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Sorge in der Farnesina

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Das diplomatische Personal in der Farnesina hat mit viel Sympathie Giuseppe Saragat die Amtszimmer des Außenministers beziehen gesehen. Nicht aus Gründen der Kon-

tinuität der Außenpolitik, obwohl es auch in diesem Punkt nichts gegen den neuen Minister einzuwenden hat, der zwar Sozialdemokrat ist, sogar Parteisekretär, doch ein wirklicher

Signore. Die Diplomaten sind in eigener Sache befriedigt, weil sie von dem einflußreichen Parteimann eine Besserung ihrer Existenz erhoffen. Sie erinnern sich noch an das kurze

Intermezzo, das der Linkssozialist Pietro Nenni gleich nach dem Kriege auf dem Posten des Außenministers dargestellt hatte.

Die Nachricht von seiner Ernennung hatte in den Amtsräumen und Wandelgängen des alten Palazzo Chigi, der damals noch als Ministerium diente, Panikstimmung hervorgerufen. Auf manchen Schreibtischen sah man dicke, verschnürte Aktenbündel, man bereitete seinen eigenen Auszug vor. Dann aber stellte sich heraus, daß Nenni einer der umgänglichsten Minister war, der jemals die Außenpolitik Italiens geleitet hat, niemand wurde ins Asyl geschickt, niemand auf ein totes Geleise geschoben und mit dem freimütigen Eingeständnis, daß er von vielen Dingen keine Ahnung habe, hörte er gern auf den Rat seiner Beamten, genauso wie es Ernest Bevin getan hat, der von seinen Funktionären im Foreign Office geradezu vergöttert worden ist.

Ein „unterentwickeltes“ Ressort

Die italienische Außenpolitik wohnt heute in einem mastodon- tischen Gebäude ganz aus weißem Marmor, mit endlosen, weiten Korridoren, die insgesamt sechseinhalb Kilometer messen. Der Bau ist noch unter dem Grafen Ciano begonnen worden und zeigt deutlich die faschistische imperiale Inspiration. Die Beamten würden lieber 'im Chigi- Palast geblieben sein. Die Diplomatie hat mehr Lebensraum erhalten, aber nur in einem rein geographischen Sinne. Ansonsten bildet das Außenministerium die einzige und große Ausnahme in dem allgemeinen Prozeß der Elephantiasis, die sich überall in der staatlichen und halbstaatlichen Bürokratie Italiens bemerkbar macht. Dem Nationalkomitee für Atomenergie ist es gelungen, in den zwei Jahren seines Bestehens über zweitausend Beamte und Angestellte zusammenzuholen, aber das diplomatische Personal Italiens ist mehr oder weniger das gleiche geblieben wie zu Mussolinis Zeiten. Im letzten Vorkriegsjahr waren es 514 gewesen, heute sind es 546. Rechnet man die rund dreihundert spezialisierten Vertragsbeamten hinzu (für Handel, Presse, Auswanderung und den Orient), so kommt man immer noch auf weniger als 900 Personen. Und während im Jahre 1936 die Ausgaben für das Außenministerium 1,65 v. H. des allgemeinen Staatshaushalts ausmachten, waren es 1954 1,11 v. H., 1957 0,98, 1960 0,92 und derzeit sind wir bei 0,65 v. H. angelangt. Das ist eine in der ganzen Welt sicherlich einmalige Entwicklung! Vergleichsweise gibt die Deutsche Bundesrepublik 1,65, Frankreich 1,06, England 1,30 und Belgien 3,2 v. H. des Gesamtbudgets für das Außenministerium aus.

Die Herren im blauen Doppelreiher

Das diplomatische Personal hat mehr als jedes andere Grund, sich über die schlechte Bezahlung zu beklagen. Die Diäten für Missionsreisen liegen hinter der rauhen Wirklichkeit der Preise zurück, sie reichen höchstens für die Übernachtung. Wenn das Flugzeug benützt werden muß, ist eine eigene Ermächtigung seitens des Ministeriums notwendig. Autoreisen gehen auf Kosten des Beamten. Kilometergelder werden nicht bezahlt. Dennoch tragen die Diplomaten Italiens den doppelreihigen blauen Anzug mit großer Würde, wie oft er auch aufgebügelt worden sein mag. Mit Würde, aber doch nicht ohne Protest. Hin und wieder züngeln Agitationen hoch, es ist auch zum Streik gekommen. Er fand gerade in den Tagen des Besuches Eisenhowers in Rom statt und nur aus Höflichkeit und Achtung vor dem hohen Gast erklärte sich ein Funktionär des Pressebüros bereit, für eine Stunde ins Amt zu gehen und das Kommunique für die Presse selbst auf der Schreibmaschine zu klappern. Am schlimmsten ging es den Diplomaten, als Amintore Fanfani Ministerpräsident war. Er kümmerte sich überhaupt nicht um das Außenministerium, machte seine eigene Außenpolitik, brachte die verantwortlichen Diplomaten mit überraschenden Initiativen in Verlegenheit und verfuhr in der Personalpolitik mit großer Unbekümmertheit. Eine Truppe junger Fanfani- aner, spöttisch die Mau Mau genannt, sollte die Schlüsselpositionen einnehmen. Auf Fanfani folgte Segni und er kehrte zu der alten Gewohnheit zurück, sich den Außenminister zum außenpolitischen Berater zu machen. Das diplomatische Personal hatte allerdings keine weiteren Vorteile davon. Im Gegenteil, während die Gehälter immer die gleichen blieben, vermehrten sich die Aufgaben in beängstigender Weise. Die 900 Funktionäre und Beamten haben im Ausland 300 Büros und im Ministerium 60 Abteilungen in Gang zu halten, das macht weniger als drei für jedes Büro. Wird Giuseppe Sara- gat das Verständnis für diese Lage aufbringen, das seinen Vorgängern gemangelt hat? Oder die Frage anders gestellt: wird er endlich jenen Nachdruck hinter die Forderungen seines Ministeriums setzen, der notwendig ist, um bei der Austeilung der Torte eine dickere Schnitte zu erhalten? Es ist merkwürdig, daß Fanfani, der doch die „Präsenz Italiens in der Welt“ verlangt hatte, sich wenig um die Personen kümmerte, die Italien in und vor der Welt präsentieren.

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