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Sommer an gesegneten Ufern

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Sicher nicht umsonst wird unser Bregenz oft eis Österreichs Empfangsstube im Westen be-eichnet. Es liegt ja nahe an der Grenze der Deutschen Bundesrepublik und der Schweizeri-chen Eidgenossenschaft. Die Straßenlinien von Ulm im Norden und Mailand im Süden, von München im Osten und Genf im Westen schneiden sich hier, und als Landeshauptstadt kommt ihm eine besondere Repräsentationsrolle von vornherein zu. Die Bregenzer freuen sich dieser Ausgabe und gehen ihr mit Hingebung, manchmal sogar mit Opferbereitschaft nach.

Sie sorgen sich darum, ihre kommunalen Pflichten zu erfüllen, den Verkehr, der immer noch mehr wächst, gut durch die Stadt zu bringen. Mit den anderen Bodenseestädten investieren sie große Gelder in die Bodenseereinhaltung durch kostspielige Kanalisierungsbauten, obwohl der Bund, der einen internationalen Vertrag mit Verpflichtungen darüber abgeschlossen hat, dafür wenig Freigebigkeit zeigt. Wegen des beengten Raumes haben sie besondere Mühe, dem Wohnbau die nötigen Grundflächen zu beschaffen, obwohl durch Teilverbauungspläne weitmöglichst moderner Raumplanung Rechnung getragen wurde. Sie bauen zur Zeit an zwei Schulen, planen ein Spital und mehrere Kindergärten. Der Jugend und insbesondere dem Wassersport werden durch großzügige Anlagen Betätigungsmöglichkeiten geboten. Das städtische Budget, das selbstverständlich ausgeglichen ist, hat einen Rahmen von rund 64 Millionen Schilling, wobei die Personalkosten rund 18,5 Millionen Schilling (28 Prozent), die Investitionskosten fast 20 Millionen Schilling betragen.

Das ist aber nur die kommunale Visitenkarte der Landeshauptstadt Bregenz. In diesen Tagen überwiegt ihre kulturelle Repräsentation als Österreichs Stadt am Bodensee: Eben werden die Bregenzer Festspiele 1963 mit einem großen und reichhaltigen Programm wieder eröffnet. Handelt es sich dabei um Festspiele, die einfach aus Gesohäftsgründen oder um der Publicity willen gemanagt werden oder liegt ihnen eine innere Kraft zugrunde, die sie organisch trägt? Wir können diese Frage wohl mit gutem Gewissen bejahen. Bregenz war immer eine theaterfreudige Stadt. Schon um die Mitte des letzten Jahrhunderts, als sie 2000 Einwohner zählte, gab es hier ein Theater. Es hatte 330 Sitzplätze und mindestens zweimal in der Woche wurde darin gespielt. Interessant sind die sehr fortschrittlichen und aufgeschlossenen Programme, und ein Theaterdirektor stellte im Jahre 1885 fest: „Die Bregenzer sind eben sehr verwöhnt, und wenn einmal die Zusammenstellung nicht ganz befriedigt, dann ist alles andere vergessen.“

Dieses Theater hielt sich bis zum Ende des Jahrhunderts, als es aus städtebaulichen Gründen dem Neubau einer Bezirkshauptmannschaft Platz machen mußte. Die Theaterlust der Bregenzer ist indes geblieben. Gegenwärtig hat unser 195 5 von der Stadt errichtetes Theater am Kornmarkt 680 Sitzplätze. Es wird fast jeden dritten Tag benützt und hatte 1962 53.724 Besucher (Die Bevölkerungszahl beträgt 22.033). Demgegenüber bestehen in Bregenz zwei Kinos mit einer Gesamtplatzzahl von 1605 Sitzen. Sie waren 1962 von 484.679 Zuschauern besucht. Dieser Vergleich ist sehr interessant, und nicht umsonst hat der Leiter des Theaters für Vorarlberg, Professor Wegeier, anläßlich des letzten Saisonabschlusses aus Statistiken nachgewiesen, daß im Verhältnis zu seiner Bevölkerung Bregenz die theaterfreudigste Stadt im deutschen Spracfaraum sei. So also ist es nicht Hochstapelei, wenn diese Stadt im Sommer zu großen Spielen einlädt, denn sie beweist ihre innere Bindung zur Theaterkultur während des ganzen Jahres,

