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Soll sich die Kirche „anpassen“?

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Anläßlich des Vatikanums II taucht eine Frage im Gesichtskreis der Katholiken auf, die nie verstummt war, die nach der Anpassung der Kirche an die von ihr zu missionierende Umwelt. Da das Evangelium keine Gewaltanwendung erlaubt, ist die Kirche auf Methoden der Werbung angewiesen. Diese Methoden können weder die der östlichen Gehirnwäsche noch die raffinierter tiefenpsychologischer Wirtschaftswerbung sein. Sie zielen im Grunde darauf hin, dem Angeredeten die Übereinstimmung des Evangeliums mit seinem eigenen und innersten Wesen in das Bewußtsein zu rücken.

Pastorale und missionarische Akkommodation verzichtet darauf, einen Jargon anzunehmen, eine Kostümierung anzulegen, die dem zu Gewinnenden gefällt. Sie ist alles andere als Tarnung und Unaufrichtigkeit. Das Evangelium belügt niemanden, es will auch niemandem verhehlen, daß Gewinnung für Christus eine Metanoia, eine Umkehrung des ganzen Menschen, wie er empirisch ist, zur Voraussetzung hat. „Keiner ist gerecht, auch nicht einer“, deshalb muß jeder von seinem verdorbenen Wesen Abstrich tun, der sich der Kirche zuwendet, auch Völker müssen Traditionen korrigieren.

Der antiken Sklaverei, dem germanischen Fehdewesen, dar altorientalischen oder afrikanischen Polygamie, dem traditionellen pantheisierenden Zug der indischen Philosophie mit ihrer „Neutralisierung“ der Personalität Gottes, dem latenten Polytheismus, der Magie und der Nutzreligion, wie sie die Volksfrömmigkeit aller Zeiten charakterisieren, mußte tind muß abgeschworen werden. Evangelium und Kirche dürfen dieser Welt nicht konform werden und aus Zweckgründen Kompromisse schließen, welche die Substanz schädigen. Akkommodation darf nicht mit taktischer Charakterlosigkeit verwechselt werden. Auf diese Weise, erzielte. Gewinne sind nicht beständig-

Paulus sprach auf dem Areopag zu Athen im Jargon der kynischen und stoischen Diatribe mit Unterschlagung des Kreuzesfaktums. Seine glänzende Rede (Apg. 17, 22-18, 11) erlitt eine schwere Niederlage. Im Schreiben an die Gemeinde von Korinth setzt er jeder falschen Akkommodation ihre Schranke: er will von nun an Jesus nur noch als gekreuzigten Messias kennen (1 K 2, 2).

Auch heute ist das Evangelium als „Rede vom Kreuz“ den Juden ein Anstoß, dem Heiden ein Unsinn (1 K 1, 23), Kelsos empfand schon den Christengott (in seinem „Wort der Wahrheit“) als Kind in der Futterkrippe der Stallhöhle und als Hingerichteten am Kreuzesgalgen absurd. Er verstand nicht, daß Gott gerade durch das Schwache und Geringe roH-ot-. um so Seine Macht zu dokumentieren (1 K 1, 26 ff.). So werden alle Völker und Rassen zur Kenntnis nehmen müssen, daß ihre Leistungen kultureller, sozialer und politischer Art nicht das Rettende sind, sondern der Erweis von Geist und Kraft (1 Kor. 2, 2), beide aber sind Gottes. Im Zeitalter des Kolonialismus spielte diese These des Paulus für die Mission kaum eine Rolle (wohl aber in Indien und China), da das Christentum mit kultureller Überlegenheit, nicht in Form der „Schwäche Gottes“, sondern der Stärke auftrat und der sonderbare Gegensatz zwischen Kreuzespredigt und Überlegenheit, ja Gewalt, kaum jemandem auffiel.Der Gekreuzigte selbst war „König“ geworden, aber nicht mehr ganz im Sinne

Seiner Aussage vor Pilatus: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“

Immer noch kommt das Christentum zu den Nationen als europäische Größe; aber inzwischen sind viele von ihnen politisch selbständig geworden, sie respektieren zwar die Überlegenheit der technischen Zivilisation, die von den Europäern (und den USA) kontrolliert wird, sind aber auf ihre autochthone Kultur und deren Erhaltung immer mehr bedacht. Außerdem wird ihnen die Technokratie ebenso vom atheistischen Sowjetblock angeboten. In vielen Staaten sind Islam und Buddhismus mit ihrer Kultur ein unlösbares Bündnis mit dem Staat eingegangen und sind zu Staatsreligionen geworden, die nicht daran denken, dem Christentum Gleichberechtigung zu gewähren. So ergibt sich die Notwendigkeit, darüber nachzudenken, ob nicht die Inkarnation und das Pfingst-ereignis Handhaben für eine Theologie der Akkommodation bieten, die als Theorie der Missionsarbeit dienen kann.

