung Deutschlands wußte, daß Eingriffe in die Glaubensfreiheit des Soldaten ein Wagnis gewesen wären. So war es nur der Waffen-SS verboten, Kirchen zu betreten oder Wehrmachtspriester aufzusuchen. Wie ungern sich aber auch hier einzelne Soldaten diesem Zwang unterwarfen, konnte man schon in Polen beobachten, wo die SS-Wachen vor den Kirchen aufzogen, damit keiner ihrer Angehörigen ein Gotteshaus betrat. Wir Oesterreicher, denen von den eigenen Nazis vor 1938 gar oft von der Ablehnung der Kirche durch die deutschen Männer erzählt worden war, staunten darum nicht wenig, als der Divisionspfarrer, der die Truppe bei der Besetzung des Sudetenlandes betreute, an seinen beiden Sprechtagen Samstag und Sonntag immer bis in die späten Nachtstunden von Rat suchenden jungen Panzersoldaten überlaufen war. Bei einer späteren Einquartierung im Rheinland erlebten wir, daß die Bewohner um katholische Manövergäste baten, mit denen sie dann Sonntag nicht nur zur Messe gingen, sondern auch gemeinsam das Tischgebet sprachen. Auch der Feldgottesdienst, bei dem eine ganze Panzerabteilung einschließlich vieler Offiziere im April 1940 wenige Stunden vor dem Einsatz in Jugoslawien über eigenen Wunsch die Generalabsolution empfing, bleibt jedem, der daran teilnahm, eine kostbare Erinnerung. Und als dann 1943/44 das Betreten der Gotteshäuser im besetzten Gebiet über Drängen der Partei auch für Wehrmachtsangehörige verboten wurde, begegnete man immer wieder in diesen Gotteshäusern, in dunkle Nischen gedrückt, Soldaten, die sich Dicht abhalten ließen, in die Kirche zu gehen.

Das Gesagte läßt nur in groben Umrissen ahnen, wie tief verwurzelt der Glaube im Herzen vieler tausender Soldaten war und wie sehr sie es begrüßten, wenn sie Gelegenheit hatten, mit Priestern zu sprechen. Das wußten die Soldatenpriester und ließen sich weder durch schikanöse Bestimmungen noch durch schwerste Kampfhandlungen abhalten, an die Männer, die ihrer bedurften, heranzukommen. Keine Heldentafel kündet, wieviel Soldatenpriester im zweiten Weltkrieg fielen, und es würde jahrelanger Arbeit bedürfen, festzustellen, wie viele Priesterkandidaten als einfache Soldaten fielen. Im eisten Weltkrieg hatten Priesterstudenten das Einjährigfreiwilligenrecht, kamen in die Reserveoffiziersschule, und Unzählige von ihnen erhielten hohe Tapferkeitsauszeichnungen. Erst nach dem Kriege empfingen sie dann ihre letzten Weihen. Im letzten Krieg aber wurden sie alle als einfache Soldaten eingezogen und nur sehr wenige wurden später Offiziere: Nur zu oft verstellte ihnen ihre Weltanschauung, die in den Personalpapieren festgehalten war, den Weg zur Beförderung. Fälle, in denen Priesterkandidaten ganz offen ihre Abneigung gegen den Krieg erklärten, aber dennoch beispielgebend ihre Pflicht erfüllten, waren dabei häufig. Und es wird kaum einen Frontheimkehrer geben, der nach seiner Verwundung am Verbandplatz nicht von einem Priesterstudenten im Gewände des Sanitätslandsers betreut worden wäre. Tag und Nacht haben diese Männer Verwundete auf Tragbahren oder am Rücken geschleppt und halfen, soweit sie es konnten, das oft furchtbare Elend zu lindern. Der Divisionspfarrer, den sie nur zu oft zu einem sterbenden Kameraden führten, war dabei diesen jungen Menschen selbst auch einziger seelischer Halt. Da besonders in den letzten beiden Jahren das Kampfgebiet oft bis hinter die Sanitätsdienste reichte, ließen hier viele Priester und Priesterkandidaten unbedankt, aber von dem Gedanken christlicher Nächstenliebe gläubig erfüllt, ihr junges Leben.

Und dann kamen Zusammenbruch und Kriegsgefangenschaft. Im Sammellager Horn (Niederösterreich) erwarteten tausende Offiziere und Mannschaften vieler Nationen, unter ihnen tausende Oesterreicher, ihr ungewisses Schicksal. Die Enge des Raumes, Schlechtwetter, Zeltlager mit knapper Verpflegung, kein Rauchmaterial und das Fehlen jeglicher Postverbindung, ließen die Stimmung der Gefangenen mehr als sinken. Da endlich erreichten es die im Lager festgehaltenen Militärgeistlichen, daß sie die erste Messe lesen durften. Der Pfarrer von Horn borgt seinen gefangenen Priesterkollegen, die ihn unter Bewachung aufsuchen dürfen, Meßgewand und Meßgerät. Der erste Gottesdienst, auf einem einfachen Holztisch als Feldaltar, wird ebenso wie alle folgenden zu einem aufwühlenden Erlebnis. Predigten sind verboten, auch das Evangelium darf nicht verlesen werden, aber schon allein der Anblick eines Priesters im Meßgewand, die vertrauten lateinischen Gebete mit besonderer Innigkeit gesprochen, das zage Klingen der kleinen, bescheidenen Glocke erwecken in der trostlosen Umgebung des Stacheldrahtes und der drohenden Maschinenpistolen Hoffnung auf Frieden, Heimkehr, Freiheit: Sie entreißen ein paar Menschen der vollkommenen Verzweiflung und der Selbstmordabsicht.

So haben die Priesterkameraden im Soldatenrock, bis zum Tage der Heimkehr nur von echtem Idealismus erfüllt, ihrem Berufsstande mehr als Ehre gemacht. In den Tagen des Zusammenbruches, als viele Menschen versagten, Habgier, Rache, Charakterlosigkeit und Undank triumphierten, müssen wir einstigen Soldaten bekennen, daß die Soldatenpriester auch in diesen Tagen immer bereit waren, ihren Kameraden beizustehen. Dafür sei ihnen heute im Namen vieler gleichgesinnter einstiger Frontsoldaten Dank gesagtl

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