1946 ist mitten in den Trümmern der zerstörten Stadt die zarte Pflanze aufgeblüht, die inzwischen zum breitastigen Baum geworden ist. Beherzte Männer aus der Bevölkerung der Stadt haben die Idee des Theaterdirektors Kurt Kaiser aufgenommen. Der Stadtrat hat sie getragen und ausgebaut, um schließlich in der Festspielgemeinde das Institut zu finden, das auf der Grundlage eines Vereins die Aufgabe übernommen hat. Erst in diesen Tagen hat der Herr Bundespräsident den langjährigen Präsidenten der Festspielgemeinde und früheren Altbürgermieiister KR. Julius Wächter dafür mit dem Großen Ehrenzeichen der Republik ausgezeichnet. Organisation und Programm sind indessen gewachsen. Ihre Schwerpunkte sind das Spiel auf dem See. Auf einer Bühne mit 3500 Quadratmetern wird heuer die selten gespielte Operette „Banditenstreiche“ von Suppe gegeben, während im vergangenen Jahr die Welturaufführung von Robert Stolz' „Trauminsel“ viele Tausende begeistert hat. Das Wiener Burgtheater spielt im Theater am Kornmarkt österreichische Dichter und bringt heuer neben Grillparzer und Hofmannsthal die Welturaufführung des „Franziskus“ von Max Zweig. Dies ist sicherlich ein beachtliches Wagnis. Die Wiener Symphoniker, seit 1946 das „Hausorchester“ der Bregenzer Festspiele, wirken auf dem See mit und spielen drei Orchesterkonzerte.

Auch das Ballett wirkt beim Spiel auf dem See und anderen Veranstaltungen ergänzend, verschönernd und verstärkend mit. Ihm ist aber auf der großen Seebühne nun schon zum vierten Male die Aufgabe gestellt, einen selbständigen, zusammenhängenden Ballettabend zu geben. Nach „Giselle“, „Schwanensee“, ,-,Romeo -mad Julia“ und „Nußknacker“ wird „Sylvia“ vi n I Leo Delibes gespielt. Ein-entscheidender Beitrag! zur österreichischen Musikgeschichte aber wird „Das brennende Haus“ sein, eine nach fast zwei

Jahrhunderten wieder entdeckte, noch nie aufgeführte Oper von Joseph Haydn. Mit ihr eröffnen die 18. Bregenzer Festspiele in Anwesenheit des Herrn Bundespräsidenten und des Herrn Unterrichtsministers ihr Programm.

Aber noch ein Ereignis zeichnet diese Wochen in Bregenz aus. Es ist eine große Barockausstellung, die zweite einer 1962 begonnenen Reihe.

Diese Glanzzeit der Baukunst, Malerei, Plastik und Lebenskultur wird durch ein besonderes Brennglas betrachtet, das wiederum „Bodensee“ heißt.

Unsere Stadt war nie Sitz reicher adeligfr oder geistlicher Herren, war nie große Handelsstadt oder gar freie Reichsstadt mit Macht und Zöllen. Es fehlen in ihr darum weitgehend Schlösser, Bürgerpaläste, Kathedralen oder andere monumentale Bauten. Selbst die großen Vorarlberger Barockbaumeister haben ja im ganzen Lande kaum ein selbständiges Bauwerk errichtet, obwohl sie sonst rund um den Bodensee und weit ins Hinterland erfolgreich tätig waren. Aber eine Tradition ist da und zugleich eine Verpflichtung, die unsere Zeit gefühlt hat. Im Jahre 1962 wurde unter dem besonderen Hinweis auf die Leistungen der Vorarlberger Bauschule eine Ausstellung veranstaltet, die sich „Barock am Bodensee, Architektur“ bezeichnete und in wissenschaftlichen Kreisen wie auch bei den tausenden Besuchern große Begeisterung und Anerkennung auslöste. Nun folgt der zweite Teil, die Malerei. Hier ist der österreichische Anteil durch Franz Anton Maulbertsch, einen Sohn vom Bodensee-dörflein Langenargen, besonders und dominierend hervorgehoben. Aus Österreich, Deutschland, der Schweiz, Italien, England, Tschechoslowakei, Ungarn und Rußland sind Bilder der Bodenseemeister vertreten. Die Werkliste zählt über 70 Namen für die mehr als 200 Bilder, und manch interessante Zuschreibung konnte neu getroffen werden. '

Künstlerische Beziehungen, bisher nur geahnt, lassen sich nun fast mathematisch genau verfolgen und beweisen. Im Künstlerhaus Palais Thum und Taxis ergibt sich so ein Kongreß der Farben, Motive und ihrer Meister, beweisend, daß der Bodensee, zu dessen Perlen Bregenz zählt, in „gesegnete Ufer“ eingebettet liegt.

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