Wenn der Sohn Gottes unser Fleisch angenommen hat, war es zwar das konkrete des Juden Jesus von Na-zareth, doch trat er damit in die gesamte Kette menschlicher. Entwicklung ein. Jesus ist nicht nur Davids und Abrahams Sohn, sondern ebenso jener Adams und damit als „Zweiter Mensch“ und „Letzter Adam“ „Weltheiland“, nicht nur Christus der Juden. Zu Pfingsten hörten alle den Geist in ihrer Sprache sprechen; er dokumentierte damit nicht nur die Universalität der Sendung an „alle Kreatur“, sondern auch den Willen Gottes, ihnen entgegenzukommen, wie denn die Inkarnation ja auch als Annahme unseres Fleisches und als Kata-basis auf unser Niveau der Existenz schon das Entgegenkommen Gottes schlechthin darstellt. Der liebende Gott ist als erster „allen alles“ geworden. Paulus hat diese Maxime von Ihm gelernt. „Den Juden bin Ich wie ein Jude geworden, um die Juden zu gewinnen, denen, die ohne das Gesetz leben, wurde Ich wie einer, der ohne das Gesetz lebt“ (1 K 9, 20 ff.).

Welches sind die praktischen, zeitgerechten Konsequenzen dieser Überlegungen? Die Kirche predigt in der Sprache der Völker oder in jener, die ihnen gemeinsam ist, so könnte sie es ebenso mit ihrer Liturgie handhaben. Ihre Einheit besteht nicht in einer antiquierten Sprache, die deshalb keine Einheit begründen kann, weil sie von niemandem verstanden wird, sondern im Einen Heiligen Geist (1 Kor. 12, 14).

Freilich kann sich die „Akkommodation“ nicht allein auf die Sprache beziehen. In die Liturgie werden Elemente der Kulte der Völker einbezogen werden müssen, und unter „Sprache“ wird man die ganze Psychologie des Ausdrucks einer Rassen-und Kulturseele verstehen. Die Stilistik wird sich kaum noch nach lateinischen, griechischen, koptischen und dergleichen Riten richten, die alle zusammen historisch sind, sondern sich in neuen Riten aussprechen, in welche die historische Substanz der Gottesdienste eingehen kann. Nur so wird die Liturgie von der Versuchung befreit werden, bei Unterentwickelten magische Züge anzunehmen, nur so werden sich Symbiosen zwischen Liturgie und Dichtung der Völker ergeben und wird“ die Sakralsprache wieder in die „Profan“sprache eindringen, anderseits aber auch die lebendige Sprache des Tages in den Kultzusammenhang einrücken.

Die Bekehrten sollen im katholischen Kult die „Gaben der Heiden“ vorfinden, die Völker sollen zum Vollzug des Allerheiligsten des Glaubens geistig beitragen können. Das alles soll in evolutionären Vorgängen stattfinden, wenn es auch im Bereich des menschlichen Geistes keine Evolution ohne „Revolution“ gibt. Man sage nicht, im Zeitalter der Technokratie erübrige sich das Eingehen auf autochthone Kulturen; diese werden mit jener bleiben, wenn auch in überform-ter Weise und in Kommunikation mit dem jeweiligen „Weltgeist“.

Eine gerade diese szientifische Technokratie mit ihrer „Aufklärung“ betreffende Form der Akkommodation wird in den avantgardistischen Gebie-, ten der menschlichen Zivilisation nötig sein; nämlich die „Entmythologisie-rung“, verstanden als Scheidung zwischen Weltbild und Weltanschauung. Akkommodation an den Fortschritt in Natur- und Geisteswissenschaften bedeutet eine Symbiose mit den Hochintellektuellen, welche die Eliteschichte von morgen bestimmen werden.

Der Glaube geht immer neue und oft unkritische Symbiosen mit den wechselnden Weltbildern der Epochen ein. Er muß sich rechtzeitig aus der Umklammerung solcher Einheitsvorstellungen lösen können, wenn er weltüberlegen bleiben soll. Jede Dogma-tisierung veralteter Weltbilder führt zum Verlust der Aktionsfähigkeit und Begegnungsfähigkeit der Kirche mit der jeweiligen Umwelt.

Die Kirchenmänner, die die Renaissance verabsolutierten, endeten bei einem Absud der Nazarener, und vergaßen, Cezanne große Kirchenaufträge zu geben, obwohl dieser ein Kirchengänger war. Sie vergaßen, daß die Kirchenfürsten der Renaissance mit jahrhundertealten Traditionen gebrochen hatten und „Avantgardisten“ waren.

Akkommodation ist kein Akt der Herablassung zu Primitiven, keine Konzession aus propagandistischen Gründen, die man ehebaldigst wieder zurücknimmt, sobald die Verhältnisse konsolidiert sind. Sie ist die Geschichtsfähigkeit der Kirche selbst und jener Liebesakt, in dem sich der Liebende dem Geliebten anzunähern und zu verähnlichen trachtet; so hat ja auch schließlich der Sohn Gottes Fleisch angenommen, um uns als Bruder ähnlich zu sein. So erweist sich die Akommodationswilligkeit der Kirchenmänner als Prüfstein ihres echten Kirchenverständnisses. Hat die Kirche die Staatsgebundenheit in Gregor VII. (trotz des Fortdauerns eines „konstantinischen“ Zeitalters) abgeworfen, ist sie nun im Begriffe, ihrer Kulrur-gebundenheit und damit ihrer eigenen Vergangenheit gegenüber freier und unbedenklicher zu werden. Sie wird damit gerade die Werte ihrer Geschichte fruchtbar in die Zukunft hinüberzuretten vermögen. Akkommodation ist jene Verhaltensweise der Kirche, die sie befähigt, sich ihre Zukunft zu sichern.

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